ALLTAG

Facetten der Nachbarschaft

Prenzlauer Berg rückt enger zusammen. Im wachsenden Stadtteil teilen sich immer mehr Menschen immer weniger Raum. Das schafft Platz für Konflikte – wie im Mauerpark – oder Raum für neue Begegnungen. Über die Facetten von Nachbarschaft.

 

Szenario Eins. Ein kleiner Zettel an der Haustür. Liebe Nachbarn, steht darauf, seit mehreren Monaten liegt der Spielplatz brach. Wollen wir uns zusammentun und gemeinsam Druck machen, damit neue Klettergerüste aufgebaut werden? Dazu eine Telefonnummer. Und eine handgeschriebene Kritzelei, als Ergänzung: Vielleicht sollten die Kinder auch Druck machen, um deren Spielplatz geht es schließlich.

Szenario Zwei. Eine mediale Welle nach einem seit Monaten schwelenden Konflikt. Die Freunde des Mauerparks sagen nach 15 Jahren die Friedliche Walpurgisnacht 2019 ab – auf allen Kanälen. Die Walpurgisnacht ist das Nachbarschaftsfest in Prenzlauer Berg schlechthin. Die Feier in der Nacht zum 1. Mai steht für alles, womit sich der Prenzlauer Berg gern schmückt. Sie ist ein Mix der Kulturen, der Begegnungen von hier Lebenden und Besuchern, Kunst und Kultur – ein Miteinander in einem friedlichen, fröhlichen Ritual. Die Freunde des Mauerpark sagen das Fest ab, weil sich die Nachbarn beschwert haben. Zu laut, zu lärmig, zu dreckig. Die Auflagen der Polizei waren zu hoch, begründet Alexander Puell, Vorsitzender der Freunde des Mauerparks und Organisator des Festes. Keine verstärkte Musik war aufgrund der Anwohner-Beschwerden gestattet, kein gemeinsames Feuer – genau das, was die Walpurgisnacht in den Jahren zuvor ausmachte. Zur Erinnerung: Das Fest wurde von engagierten Nachbarn einst ins Leben gerufen – als Zeichen gegen gewalttätige Ausschreitungen, wie sie auch in Prenzlauer Berg in der Nacht zum 1. Mai stattgefunden hatten. 

Mauerpark Berlin Prenzlauer Berg
Friedvoll war die Walpurgisnacht-Feier im Mauerpark viele Jahre lang. In diesem Jahr wurde sie wegen Anwohner-Beschwerden abgesagt. Foto: FdM

UNTERSCHIEDLICHE BEDÜRFNISSE

Nachbarn, die sich belästigt fühlen – und Kulturschaffende, die Musik machen wollen und gemeinsam feiern – im Mauerpark treffen die unterschiedlichen Bedürfnisse aufeinander. Und scheinen von einer Lösung weit entfernt, obwohl es seit einigen Monaten einen Runden Tisch mit allen Beteiligten gibt. Denn auch von den sonntäglichen Konzerten fühlen sich Anwohner belästigt. 

Der Mauerpark-Konflikt zeigt eine Tendenz auf, die es seit einigen Jahren in Prenzlauer Berg gibt – und die vor allem die kulturelle Szene trifft. Mehr Bewohner, neue Nachbarn neben Klubs und Bars sorgen mit Beschwerden dafür, dass solche Einrichtungen sich immer weiter einschränken oder ganz schließen müssen. Oder um ihre Existenz bangen: Als entschieden war, dass die Groth-Gruppe im nördlichen Mauerpark ein neues Wohnquartier errichten wird, sorgte sich die kleine Jugendfarm Moritzhof, die neuen Bewohner könnten sich von den Tieren und deren Geruch, von den lärmenden, fröhlichen Kindern belästigt fühlen.

