Zwerg Allwissend ­– überall zu finden!

Gaststätte Willy Bresch (c)Christian Robbe
Gaststätte Willy Bresch (c)Christian Robbe

Ein wenig Wehmut beschleicht mich schon, wenn ich an der Ecke Danziger Straße/Greifswalder Straße vom Wins­vier­tel hinüber zum Bötzowkiez schaue: Da gibt es doch tatsächlich noch eine echte Ber­liner Eckkneipe: Gaststätte Willy Bresch - Berliner Bierlokal!

 

Die Nachbarschaft weiß stets mehr als man selbst; besonders ausgeprägt ist die „Zwerg-Allwissend-Haltung“ in der Nähe jeder Theke: Fragen des Mietrechts, Phäno­mene rund ums Fernsehen, Hartz IV-Kalamitäten – welcher Fragen- oder Pro­blem­kreis auch immer – Dein Neben­mann, seltener auch -frau, weiß über alles Bescheid!

Nirgends wird so viel Halbwissen, schlicht dummes Zeug oder gar widerwärtige Gerüchte verbreitet wie am Tresen. Ein aktuelles Beispiel: „So' n Scheiß – jetzt macht auch der „Bresch“ dicht; sicher will der Vermieter wieder mehr Geld haben. Dann gibt es gar keine richtige Kneipe hier in der Gegend ...“ Diese taufrische Information, nebenbei erzählt in einer Winskiez­gast­stätte – irritiert mich – ich mag die „Bresch-Kneipe“ wegen der offenen Atmos­phäre, der bunten Mischung aus Stammkunden und Gelegenheitsgästen, seinem breiten Getränkeangebot und der betont freundlichen Bedienung. 

Ich kann und will nicht glauben, dass dieser Eckstein nun auch geschleift werden soll. In meiner Ungläubigkeit greife ich zum Telefon und erreiche André Voigt und erfahre, dass sein Großvater 1966 das Gasthaus eröffnet hat. Voigt selbst hat die Geschäftsführung vor mehr als 10 Jahren von seinen Eltern übernommen und lacht, als ich ihn mit dem Schließungsgerücht konfrontiere: „Was ein Quatsch! Mein Rentenalter erreiche ich in 15 Jahren - so lange halte ich die Stellung!“

Der heutige U-Bhf. Eberswalder Str. im Jahr 1952,  Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-11182-0003 / Junge, Peter Heinz / CC-BY-SA
Der heutige U-Bhf. Eberswalder Str. im Jahr 1952, Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-11182-0003 / Junge, Peter Heinz / CC-BY-SA

Ob die Danziger Straße zwischen der Greifswalder Straße und der Prenzlauer Allee – 1822 als Feld­weg unter dem Namen „Commu­nication“ entstanden – als Teil des Berliner Innenstadtringes eines Tages auch zur A 100 wird, steht aktuell in den Sternen (jedenfalls (noch) nicht in einem Koalitionsprogramm ...), war aber bereits in den 1950er Jahren so „eingeplant“.

1950 wurde sie für die Dauer von 45 Jahren nach dem bulgarischen KP-Politiker Georgi Dimitroff (1882 - 1949) benannt, der während der Nazidiktatur 1933 zu den Hauptangeklagten im „Reichstags­brand­prozess“ gehörte; schließ­lich mangels Beweisen freigesprochen wurde.

Die Danziger Straße bleibt bis zur Prenz­lauer Allee fast kneipenfrei – die Aus­nahme bildet die kleine Schenke „Na' Omi“, ein kleiner, preiswerter Nach­barschaftstreffpunkt tatsächlich von einer jungen (!) Oma im Interesse ihrer Enkelin und deren Tochter betrieben.

Kultur statt Gaswerk (c)Christian Robbe
Kultur statt Gaswerk (c)Christian Robbe

Nicht weit davon in Richtung Winsstraße taucht „Rodi–Rodi“ auf: Eine Spät­verkaufsstelle mit angeschlossener Gast­wirtschaft (oder umgekehrt), die vor Jahren noch „Zum alten Gaswerk“, später „Sportlerklause“ hieß. 

Diese Namen beziehen sich auf die ab 1874 errichtete „IV. Gasanstalt“ (zu DDR-Zeiten: Gas­werk Dimitroffstraße) und ihre Sport­anlagen. Das Gaswerk wurde zu Beginn der 1980er Jahre stillgelegt und die Anlage bis auf wenige denkmalgeschützte Bauwerke unter Protest­akti­onen gesprengt. Auf dem Gelände wurden anlässlich der 750-Jahrfeier 1987 Wohnungen, kulturelle Einrichtungen und der Ernst-Thälmann-Park errichtet.

Sie werden es nicht glauben: Zwerg Allwissend ist an jeder Theke zu finden! Achten Sie mal bei Ihrem nächsten Gaststättenbesuch darauf!


Christian Robbe (Nov 2011)