Auf den grenzen des Stadtbezirks (Teil 45)

an der Bernauer Straße T1/3)

Bernauer Straße / Schwedter Straße, da entlang verlief ab dem 13. August 1961 das, was Walter Ulbricht auf einer Pressekonferenz am 15. Juni 1961 mit „Mauer“ („Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten!“) und später auch die ganze Welt so bezeichnete und was ich als „antifaschistischer Schutzwall“ kennengelernt hab. Es soll ja Leser geben, die meine persönlichen Geschichten zu den einzelnen Punkten lieben. Hier sind dazu gleich drei. Nur wenige Tage nach dieser Pressekonferenz und am selben Datum im Jahr, wie der Verursacher dieses Satzes wurde ich geboren. Vermutlich nuschel ich deshalb so. Am Donnerstag, den 10. August 61 war meine Mutter mit mir noch bei ihrer Oma in der Uhlandstraße in Charlottenburg. Sie erzählte mir Jahrzehnte später, dass sie genau an diesem Tag überlegt hatte, eventuell übers Wochenende, also bis einschließlich Sonntag dort zu bleiben, konnte aber meinen Vater nicht erreichen, um ihm Bescheid zu geben. So kehrten wir am selben Tag wieder nach Hohenschönhausen zurück. Als im Frühjahr 1990, das genaue Datum kann ich nicht nachvollziehen, aber es muss vor März 90 gewesen sein, die Mauer an der Bernauer Straße wieder geöffnet wurde, warnte mich mein Vater vor: „Du, ich komm da mal besser mit dir mit. Das sieht da im Wedding schlimmer aus als bei uns am Prenzlauer Berg.“ Wir fanden Neubauten, aber auch wie vor dem Mauerbau in der Bernauer Straße, Buden für Nippes und Kitsch und Wechselstuben. 

#oderberger #bernauer #prenzlauerberg
An der Ecke zur Oderberger Straße beginnt die Bernauer Straße. Hier stand vor dem Mauerfall auch ein sog. Winkturm, eine Holzkunstruktion, die ermöglichte, über die Mauer hinweg in den Osten zu schauen. Foto: rg

Heute sind ja Oderberger und Schwedter Straße zusammengelegt und dort, wo sie auf die Bernauer stoßen, ist ein schöner, kleiner Platz entstanden. So ich mich recht entsinne, kam man in der Schwedter Straße, ohne Wochen vorher beantragten Passierschein, nur bis zur Ecke Rheinsberger Straße. Das Stück bis zur Kremmener Straße war bereits Sperr- und Grenzgebiet, in dem sich nur noch Menschen aufhalten durften, die dort auch wohnten. Eine Verbindung zur Oderberger Straße gab es nicht, sodass die Schwedter hier als Sackgasse endete. Dass sie von dort aus theoretisch noch bis zur Ringbahn führte, war auf Stadtplänen nicht mehr verzeichnet. 

Anders war es in der Oderberger Straße. Ab der Einfahrt zur Feuerwehr standen große Betonpflanzkübel auf der Fahrbahn, die so dicht aneinander standen, dass sich noch ein Notarztwagen hindurch schlängeln konnte, aber für LKWs war es zu eng. Das hatte einen Grund! Bis 1988 betrug der Abstand zwischen Hinterland- und vorderer Grenzmauer an der Ecke Oderberger / Eberswalder Straße kaum zwei Meter und man hatte deshalb Angst, dass es hier Grenzdurchbruchsversuche mit LKW geben könne. Der sonst doch recht breite „Todesstreifen“ beherbergte an dieser Stelle nur den Postenweg und etwas Stacheldraht. Im Gegensatz zur Schwedter Straße jedoch kam man als Fußgänger von der Oderberger in die Eberswalder Straße hinein. Diese Ecke hier war bis zum Fall der Mauer die einzige Stelle, an der man als Normalbürger ohne Passierschein bis an die Hinterlandmauer heran kam. Westberlin war man nie näher.   

Rolf Gänsrich, September 2020

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