KOLLWITZSTRASSE/CHORINER STRASSE

Die unendliche Geschichte vom Entmieten

Abgebrochene Namensschilder und fehlende Mülltonnen; von undurchsichtigen Planen umhüllte Baugerüste; Buttersäure, die durch Türschlösser in die Wohnungen gespritzt wird – die Liste der Schikanen, die sich Eigentümer oder Projektentwickler einfallen lassen, um Mieter aus ihren Häusern zu vertreiben, ist lang. Aktuell sind Mieter in der Kollwitzstraße 2 betroffen.

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Das Eckhaus Kollwitzstraße2/Straßburger Straße: Beliebter Treffpunkt, gern bewohntes Haus. Die Mieter sehen sich dubiosen Entmietungsversuchen gegenüber. Foto: al

Es gibt Geschichten, die in die Vergangenheit gehören und dort nicht ruhen wollen. Mehr noch, die wie als Fortsetzung im Heute wiederkehren, sich wiederholen. Die Beteiligten sind andere, die Orte liegen nicht weit voneinander entfernt, die Szenarien ähneln sich. All diese Geschichten tragen ihre Entwürdigung bereits im Namen: Entmietung.
„Ja, auch dieses Haus wurde verkauft/Ja, es ist noch halbvoll/Ja, WIR wollen hier wohnen bleiben/
 Ja, WIR haben 10 Kinder/ Ja, der Hinterhof ist so klein/ Ja, WIR sind der Meinung, dass in diesem Haus Mietrecht und Milieuschutz zur Geltung gebracht werden können/Ja, die Schönhauser Allee ist laut/Nein, WIR haben keine Tiefgarage/Ja, WIR brauchen EUCH als Unterstützer!“ Fast poetisch klingt der Aufschrei der BewohnerInnen der Kollwitzstraße 2. Seit einigen Monaten ist das Haus im Ausnahmezustand, sind die Mieter beunruhigt und in ihrem Wohnen beeinträchtigt.
Begonnen hat es damit, dass ihre Wohnungen auf einschlägigen Homepages von Immobilienmaklern als Eigentumswohnungen offeriert wurden. Die Bewohner wurden davon überrascht, dann kam ein Baugerüst, auf dem sich monatelang nichts tat. Dann gab es weitere Ungereimtheiten. Plötzlich waren die Namensschilder verschwunden, dann die Tonnen für Papiermüll. Ein erster Wasserschaden zeigte sich an einer Wohnungsdecke, Baudreck wurde nicht weggeräumt. Die neuen Eigentümer erteilten Abmahnungen ob vermeintlichen Fehlverhaltens, drohten im Wiederholungsfall mit Kündigung.
Mieterverein, Mieterforum Pankow und der zuständige Bezirksstadtrat schalteten sich. Es gab und gibt viel öffentliche Aufmerksamkeit und ein Protest-Sit-In, zudem die unsichere Ungewissheit: Das Haus liegt im Milieuschutzgebiet, in diesem gilt die Umwandlungsverordnung. Nach der dürfen Mietwohnungen nicht mehr einfach in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Ob das die neuen Eigentümer wissen, die auch in einem anderen Berliner Stadtbezirk mit ihren rohen Entmietungs-Versuchen Schlagzeilen machten?

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Das Haus Choriner Straße 33: Heute ein typisch saniertes Haus. Dahinter steckt eine weitere Geschichte von Altmieter-Vertreibung. Foto: promo belle epoque

Die Meldungen und Aktionen in der Kollwitzstraße 2 bleiben widersprüchlich, der unsichere Schwebezustand des Hauses hält an. In ihrem Blog listen die Mieter die Ereignisse chronologisch auf und bitten um Unterstützung. www.kollwitzstrasse2.de
Ein paar Jahre zurück, ein paar Straßen weiter. Wie sich die Geschichten und die Bilder ähneln: Ein Foto zeigt drei junge Menschen, draußen, vor ihrem Haus in der Choriner Straße 33, bei einem Demo-Frühstück. Vor ihnen eine Kaffeekanne, hinter ihnen ein Protest-Transparent. Drei von vielen jungen Menschen machen öffentlich, was in ihrem Haus geschieht. Auch in der Choriner Straße tropfte, nein, rann Wasser irgendwann in die Wohnungen, weil das Dach aufgerissen war und das Haus schutzlos dem Regen ausgeliefert blieb. Auch hier stand monatelang ein Baugerüst mit Planen, auf dem sich monatelang nichts tat. Dann klingelten dubiose Trupps an den Wohnungstüren und fragten, wann die Insassen denn nun ausziehen wollten. Dann floss stinkende Buttersäure durch Schüssellöcher und machte die Wohnungen tagelang unbewohnbar. Die Mieterinnen und Mieter, junge Leute, Akademiker, ähnlich den Bewohnern in der Kollwitzstraße 2, harrten aus. Trotz all der dubiosen Störungen und Entmietungsversuche, trotz vieler finanzieller Abfindungsangebote. Es war ja ihr Haus, vor dem sie sich abends zum Musikmachen und Schwatzen trafen, es war ihre Straße, auf deren Brachflächen sie sich niederließen.
Sie harrten aus, bis nichts mehr ging. Bis die Polizei, mehrmals herbeigerufen, auch nicht helfen konnte. Die Schikanen hörten einfach nicht auf.

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Protest aus alten Tagen: Mit einem Demo-Frühstück und anderen Aktionen wehrten sich die Mieter der Choriner Straße 33 gegen Schikanen und Entmietung. Foto: Archiv

Nahezu harmlos wirkt sich da ein Fall von Entmietung in der Christburger Straße aus, geschehen vor drei Jahren. Die Nachricht vom Eigentümerwechsel kam per sms, sonntags. Dann folgten Anrufe, Briefe, emails. Die ersten Drohungen, die ersten Fristsetzungen. Absurde Argumente, die die Mieter der beiden Wohnungen unter moralischen Druck setzen sollten. Verweigerung notwendiger Reparaturleistungen. Immer wieder das Beharren darauf, dass die beiden Wohnungen, zusammen rund 200 m2 Fläche, Eigenbedarf für eine dreiköpfige Familie seien. Dann gab der erste Mieter auf, dann letztlich, drei Tage vor dem Gerichtstermin, zu dem die Kündigungsklage verhandelt werden sollte, die zweite Mieterin. Die Aussichten, den Prozess zu gewinnen, tendierten gegen Null.
In der Choriner Straße kam es nicht zu offiziellen Gerichtsverhandlungen. Dennoch gaben sie auf, nach mehr als eineinhalb Jahren Wohnen im Ausnahmezustand. Irgendwann, als das Wasser in die Wohnungen lief, als der Schimmel in die Wohnungen zog. Als die Schikanen immer unerträglicher wurden, da zog die Hausgemeinschaft geschlossen aus. Die jungen Menschen nahmen die Abfindung und zogen weg, in alle Himmelsrichtungen. In Prenzlauer Berg lebt kaum einer von ihnen noch. „Wir hatten keine Chance“, sagt einer von ihnen, und beschreibt damit nach über zehn Jahren jene Ohnmacht und Wut, die entsteht und bleibt nach der Erfahrung von Entmietung. „Wir waren einfach nicht mehr selbstbestimmt.“
Katharina Fial, September 2015