Hollywood am Helmholtzplatz

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin Helmholtzkiez
Früher Kinos, heute Tischtennis

Mein Kumpel Peter erzählte mir Unglaubliches! Ursprünglich sei einmal die kleine Naugarder Straße als Ausfallstraße Richtung Prenzlau gedacht gewesen. Übrigens die einzige Straße in Berlin, an der Magnolien „Tulpenbäume“ stehen (die derzeit Früchte tragen). Dass die Prenzlauer Promenade eigentlich die direkte Verlängerung der Naugarder Straße ist, sieht man auch auf Karten. Und genau an dieser Ecke, Naugar­der/Rietzestr., habe es einst in der Stummfilmzeit und wohl bis 1961 ein Kino unter wechselndem Namen gegeben.

Was insofern nicht ganz abwegig ist, denn in Weißensee lagen vor dem Boom in Babelsberg die größten Film­studios Deutschlands, als direkte Konkurrenz zu Hollywood, das damals noch ein verschlafenes, unbedeutendes Nest war. Und während man in Weißensee bereits 1906 einen höheren Filmausstoß als Holly­wood hatte, war an Babelsberg, 1911 gegründet, noch gar nicht zu denken.


Überhaupt wurde ja in Prenzlauer Berg Filmgeschichte geschrieben.

Max Skladanowsky (* 30. April 1863 in Pankow bei Berlin; † 30. Novem­ber 1939 in Berlin) war ein Weg­bereiter des Films. Mit seinem Bruder Emil (1866–1945) entwickelte er das Bioscop, mit dem sie am 1. Novem­ber 1895 erstmals kurze Filmsequen­zen vor einem zahlenden Publikum projizierten. Mit dieser Pionier­leis­tung gingen Skladanowskys in die Filmgeschichte ein. Die ersten Auf­nah­men wurden vom Dach des Hau­ses Schönhauser/Kastanienallee gedreht. Noch heute ist jener Blickwinkel auf diese quirlige Kreuzung bei Filmemachern, Fotografen und bildenden Künstlern hoch begehrt und diente u. a. für ein von Kosak gemaltes Cover-Bild für den Sampler „Zwischen Prenz­lauer Berg und Mont Klamott“, die anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins im Jahre 1987 veröffentlicht wurde.

Rund um den Helmholtzplatz, so die Berichte meines Vaters, gab es nach dem Krieg wohl mehr als ein Dutzend „Flohkisten“, kleine Kinos für's schmale Portemonnaie. In denen gab es kein Popkorn und in den seltensten Fällen Getränke und ans läutende Mobiltelefon war damals noch gar nicht zu denken, aber echte Flöhe gab es garantiert. Kinos waren u. a. vorn in der Pappelallee (wo heute ein Verlag residiert), dann Schliemann/Raumerstr. (wo heute Edeka ist) in der Lettestraße; in der Lychener gleich mehrere. Mein Vater erzählte etwas von den „ärmeren Leuten“, die wohl vor allem in der Lychener wohnten. 

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Mitten auf dem Helmi

Der Prenzlauer Berg war auch noch nach dem Krieg etwa dreimal dichter besiedelt als heute. Eine Bekannte erzählte mir jüngst etwas von ca. 450.000 Einwohnern im Jahre 1920, nach dem Krieg und bis in die frühen 60er Jahre hinein waren es noch etwa 325.000 Menschen, um 1989 herum etwa 139.000. Familien mit vier bis sechs Kindern teilten sich Stube und Küche. Das Gemeinschaftsklo war eine halbe Treppe tiefer oder sogar auf dem Hof. Um dieser bedrückenden Enge zu entgehen, brachen die Männer nach Feierabend meist in die nächste Kneipe auf, in der es allerdings meist auch kuschelig eng war. Die letzte wirkliche Kneipe im gesamten, mittlerweile auf Schickimicki getrimmten Kiez, ist SPEICHES Musiker-Kneipe in der Raumerstraße. Speiche ist eine Berliner Musikerlegende, die sich mit dieser Kneipe einfach nur ein zweites Standbein aufgetan hat. Hin und wieder steht er in seinem eigenen Laden auch selbst hinter der Theke. Rockradio.de sendet von hier aus jeden Dienstag ab 18.00 Uhr live mit mobilem Studio, im Programm immer ein interessantes Interview mit jungen oder gestandenen Musikern.

