URBANE KLIMAANPASSUNG

Der Berg schwitzt

Wie viel Klimawandel verträgt Berlin und mittendrin, Prenzlauer Berg? Die jüngsten Hitzetage im Juli lenken den Blick auf ein urbanes Leben, das sich zwischen Wetter-Extremen einrichten muss, zwischen heißen Tagen und tropischen Nächten im Sommer und lauwarmen, nassgeregneten Wintern. Jetzt und künftig. Wie der dicht besiedelte Stadtteil den Klimawandel zu spüren bekommt und wie er sich anpasst.

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Helle Fassaden, grüner Bewuchs: Natürliche Stadtklima-Anlage im Bötzow-Viertel.

Die Stadt ächzt und trocknet aus. Brütet im Dunst der Hauswände und Wohnungen, der Autos und Klimaanlagen, vermischt ihn mit dem Schweiß und der Atemluft der Menschen. Die Luft steht, kein Windzug, von nirgendwo her. Mehr noch, die Luft, unendlich heiß, klemmt sich zwischen die Häuserschluchten und bleibt dort stecken.
Es ist der dritte oder vierte Sommer in Folge, wer weiß das noch, an dem die Temperaturen in Berlin schon in den ersten Juli-Tagen an die 40 Grad heranreichen. Tagelang bleibt es heiß, schmilzt der Asphalt. Die Verletzlichen unter uns Menschen – die Babies, Kranken, Alten – leiden. Wir anderen leiden mit – verbringen die Tage hinter verschlossenen, verdichteten Fenstern, die Nächte ruhelos in der Hoffnung auf Abkühlung. Was bringt dieser Sommer noch? Und was der Herbst und Winter? Die Jahreszeiten verschieben sich, das Klima wandelt zwischen Extremen. Nach der Hitze kommen kühle Tage, Tage voller Regen.
Die Extreme bekommen vor allem die Bewohner der Innenstadtbezirke zu spüren – je dichter gebaut, desto intensiver das Klima. Bis zu 12 Grad wärmer als im Umland ist es in Sommernächten in Prenzlauer Berg, Mitte, Friedrichshain. Unter denen, die mittendrin wohnen, schwitzen die am meisten, die ganz oben leben: In den ausgebauten Dachgeschossen, die sich aufheizen und einfach nicht abkühlen wollen – wenn sie nicht entsprechend gedämmt sind. So verkehren sich die Lebensstile: Als die Wohnblocks in der Gründerzeit errichtet wurden, wohnten die, die es sich leisten konnten, in den ersten und zweiten Stockwerken – hoch genug, um bei Regen nicht überschwemmt zu werden; niedrig genug, um vor Sommerhitze geschützt zu sein. Erst der urbane Lebensstil des 21. Jahrhunderts hat die, die es sich leisten können, nach oben befördert. Mit schöner Aussicht, doch überhitzt.

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Jede Pflanze sorgt für bessere Luft: Von Kindern bestückte Pflanzkästen im Hof des Kulturzentrums „Sebastian Haffner“.

Um etwa 2,5 Grad wird es in Berlin bis 2030 durchschnittlich wärmer, prognostiziert eine Studie, die Klimaforscher im Auftrag des Senats erstellt haben. Im Sommer werden die Hitze- und Trockenperioden häufiger und länger, es gibt mehr „tropische Nächte“; der Winter wird wärmer und feuchter. Mit den Temperaturen steigt die Tendenz zu heftigen Regenfällen. Zu dieser globalen Erwärmung kommen weitere menschengemachte Klima-Folgen. Der wachsende Stadtteil, die boomende Stadt Berlin mit ihm, verdichtet und versiegelt Flächen. Der Raum wird enger, die Luft noch heißer. Ein Problem, das deutsche Großstädte und europäische Metropolen mit der Bundeshauptstadt teilen. Ebenso die Suche nach Strategien einer urbanen Klimaanpassung, die Wachstum und lebenswertes Stadtklima vereinen. Hamburg etwa, die gern mit Berlin um Pioniergeist und Innovation ringende Elbmetropole, hat ein einleuchtendes Klima-Konzept.
Das Zuviel an Wasser, das zunehmende starke Regenfälle bringen, will die Stadt oberirdisch leiten, in Mulden, Senken, Teichen sammeln und zur Abkühlung heißer Tage nutzen. Berlin baut gesamtstädtisch seine Kanalisation aus. Wassersensible Bewohner von Prenzlauer Berg indessen nutzen aufgefangenes Regenwasser für ihre Toilettenspülung. Großflächige Überflutung durch Starkregen ist für Prenzlauer Berg bisher weniger ein Problem, anders etwa als im Norden Pankows. Aber die Hitze und die stehende, nicht weichen wollende sonnenheiße Luft.
Helle Fassaden, die Sonnenlicht reflektieren und damit die Temperatur mindern; Entsiegeln von Flächen und Renaturierung zu grünen Lungen und Regenwasserspeichern; Dach- und Fassadenbegrünung, das empfiehlt der Stadtentwicklungsplan Klima, den Berlin 2011 aufgestellt hat. Das Instrument formuliert laut zuständiger Senatsverwaltung „Abwägungs- und Steuerungsaufgaben“ einer klimaschützenden und klimaangepassten Bau- und Entwicklungsplanung. Diese konkret vor Ort und in den Kiezen umzusetzen, sei Sache der Bezirke. Das Baurecht schreibt zudem nicht nur Energieeinsparung zur Minderung des Treibhauseffektes vor, es lässt auch für durch Neubauten versiegelten Grund und Boden Ausgleichspflanzungen bzw. Ausgleichsfreiflächen schaffen. „Das ist ein Riesenproblem, so viele Flächen gibt es ja nicht,“ sagt Pankows zuständiger Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner. Oft müssten diese Flächen dann außerhalb des Stadtteils gesucht werden. Insgesamt sei der Bezirk in Sachen Klimaanpassung indes „gar nicht so schlecht. Es gibt viele Einzelaspekte, aber kein Konzept.“, sagt Kirchner. Einer dieser Einzelaspekte: Kleingartenanlagen sind geschützt und dürfen nicht zum Bauland werden. In Weißensee entsteht derzeit eine neue. Die Frischluft-Produktion wird nach draußen, hinter die Stadtteilgrenze, verlegt.

