„... nagelneue Bänke stehen in geharkten Einlassungen“

Zentrum des Kiezes: Spielplatz Marie
Zentrum des Kiezes: Spielplatz Marie

Ich mache mich auf zum neu entstehenden „Leise-Park“ am St. Marien-St. Nicolai-Friedhof, Eingang von der Prenzlauer Allee aus. Der Name „Leise-Park“ ist eine Idee der Schüler der Grundschule „An der Marie“. „Leise-Park“ klingt kindlich-naiv, macht aber Sinn. Kinder liegen mit ihrer Intuition meist richtiger, treffsicherer, als wir angeblich Erwachsenen. Manche meinen „böse“, nach hoffentlich sind sie es dann da auch selber! Aber richtig Krach machen doch eigentlich nur die jugendlichen Touris aus den gehobenen Vorort-Sied­lungen, die denken, nun in der großen Stadt Berlin könnten sie mal über die Stränge schlagen ...

 

So wie bereits im letzten Jahr, so empfängt mich am Eingang des Friedhofs in der Prenzlauer Allee der vertraute Dschungel. Lia­nen ranken über Gräber, Efeu schlängelt sich an Gedenksteinen hoch, sogar einige frische Grabstätten sind vorhanden. Offenbar, so verkündet es zumindest ein Schild am Eingang, finden auch in der nächsten Woche wieder neue Beerdigungen statt. 

Ich suche, leise, den Leise-Park. Schlage mich durch Gestrüpp, über Felder von Brennnesseln, an umgestürzten Baumriesen vorbei und bekomme den Schock meines Lebens.

Stehe plötzlich vor einem zweieinhalb Meter hohen, massiven Stahl­gitterzaun aus Daumendicken Lanzen mit Pieksenden Spitzen am oberen Ende, der den entstehenden Leise-Park vom Restfriedhof trennt. Ein Stahlgittertor in diesem Zaun ist verschlossen. Was ich sehe, macht mich wenig froh, … im Gegenteil würde ich sagen, dass jetzt nur noch Gal­genhumor (auf dem Friedhof) weiter hilft. Man hat den Dschungel im entstehenden Park entfernt! 

Akkurat, im Rechteck sind Wege angelegt, der Rasen ist, wo er nicht neu angelegt wurde, gestutzt, nagelneue Bänke stehen in geharkten Einlassungen. 

Es sieht steril aus, nach spießiger Vorgartenidylle.

Mir fehlt bei diesem Anblick eigentlich nur noch die Überwachungskamera, der Postenturm, der Wach-Posten, der „Kumpel Polizist“ mit seiner Wumme und schusssicheren Weste. Wir sind einfach spitze, dachte ich so bei mir, im Zäunebauen, im Rasen harken, im bewachen von Objekten …

Finde Bilder im Internet auf denen neu aufgestellte Spielgeräte aus Holz in diesem Park zu sehen sind und frage mich, wer die denn dann mal pflegen soll. In spätestens fünf Jahren sind die doch verrottet und dann verschwinden sie genauso heimlich still und leise, wie im Thälmannpark.

Idylle in der Winsstraße
Idylle in der Winsstraße

Julian treffe ich an der Heinrich-Roller-Ecke Wins­straße. Er arbeitet dort in einem Geschäft und wohnte mal vor zehn Jahren auch in der Straße. Ja, er habe schon mal was von dem Park gehört, weiß aber nicht, wie man da hineingelangt. Von der Heinrich-Roller-Straße aus sieht man erneuerte Mauern und ein verschlossenes, großes Gittertor. Da hat er auch schon mal hineingeschaut und sich nur gewundert, dass dort alles so schön ordentlich aussieht. Aber Menschen in diesem Park habe er noch nicht gesehen. Und dann erzählt er, dass er, als er noch vor einigen Jahren mit seiner Familie in dieser Straße wohnte, an Ostern seine Tochter auf dem Friedhof jedes Jahr hat Ostereier suchen lassen. Die Eier und kleinen Nester habe er dann in dem verwilderten Garten des Friedhofs hinter Grabsteinen, auf gefallenen Baumriesen oder unter kleinen Hecken versteckt. So kenne er das Gelände noch. So als verwilderten „Schlossgarten.“

