IMMOBILIENPOLITIK

Wir bleiben unser Haus

Das Haus in der Danziger Straße 55 hat das Zeug zum Pilotprojekt. Den Verkauf an ein Immobilienunternehmen wollen die Mieter stoppen – und das Gebäude selbst übernehmen. Es geht um ihren Verbleib und bezahlbaren Wohnraum. Bezirk und Senat können unterstützen und einen Präzedenzfall schaffen.

Im Haus in der Danziger Straße 55 schwankt die Stimmung zwischen Aufbruch und Unsicherheit. Das Haus ist verkauft – für gute sechs Millionen Euro soll es den Besitzer wechseln. Die „Deutsche Wohnen“ sicherte sich das schmucklose Gebäude. 22 Wohnungen und drei Gewerbe-Räume liegen im Vorder- und Hinterhaus. Die „Deutsche Wohnen“ hat den Ruf einiger Immobilienunternehmen, vor allem mit hochpreisigen Wohnungen zu agieren und mit angestammten Mietern neu gekaufter Gebäude nicht eben zimperlich umzugehen. Steigen nun bald die Mieten? Gibt es Modernisierungen und Sanierungen, denen die Mieter weichen müssen?

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Die Mieter wollen ihr Haus selbst übernehmen: Die Danziger Straße 55 könnte zum Pilotprojekt werden.

Das Haus wurde vor rund 20 Jahren grundlegend saniert – mit Mitteln des Senats für das Sanierungsgebiet Helmholtzplatz. Es hätte jetzt wohl einiges nötig – manche Balkone sind undicht, auch die Wasserleitungen und die Heizungen sind nicht mehr auf dem neuesten Stand. Das Dach musste schon mal ausgebessert werden. 

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Dominikus Murr betreibt seit über 15 Jahren seinen Bio-Laden in der Danziger Straße 55. Für ihn geht es um die Existenz.

Doch alles in allem sind die, die hier wohnen, zufrieden. Sie wohnen teilweise schon seit über 25 Jahren hier, haben damals die Sanierung mitgemacht – monatelang auf einer Baustelle. Die Miete ist günstig. Eine 100-Quadratmeter-Wohnung kostet warm rund 900 Euro – wo gibt es das noch in Prenzlauer Berg? Und: Wie lange gibt es das noch?

 

Recht auf Milieuschutz

Das Haus steht unter Milieuschutz, wie viele in den ehemaligen Sanierungsgebieten des Bezirks. Offiziell heißen diese zehn Gebiete soziale Erhaltungsgebiete – und in ihnen gelten gesonderte Bedingungen. Damit sollen die Mieten bezahlbar bleiben - und wie es im Bezirksamt offiziell heißt: „die Zusammensetzung der Bevölkerung erhalten werden.“ Sanierung, Modernisierung oder Nutzungsänderung der Gebäude sind genehmigungspflichtig. Zudem, und darin sehen die Mieter der Danziger Straße 55 ihre Chance, hat der Bezirk ein Vorkaufsrecht, sollen Häuser verkauft werden.

Die Mieter wollen mit Hilfe dieses Vorkaufsrechts ihr Gebäude selbst übernehmen und daraus ein Genossenschaftshaus machen – mit Anteilen, die jeder selbst trägt, unter dem Dach einer  etablierten Genossenschaft. „Wir haben uns als Mietergemeinschaft zusammengefunden und die meisten wollen mitmachen“, sagt Dominikus Murr, der im Erdgeschoss des Hauses einen Bio-Laden mit Café betreibt. Murr ist einer der Aktiven: Nicht nur, weil er gern zu einem angemessenen Preis im Haus leben bleiben möchte. Es geht auch um seinen mehr als 15 Jahre alten Laden, und damit um seine Existenz. Die Glaserei nebenan sitzt noch länger in der Danziger Straße 55.

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Auch das Haus in der Prenzlauer Allee 45 wurde verkauft. Die Mieter protestieren u.a. mit diesen Transparenten. Fotos (3): al

Es gibt noch eine zweite Möglichkeit, Mieter und Bestand zu schützen. Eine sogenannte Abwendungsvereinbarung mit dem neuen Eigentümer. Andreas Otto, Berliner Abgeordneter aus Prenzlauer Berg, sieht diese Möglichkeit sogar als erfolgversprechender an. Neue Eigentümer verpflichten sich, keine Luxussanierungen oder Umwandlungen in Eigentum vorzunehmen. Alles, was den Mietwert überdurchschnittlich steigern und Mieter verdrängen könnte, ist damit ausgeschlossen. Beispiele aus anderen deutschen Großstädten, so Andreas Otto, zeigten, dass diese Vereinbarungen ein praktikables Instrument sein können. Auch in Berlin, u.a. in Kreuzberg, sind sie bereits geschlossen worden.

Im Bezirk Pankow könnte der Fall Danziger Straße 55 zum Präzedenzfall werden in Sachen Milieuschutz – durch Vorkaufsrecht oder Abwendungsvereinbarung. Mit drei Genossenschaften haben die Bewohner und der zuständige Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn über eine Übernahme gesprochen. Grundsätzlich gibt es Interesse. Bleibt die Frage nach dem Preis. Nach Berechnungen der Genossenschaften ist die Summe von sechs Millionen Euro deutlich zu hoch. Um das Haus wirtschaftlich betreiben zu können, müssten die Mieten auf rund 9,50 Euro pro Quadratmeter steigen – fast doppelt so viel wie sozial verträglich.

Neben der Frage, woher das Geld kommen kann, stellt sich für den Abgeordneten Andreas Otto auch die politische Frage: Soll sich das Land Berlin am Mietwucher beteiligen, in dem es überhöhte Preise zahlt? Das Signal wäre ja: Die Mietpreisspirale ließe sich weiter nach oben drehen, die öffentliche Hand spielt mit.

 

Kein Einzelfall

Nicht weit von der Danziger Straße 55 entfernt flaggen trotzige „Noch“-Transparente an einer Häuser-Fassade. Die 61 Bewohner in der Prenzlauer Allee 45 signalisieren: auch ihr Haus wurde verkauft, auch hier droht die Verdrängung. Der neue Besitzer hat bereits angekündigt, die Wohnungen in Eigentum umwandeln und einzeln veräußern zu wollen. Die Frist für das Vorkaufsrecht ist verstrichen, von den Mietern selbst konnte sich keiner Eigentum leisten. Inwieweit hier der Bezirk noch einspringen kann, ist fraglich.

„Wir rennen meistens hinterher“, sagt Andreas Otto. Zwei Monate bleibt nach einem Verkauf Zeit, ein Vorkaufsrecht in Anspruch zu nehmen. Für die Gründung einer Genossenschaft sei dies dann zu knapp. Seine Empfehlung: Mieter, deren Häuser einem einzelnen Eigentümer gehörten, sollten diesem ihr Interesse an einer Übernahme signalisieren. Oft seien gerade ältere Eigentümer sehr aufgeschlossen. Otto will bei der Senatsverwaltung darauf hinwirken, dass Mieter in solch einem Fall z.B. durch zinslose Darlehen oder Bürgschaften des Senats unterstützt werden können. Möglicherweise ist das auch eine Option für die Bewohner der Danziger Straße 55.

-al-, Mai 2017