Interview mit Ernst Thälmann - postum

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin
Denkmal Ernst Thälmanns im gleichnamigen Park

PA: Lieber Herr Thälmann, oder darf ich Ernst sagen?

ET: Ja bitte Genossin. 

PA: Lieber Ernst, also ehrlich gesagt, weiß ich sehr wenig von dir. 

ET: Aha, also zu meiner Zeit kannte mich jeder und wusste von meiner herausragenden Position.

PA: Tja, sorry, ich bin aus Bayern und Du wurdest mit keiner Silbe in der Schule erwähnt. 

ET: Jaja, die Bayern waren damals schon merkwürdig.

PA: Na ja, ich glaube, dass Du heute in ganz Deutschland in den Schulbüchern ignoriert wirst.

ET: Was willst Du eigentlich von mir, wenn ich eh allen egal bin, und mein Lebens­werk und mein Märtyrertod vergessen sind?

PA: Du hast mein Interesse geweckt, weil ich bei meinen Entdeckungsreisen durch Ostdeutschland festgestellt habe, dass nahezu alles nach dir benannt ist. Kein Dorf ohne Ernst-Thälmann-Straße. Überall Schwimmhallen, Sportstätten, Parks, die heißen wie Du. Und dann noch die Denkmäler. Das riesige hier in Prenzlauer Berg wird sogar jährlich von deinen Anhängern gesäubert. Wie erklärst Du dir das?

ET: Hm. Wie gesagt, ich war eine wichtige Führungsperson der Kommunis­tischen Partei. Und dann kamen die Nazis und haben mich eingesperrt und kurz vor ihrem eigenen Untergang hingerichtet. 

PA: Es ist quasi weniger deinen Leis­tungen zu verdanken, dass Du  im Osten omnipräsent bist, sondern der Tatsache, dass sie dich umgebracht haben und Du dadurch eine ideale Projektionsfläche als Vorzeigegenosse werden konntest, oder? 

ET:  Genauso könnte man sagen, dass ich im Westen aus ideologischen Gründen ignoriert werde, da ich nicht in das Konzept des „freien“ Widerstandskämp­fers passe. Da wird doch immer nur der adelige Haufen erwähnt.

PA: Du meinst die Männer des 20. Juli?

ET: Ja die. Zuerst alles mitgemacht und als sie merkten das Schiff sinkt, dann haben sie versucht die eigene Karre aus dem Dreck zu ziehen. 

PA: Hättest Du die Katastrophe nicht ganz verhindern können, wenn Du mit den Sozis paktiert hättest? Dann wären die Nazis vielleicht gar nicht an die Macht gekommen. 

ET: Also mit denen wirklich nicht. Wie hätte ich denn vor dem großen Genos­sen Stalin dagestanden? 

PA: Aber das hätte vielleicht auch dein eigenes Leben gerettet.

ET: Pahh! Hier ging es nicht um Men­schen­­leben, sondern um die große Sache. Der Einzelne zählt dabei nicht.

PA:  Ernst oder Ernstl wie man bei uns sagt: Sag mal, Du hast doch viel gesehen und erlebt. Was hältst Du denn vom heutigen Prenzlauer Berg? 

ET: Ach hör mir auf. Hier ist doch keiner mehr bereit für seine Überzeugungen zu sterben.

PA: Danke für das Gespräch.

H.S. (Jan 2012)