Nachbarn Berlin Prenzlauer Berg
Symbol des Miteinanders: Die Wimpelkette auf der Choriner Straße verbindet die Nachbarn. Foto: CSF

DIE GARTENZAUN-KULTUR

Das sind Nachbarschafts-Konflikte, die wir Prenzlauer Berger gern als Gartenzaun-Streitigkeiten in der Provinz verorten. Und jetzt auf die Provinzler schieben, die in den Stadtteil gezogen sind. „So viele Schwaben gibt es ja gar nicht in Prenzlauer Berg und es macht ja nicht einen Schwaben aus, dass er gegen alles ist“, weist Alexander Puell solche Klischees von sich. „Es gibt in jeder Bevölkerungsgruppe solche und solche“. Früher war der Prenzlauer Berg eher: Leben und leben lassen.

Immer mehr Menschen in Deutschland wünschen sich eine gute Nachbarschaft. Eine Studie des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap ergab: 60 Prozent der Erwachsenen wollen besseren Kontakt zu ihren Nachbarn. Das wünschen sich GroßstädterInnen ebenso wie Menschen vom Land. Aber was macht eine gute Nachbarschaft aus? Der Zusammenschluss von benachbarten Eltern für ihren Spielplatz, der Zusammenschluss für ein gemeinsames Ziel? Oder: Neugier, Interesse an und Toleranz für die Menschen nebenan? „Unsere Vision ist eine Gesellschaft, die ein offenes und solidarisches Miteinander alle Bewohner im Viertel einschließt und in der Nachbarn für ihr Lebensumfeld die Initiative ergreifen.“, schreibt die Stiftung neben.an, die in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal zum Tag der Nachbarn aufruft: der 24. Mai steht deutschlandweit offen für Begegnungen, Aktionen und Feste: „Für mehr Gemeinschaft, weniger Anonymität und eine Nachbarschaft, in der wir uns zu Hause fühlen.“

Auch Menschen aus Prenzlauer Berg machen mit. Privatleute aus dem Kollwitz- oder dem WinsKiez, die zum nachbarschaftlichen Picknick einladen. Der Straßenfeger in der Oderberger Straße, der vor seine soziale Einrichtung Tische stellt und zum gemeinsamen Tafeln einlädt. Ein Musiker am Arminplatz, der Lust auf gemeinsames Musizieren hat. Oder ein Cafe in der Dunckerstraße, das seine Türen für Musik, Essen und Trinken öffnet – und Nachbarschaftspreise für selbst gemachtes Eis anbietet.

Nachbarn Berlin Prenzlauer Berg
Begegnungen schaffen unterschiedlicher Kulturen und Generationen will der Tag der Nachbarn am 24. Mai. Foto: nebenan

MITEINANDER LEBEN

Szenario Drei. Das unaufgeregte Miteinander. Es braucht diesen einen, offiziellen Tag der Nachbarn nicht wirklich – auch, wenn er ein guter Anlass für neue Formen des Kennenlernens sein kann. Anwohner-Initiativen feiern im gesamten Stadtteil bereit seit vielen Jahren regelmäßig Nachbarschaftsfeste. Allen voran die Choriner Straße das gleichnamige Straßenfest, das im vergangenen Jahr bereits zum 22. Mal stattfand. Allen Auflagen, finanziellen Sorgen und Veränderungen zum Trotz stellt ein kleines Organisationsteam immer wieder aufs Neue ein Fest zusammen, auf dem sich die Nachbarn einander mit ihrer Neugier und ihrem Interesse präsentieren, ein „nicht-kommerzielles Nachbarschaftsfest zur Förderung der Kiezkultur“, wie die Organisatoren in ihrem Selbstverständnis schreiben. Entstanden ist das Fest übrigens 1995, weil sich die Anwohner vom zunehmenden Straßenverkehr und -lärm belästigt fühlten – und kurzerhand die Straße für einen Tag zum Feiern sperren ließen. 

Aber es gibt eben auch die konfliktreichen Beispiele. Die einer Lösung bedürfen, will der Stadtteil seinen Ruf als toleranter, weltoffener Kiez gerecht werden. Nochmal die Organisatoren der Walpurgisnacht: „Dieses Jahr wird das Team im privaten Rahmen an einem anderen Ort die Walpurgisnacht friedvoll feiern – frei und selbstbestimmt! Wie in diesem Jahr die Walpurgisnacht im Mauerpark und mit den Anwohnern verlaufen wird, bleibt nun den Launen des Schicksals überlassen.“

-al-,  Mai 2019