Zurück zum Kino: Junge Pärchen, die allein sein wollten, verdrückten sich weit vor und nach dem Krieg in eine dieser kinematographischen Flohkisten, die diesen Namen sicher nicht ganz zu Unrecht trugen. Gab es bis zum Kriegsende noch Goebbelssche Propagandaschinken und leichte Unterhaltung zum Durchhalten für den Endsieg, so liefen nach dem Krieg sowjetische Propagandaschinken und russische Heimatfilme, die zwar deren melancholischer Seele entsprachen, aber kaum deutsches Publikum lockten, wenn manN nicht gerade mit der neuen Flamme ungestört sein wollte. … und der Wedding, in dem billige Western und kleine Gangsterfilme lockten, war ja auch noch in Reichweite.

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Friedhofspark in der Lychener Straße

Und man darf nicht die Macht der Filmnachrichten vergessen! Bis Kriegsende mit der „Wochenschau“, nach dem Sieg über Hitler - im kalten Krieg - mit der „Neuen Deutschen Wochenschau“, der „Fox-Tönende-Wochenschau“, „Welt im Film“ und vielen anderen im Westberliner Teil. In Ostberlin hieß es „Der Augenzeuge“. Er erschien mit einer Länge von 15 Minuten vom 19. Februar 1946 bis zum 19. Dezember 1980 (Ausgabe 52/1980). Vor dem eigentlichen Hauptfilm lief die Wochenschau, im Westberliner Kino danach Cartoons und Werbung … Und natürlich war es im Kino auch warm, gerade im Hungerwinter 45/46 wichtig, als so viele froren.

Von der einstigen Kinovielfalt ist nicht viel geblieben. Selbst das „Blow up“ in der Immanuelkirchstraße ist vor einigen Monaten geschlossen worden. Kino gibts im Prenzlauer Berg nur noch in der Kulturbrauerei, im Colosseum, Am Friedrichshain, im „Filmcenter“ in der Schliemannstraße gegenüber vom „Intersoup“ und das kleine Kino Krokodil in der Greifenhagener Straße, dass ausschließlich Filme aus Russland und Osteuropa zeigt. 

Kino - also kleinere Filmveranstaltungen - gab es, so ich mich recht entsinne, bis vor einigen Jahren auch gelegentlich in der „Seniorenbegegnungsstätte Herbstlaube“. Mittlerweile ist die Herbstlaube insgesamt wieder einmal an einer Insolvenz vorbei geschrammt.

Was den Helmholtzkiez für viele Zugezogene vermutlich etwas abstoßend macht, ist die auf dem Platz noch immer vorhandene so genannte „Trinkerszene“. Durch sie wirkt allerdings die Gegend noch nicht ganz so angepasst und glatt gebügelt, was mir persönlich das Leben dort wieder sympathischer macht.

Und ein letztes Mal möchte ich Sie heute mit dem Medium Film in diesem Kiez konfrontieren. Mein absoluter Lieblings-Berlin-Film „Sommer vor'm Balkon“ wurde überwiegend im Eckhaus Duncker-/Raumerstraße, dort in der obersten Wohnung und auf deren Balkon und auch in der Apotheke gleich gegenüber gedreht. Wolfgang Kohlhaase (Buch) und Andreas Dresen (Regie), setzten in diesem Film aus dem Jahre 2005 mit sehr schmalen Mitteln die immer  wiederkehrenden Ereignisse im ganz normalen Leben junger Berlinerinnen als exzellente Milieustudie um. 

Rolf Gänsrich (Okt 2011)