LICHTBLICK

25 Jahre Kastanienallee 77

An diesem Haus ist manches anders als bei den Nachbarn. Es gilt als das älteste Haus von Prenzlauer Berg, es ist ein gemeinschaftliches Kunst- und Wohnprojekt. Das Haus Kastanienallee 77 wird 25. Ein Geschichts-Exkurs.

Eigentlich war die Zeit der Hausbesetzungen schon wieder vorbei, damals 1992, im Nachwende-Berlin. Die Schlachten um die Prenzlauer Allee und die Mainzer Straße waren geschlagen, der Runde Tisch Instandbesetzung war ein normales demokratisches Gremium geworden. Doch unverdrossen zogen Ende Juni 25 Menschen mit dem Omnibus, darauf der Schriftzug „Direkte Demokratie“, vor das kleine leerstehende Gebäude in der Kastanienallee 77 und besetzten es. Als Kunstaktion. 

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Hausbesetzung als Kunst: Das Gemeinschaftsprojekt in der Kastanienallee 77 wird 25 Jahre alt. Foto: K77

Und dieses Etikett „Kunstaktion“ rettete ihnen auch den Hals – und das Haus.  „Wir verkauften uns als die netten Künstler von nebenan, die das älteste Wohnhaus in Prenzlauer Berg retteten, auch wenn es irgendwann hieß, dass es noch ein älteres Haus im Bezirk gebe.“, erinnert sich Gereon Asmuth, heute taz-Redakteur und damals Besetzer. Rettung tat tatsächlich not. Asmuth: „Nach sechs Jahren Leerstand war das Haus kaum mehr als eine Ruine, ohne Strom, Gas oder Wasser, die Fenster zugemauert oder vernagelt. Doch weil in der Nachbarschaft die Sanierungswut begann, gab es Materialien zuhauf. Rausgeschmissene Öfen und Fenster wurden recycelt, Strom ließ ein freundlicher Nachbar abzapfen, mit Möbeln wurden wir regelrecht überhäuft.“

Gemeinschaftliches Arbeiten und Wohnen als „soziale Plastik“. Auch, wenn inzwischen eine ganz andere Generation in der Kastanienallee 77 lebt, dieser Gedanke ist geblieben.  30 Erwachsene und Kinder leben derzeit in dem Gebäudeensemble. Gemeinschaftsküche und -räume gehören ebenso zu diesem Projekt wie das Rotationsprinzip: Alle zwei Jahre wechseln die Bewohner ihre Zimmer. 

Auch die Kulturprojekte auf dem Areal – K77 Studios, AK Kraak, Comic-Zeichner, Keramik-Werkstatt – sind von Anfang an Bestandteil des Projektes. Die Menschen leben und arbeiten hier – und lassen andere Kunstinteressierte und Künstler an diesem Dasein teilhaben.

Vorn, im Erdgeschoss des Vorderhauses, ist das Lichtblick-Kino. Mit 32 Sitzplätzen ist es eines der kleinsten Kinos der Stadt, und seine Räumlichkeiten – der ehemalige Verkaufsraum und die Wohnung eines Fleischers – haben einen ganz besonderen Charme. Auch das Kino ist dem Gemeinschafts-Gedanken verschrieben. Es wird im Kollektiv betrieben. 1994 als „Stattkino Berlin e.V.“ gegründet, organisierte das Kollektiv anfangs Filmreihen zu politischen Themen. 1995 wurde das Lichtblick-Kino als ständige Spielstätte in der Wolliner Straße eröffnet. Seit 1998 hat es seine Heimat im Hausprojekt Kastanienallee 77.

Neben aktuellen Arthouse-Filmen bietet das Programm viele Klassiker und regelmäßig Retrospektiven und Werkschauen. Auch dem Dokumentar- und Kurzfilm sowie politisch engagierten Produktionen gibt das Kino breiten Raum. Das Lichtblick war allerdings schon immer mehr als bloßes Kino: Darüber hinaus ist es Brutstätte für viele Projekte und Initiativen in der Berliner Kinolandschaft. Viele ehemalige und aktuelle Mitwirkende sind heute in der Kinobranche aktiv, als Verleiher, Kinobetreiber oder Filmemacher.

-al-, Juli 2017