Eine Ecke weiter, in der Prenzlauer Allee, lässt sich Roswita auf ein Gespräch mit mir ein. Sie ist Anwohnerin des Friedhofs schon seit vielen Jahren. Dass auf einem Teil desselben mal ein Park entstehen soll, davon habe sie etwas gehört. Dass das ganze „Leise-Park“ heißt, weiß sie nicht. Am Friedhofs­eingang ist darüber ja auch nichts ausgeschildert. Die Idee zu diesem Park findet sie sehr gut, besser auf jeden Fall, als die einstmals geplante und von den Anwohnern erfolgreich verhinderte Bebauung in der Heinrich-Roller-Straße mit großen Wohnneubauten.

Am Eingang zum Friedhof, ich war drauf und dran, nochmals über den Friedhof zu schlendern, begegnet mir Andreas, mit dem ich mich unterhalten kann.

Er kennt den Leise-Park bereits, spaziert öfter über die Friedhöfe bis zur Greifswalder Straße hinüber.

„Nach meinem Verständnis sind die Bauarbeiten in diesem Park abgeschlossen“, sagt er. Und dass er sich sehr darüber wundert, dass alles noch so verschlossen ist. „Ist alles fertig! Es sieht so aus, als wenn man nur noch auf die große Eröffnungsparty wartet“, erklärt er. Dann muss er aber weiter, … sein Job, … ich verstehe doch sicher.

Ich nicke und bedanke mich für ein weiteres nettes Gespräch an diesem Nachmittag.

Ort der Ruhe: Friedhof an der Heinrich-Roller-Straße
Ort der Ruhe: Friedhof an der Heinrich-Roller-Straße

Nun nochmals zu den Fakten: Der St.Marien-St. Nicolai-Friedhof II, an dessen Ende zur Heinrich-Roller-Straße der „Leise-Park“ entsteht, gehört zur Marienkirche, die am Alexanderplatz neben dem Neptunbrunnen, gegenüber vom Roten Rathaus, steht und zur Nicolaikirche, im „Nicolaiviertel“.  Als dieser neue Friedhof der beiden Kirchengemeinden kurz vor der Akzise-Mauer und dem Prenzlauer Tor angelegt wurde, lag er am Rande der Stadt an den Wind­müh­lenbergen direkt an  der Berliner Feldmark. Dieser Teil des Friedhofs wurde von den Gemeinden der Marien­kirche und der Nikolaikirche innerhalb der Akzise-Mauer am 27. Juli 1802 eröffnet und 1814 und 1847 jeweils erweitert - auf insgesamt 35.400 m².

Bereits im Jahre 1804 überschritt die Weltbe­völ­kerung die magische Zahl von einer Milliarde Individuen. Es gibt eine Robbenart, die Krabben­fresser­robbe, die mit vierzig Millionen Tieren nach dem Menschen die höchste Individuenzahl unter den großen Säugetieren aufweist. Mehr Tiere dieser Art verkraftet das Öko-System Erde nicht. Wissenschaftler haben vor Jahren einmal ausgerechnet, dass es vom Menschen, so wie er die Erde derzeit ausbeutet, nicht mehr als zwölf Millionen geben sollte. Und da regen wir uns über Hunger in der Welt auf? … egal.

Im Jahre 1858 wurde unweit in der Prenzlauer Allee Nr. 7 ein neues Grundstück gekauft, der Neue bzw. der St. Marien-St. Nikolai-Friedhof II. An dessen Ende befindet sich nun der „Leise-Park“. In den letzten Jahren wurde der ursprüngliche Friedhof aufwendig restauriert. Vor allem die fast geschlossene Ostwand mit Erbbegräbnissen unterschiedlicher Baustile hat sich erhalten. Die Nordwand wurde beim Endkampf um Berlin im II. Weltkrieg zerstört. 

 

Rolf Gänsrich (Juli 2012)