DUNCKER-STRASSE

Eine Hausnummer Literatur

In der Dunckerstraße unweit des Helmholtzplatzes verbrachte Klaus Schlesinger Kindheit und Jugend. Der Todestag des Autoren jährt sich in diesem Jahr zum 20. Mal. Eine Erinnerung – und ein Streifzug durch seine Prenzlauer-Berg-Literatur.  

Es ist doch so, dass beim Spazierengehen die Nase auf etwas stößt, wenn die Augen in Entdeckens-Laune sind. Oder, prosaischer: Achtsamkeit beim Bummel durch den Kiez kann zu Erkenntnisgewinn führen. In der Dunckerstraße, von der Danziger kommend, kurz vor dem Helmholtzplatz auf der rechten Seite, hängt eine „Berliner Gedenktafel“ an der Hausfassade, in Augenhöhe. „Ich rede nicht von einer beliebigen Straße, ich rede von der Duncker“ steht als Zitat ganz oben darauf. Das Haus mit der Nummer Vier selbst ist ein eher schmuckloses Haus in dunklem Weiß. Keine Balkone, kein Stuck. „In diesem Haus verbrachte der Schriftsteller Klaus Schlesinger seine Kindheit und Jugend“ steht unter dem Zitat auf der Gedenktafel.

Klaus Schlesinger. Künstler und politische Stimme. Kriegskind, Biermann-Befürworter, Hausbesetzer, Wende-Chronist. Wäre in diesen Januar-Tagen 84 Jahre alt geworden. Sein Todestag jährt sich im Mai 2021 zum 20. Mal. „Seine Geschichten erzählen von den Alltagserfahrungen in einer von den politischen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts zerrissenen Stadt.“ heißt es auf der Gedenktafel weiter. Diese politischen Umbrüche sind für einen wie Klaus Schlesinger, Jahrgang 1937, zahlreich: Krieg, Mauerbau, DDR-Diktatur und -Zensur, Mauerfall, Ankunft als deutsche Hauptstadt in Europa.

DIE BRÜCHE

Und Schlesinger mittendrin und schreibend dabei. Seine Biographie folgt den Umbrüchen. Als gelernter Chemiearbeiter beginnt er Mitte der 60er Jahre mit dem Schreiben, wird 1973 Mitglied des Schriftstellerverbandes der DDR. Einige Bücher dürfen erscheinen, andere Projekte werden von der Staatssicherheit verhindert. So auch eine literarisch-musikalische Veranstaltungsreihe, die er Mitte der 70er Jahre mit seiner Frau, der Liedermacherin Bettina Wegner, organisiert. Nach Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns wird er 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen. 1980 übersiedelt Schlesinger nach West-Berlin. Bis 1992 ist er in der Hausbesetzer-Szene aktiv, bewohnt ein besetztes Haus in der Potsdamer Straße. Anschließend kehrt Schlesinger nach Ost-Berlin zurück und stirbt dort am 11. Mai 2001. Zwölf Jahre später erhält sein Haus in der Dunckerstraße die Gedenktafel.

#Schlesinger #Dunckerstraße #PrenzlauerBerg
Schlichte Tafel an schlichter Fassade: In der Dunckerstraße 4 lebte der Autor Klaus Schlesinger. Foto: al

DIE SPUREN

Die Dunckerstraße und der Prenzlauer Berg. „Zieht man um den Alex einen Kreis mit einem Radius von vier Kilometer, so umfasst dieser alle entscheidenden Orte seines Lebens", so der Journalist Michael Sontheimer in seinem Nachruf über Klaus Schlesinger. Dieser Vier-Kilometer-Radius umfasst auch literarische Schauplätze Schlesingers, allen voran die Straße von Kindheit und Jugend, die Dunckerstraße. „Natürlich muss ich, wenn ich von der Duncker rede, auch von anderen Straßen reden; etwa von der Bernauer, die man über die Danziger, die jetzt Dimitroff heißt, und die Eberswalder erreicht und deren südliche Seite zum Osten, deren nördliche zum Westen gehörte. Ich weiß nicht, wie oft wir durch die Bernauer gegangen sind, natürlich nicht öfter als durch die Duncker, aber sicherlich öfter als durch die Schliemann, die quasi um die Ecke lag.“, macht er seinen jugendlichen Bewegungsraum im geteilten Berlin sichtbar: „Die Bernauer war für uns so etwas wie das Tor zur Welt, zu einer anderen Welt genau genommen, denn selbstverständlich blieb die Duncker für uns der Mittelpunkt des Lebens schlechthin.“, schreibt er etwa in „Die Sache mit Randow“.

DER PRENZLAUER-BERG-RADIUS

Duncker, Bernauer, Rykestraße, Danziger und Schönhauser – diese Prenzlauer-Berg-Schauplätze tauchen immer wieder in Schlesingers Romanen und autobiografischen Schriften auf. Auf der Homepage „klaus.schlesinger.de“ haben Auszubildende der gemeinnützigen Gesellschaft für Forschung, Fortbildung und Dokumentation einen literarischen Spaziergang zu Schlesingers Schauplätzen in Berlin entworfen. Mit Zitaten aus seinen Werke sind diese Schauplätze unterlegt, deren Zeitrahmen sich vom Kriegsende in der Rykestraße bis zu den 2000er Jahren auf der Danziger Straße erstreckt. „Vorhin, ich war in meine alte Gegend gefahren und stand an der Ecke der Straße, in der ich aufgewachsen bin, wurde mein Blick von einer alten Frau angezogen, die über die Straßenbahnschienen in der Dimitroff, früher Danziger lief, eine kleine gebeugte weißhaarige, am Stock und mit kurzen, trippelnden Schritten laufende Frau, die sich vorsichtig umblickte, bevor sie ihren Fuß auf den Damm setzte. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich meine Mutter“, schreibt er in „Fliegender Wechsel“. 

An die Bernauer Straße von Ost- nach West-Berlin hat Schlesinger 2000 in „Von der Schwierigkeit, Westler zu werden“ folgende Erinnerung: „Bis zum Mauerbau war ich in - sagen wir: freier Entscheidung im Osten geblieben, die allerdings auf der Voraussetzung freier Wahl beruhte. Ich konnte mich, wenn ich wollte, von einem Tag auf den anderen in die S-Bahn setzen und die Seiten wechseln. Um so größer war mein Zorn, als mir diese Möglichkeit von einem Tag auf den anderen genommen wurde, und ich habe halbe Nächte damit verbracht, mir vorzustellen, wie ich jenen, die mich übertölpelt hatten, eine lange Nase zeigen könnte.“ Diese lange Nase dreht Schlesinger knapp 20 Jahre später mit seiner Übersiedlung nach West-Berlin. Doch auch dort bleiben seine Gedanken im Heimat-Prenzlauer Berg, bleibt der als Folie, etwa beim Bummel durch Kreuzberg: „Auffallend viele Häuser mit gardinenlosen, staubblinden Fenstern. Abrissarbeiten in der Nähe der U-Bahn, die als Hochbahn bis zum Schlesischen Tor führt. Ein grau-gestrichener stählerner Trakt wie in der Schönhauser Allee.“ heißt es in „Fliegender Wechsel“.

-red-, Jan. 2021