PRENZLAUER BERG

Heimat in Bildern

Dieses Land, Deutschland, ringt um den Begriff Heimat. An einem Wort wird diskutiert, was für ein Land wir sind und wer hier das Sagen hat. Sind wir demokratisch oder driften wir nach rechts? Was ist denn Heimat – und welche Heimat ist Prenzlauer Berg? Eine Begegnung mit dem Historiker Stephan Müller, im Monat der deutschen Einheit.

 

Mit der Heimat ist es ja so eine Sache: Jeder Mensch hat seine eigene Vorstellung davon, weil er von Irgendwo her kommt. Weil dieses Irgendwo auch ein ganz eigenes, individuelles ist. Erst recht in Prenzlauer Berg, dem Stadtteil der zugezogenen Individuen. „Heimat ist da, wo die Erinnerung sich auskennt“, sagt beispielsweise Andreas Dresen und beschreibt seinen aktuellen Film „Gundermann“ als Heimatfilm. 

Kneipenszene Berlin Prenzlauer Berg
Typisch Prenzlauer Berg, also Heimat? Der Stadtteil gibt sich gern cool und grün und wird von außen auch so gesehen. Foto: al

Dresens Film ist eine schöne Überschreibung des Begriffs von Heimatfilm, den wir doch eher mit colorierter Herz-Schmerz-Geschichte vor Bergidyllen-Kulisse aus den 50ern assoziieren. Die Heimat, die Dresen zeigt, ist zunächst der Dreck der Braunkohleregion in der Lausitz – ästhetisch wunderbar in Szene gesetzte Landschafts- und Menschen-Zerstörung. Und ein wenig Berlin, Prenzlauer Berg, als Ort. Die atmosphärische, mentale Heimat des Films ist die DDR in ihren letzten Jahren und ein Mensch darin, der Liedermacher Gundermann, gespalten zwischen Maloche, Kunst und inoffizieller Stasi-Mitarbeit. Gespalten auch durch seinen irgendwie aus dem Ruder geratenen Willen, diesen kommunistischen Staat DDR tatsächlich kommunistisch zu machen. 

Der Heimatfilm Dresens ist ein Film über die jüngere Geschichte – mit all den Wunden, die noch nicht geschlossen sind – und all den absonderlichen Vorgängen und menschlichen Beziehungen, die auch einen Alltag in einer Diktatur lebenswert machen können.

 

Neue Heimat-Forschung

Stephan Müller hat ein Geschichtsbüro. Seit einigen Jahren ist er damit gewissermaßen auch Heimat-Forscher, wenngleich er diesen Begriff möglicherweise nicht so gern hört. Er veranstaltet u.a. einmal jährlich die Prenzlauerberginale – jenes Festival, das Filme und deren MacherInnen aus Prenzlauer Berg zeigt – aus jüngster Zeit und aus früheren Jahrzehnten. „Wer in Prenzlauer Berg lebt, stößt irgendwann auf dessen Geschichte“, sagt der Historiker. Diese Geschichte besteht für ihn aus zwei historischen Strömungen, aus der Industrialisierung und der Gentrifizierung. Ohne diese wäre der Stadtteil nicht das, was er heute ist. Nicht schönes Gründerzeit-Quartier, nicht Hipster-Gegend mit noch ein bisschen Alternativ-Kunst, nicht Inbegriff eines Deutschlands im Kleinen. Oder so, wie sich Deutschland gern präsentieren möchte: cool, grün, tolerant, als Start-up einer neuen modernen Gesellschaft. Die möglicherweise auch einen neuen Heimat-Begriff erfinden kann. So, wie sie einst den traditionellen Mutter-Begriff mit dem hippen Latte-Macchiato-Begriff zusammenbrachte – zu den Latte-Macchiato-Müttern, die fortan als Klischee umhergeisterten und manchmal tatsächlich noch in den Cafes des Stadtteils sitzen. 

Die coole grüne Mittelschicht diesen modernen Mikrokosmos hatte auch Markus Feldenkirchen im Blick. Jüngst rief der SPIEGEL-Autor – angesichts der Ereignisse von Chemnitz – die neue bürgerliche Mitte zu einem neuen Patriotismus für die Demokratie auf – und warf ihr gleichzeitig vor, sich in einer neuen Form von Heimattümelei einzurichten – cool, grün, bürgerlich.  

Messe Art. Essenz. Berlin Prenzlauer Berg
Heimat zum Mitnehmen: Prenzlauer Berger Künstler präsentierten sich jüngst auf der Berliner Messe Art. Essenz. Foto: Renata Chueire

Schaufenster-Heimat

„Zwischen Heimatstube und einem regionalen Museum wie dem Museum Pankow ist schon ein Unterschied“, sagt Historiker Stephan Müller, der viel für das Museum gearbeitet hat. Er hat unter anderem Ausstellungen organisiert. In den Schaufenstern entlang der Schönhauser Allee zeigte er Fotos von Prenzlauer Berg aus den 50er und 60er Jahren. Im Mauerpark gab es jüngst eine Open-Air-Ausstellung mit Fotos der Mauer. Eine verblüffende Erkenntnis zieht Müller aus den Bildern. Die meisten Aufnahmen zeigen die Mauer von der West-Berliner Seite. Weil das Fotografieren der Mauer von der Ostseite aus lebensgefährlich sein konnte, wagten nur wenige Menschen, das Grenzwerk in Bilder zu fassen. So können Geschichtszeugnisse auch einseitig sein. Sie sind ohnehin immer nur Ausschnitte oder Schnipsel von Heimat.

 

Heimat im Film

Das Öffentlichmachen von Geschichte durch Ausstellungen im öffentlichen Raum, wie Stephan Müller es betreibt, ist ja auch ein Umkreisen von Heimat. Die Auseinandersetzung mit ihr findet damit direkt auf der Straße oder im Park statt. 

Kollwitzplatz Berlin Prenzlauer Berg
Heimat früher: Der Kollwitzplatz in historischer Aufnahme. Repro: Geschichtsbüro

Oder eben im Film. Die Prenzlauerberginale, die Stephan Müller seit Jahren veranstaltet, versammelt  Heimat-Bilder aus Prenzlauer Berg in ganz unterschiedlichen Filmen der älteren oder jüngeren Vergangenheit. Inzwischen ist das Festival im Kino Babylon selbst eine Art Heimat geworden. Viele Besucher, so erzählt Stephan Müller, kommen immer wieder zu den Abenden. Viele von ihnen lebten einst in Prenzlauer Berg und wollen ihrer alten Heimat, ihrer eigenen früheren Geschichte bei diesem Festival wieder begegnen. Intensiv sind denn auch die Gespräche nach den Filmen. Die durchaus auch zeigen, wie sensibel der Heimat-Begriff ist. Ein Besucher habe ihn gefragt, wie er, Stephan Müller als Zugezogener, diese Geschichte überhaupt zeigen kann – es sei doch nicht seine eigene.

Was ist denn nun Heimat? „Heimat ist etwas, mit dem man positive Erinnerungen verknüpft“, sagt Müller. Ein soziales Umfeld, mit dem man sich identifiziert. Und welche Heimat kann Prenzlauer Berg sein, in zwei, drei Jahrzehnten? Die Antwort Müllers kommt scherzhaft: Möglicherweise ein alter Stadtteil, weil wir heutigen Mitte 40jährigen dann alle eben älter geworden sind und immer noch hier leben. Heimat ist also auch das, was wir daraus machen.

-al-, Okt. 2018