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Mehr extreme Regengüsse, längere Hitzeperioden: Klimaforscher sagen für Berlin eine Zunahme der Wetterextreme voraus. Fotos (3): al

Mittendrin gibt es die vielen klimabewussten Menschen. Die sich brachliegende Flächen aneignen  und urban begärtnern. Die Mauergärtner am Mauerpark etwa, deren Gemeinschaftsbeete an der Bezirksgrenze zum Wedding gut fürs ökologische und fürs soziale Stadtklima ist. Als „Modellprojekt für eine produktive Stadtlandschaft und für den Wandel zur postfossilen Gesellschaft“ verstehen sich die Hobby-Gärtner. Sie suchen mit ihrer Praxis des grünen Mikrokosmos nach Lösungsansätzen fürs Globale, nachhaltig. Mit solchen Modellen nimmt der Stadtentwicklungsplan Klima die Berlinerinnen und Berliner in die Eigen-Klima-Verantwortung. Ihr Nachteil: Sie sind temporär. Gibt es für die Brachflächen neue Absichten, verschwinden die urbanen Gärten wieder.
Es gibt mittendrin auch diejenigen, die neben der Verantwortung für das Klima im eigenen Kiez auch  Verantwortung für das große Ganze übernehmen. Die Anwohner-Initiative Thälmannpark etwa bewirtschaftet das Grün um ihren Teich und stellt das Konzept eines neuen Grünzugs entlang der S-Bahn-Trasse der Ringbahn auf, stemmt sich gegen Bebauungspläne, ebenso wie die Bürger-Allianz, die den nördlichen Mauerpark als grüne Lunge erhalten bzw. schaffen will. Neue Erholungsräume, großflächige natürliche Klima-Anlagen. 
„In der gegenwärtigen Stadtplanung ist die Anlage neuer, großzügiger und vielfältiger Landschaftsparks als Erholungsraum praktisch nicht mehr realisierbar“, sagt hingegen Karen Thormeyer, Vorsitzende der Grünen Liga Berlin. Und lenkt – ähnlich dem Stadtentwicklungsplan Klima – von der Vision großer Flächen auf das unmittelbare Wohnumfeld, ins Innere der Gründerzeithäuser. Hier, in den Höfen, kann die Luft zirkulieren, die Stadt durchatmen. Wenn sie frei und grün sind. Die Grüne Liga rief vor vier Jahren das 100-Höfe-Programm ins Leben, das urbane Gärtner im Innenhof unterstützt. Grüne Klima-Oasen sind so u.a. in der Rykestraße, an der Pappelallee, in der Schliemann- und Christburger Straße entstanden.
Glaubt man Thormeyer, dann zählt fürs bessere, angepasste Stadtklima jede Pflanze: „Die Oberfläche jedes Blattes bindet Feinstaub und Co2 und verdunstet Wasser, was zur Klimakühlung beiträgt.“
Katharina Fial, August 2015

Eine Ausstellung zum Thema: “Natur Entdecken“ zeigt bis zum 7. Februar 2016 gestaltete Frei- und Grünflächen in Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee, im Kulturzentrum „Sebastian Haffner“, Prenzlauer Allee.