Einladung in die Stille

Im einstigen Katharinenstift auf der Greifswalder Straße leben  und arbeiten Herz-Jesu-Priester. Bilder (3): Herz-Jesu-Priester.
Im einstigen Katharinenstift auf der Greifswalder Straße leben und arbeiten Herz-Jesu-Priester. Bilder (3): Herz-Jesu-Priester.

Sie schreiben Kiezgeschichte und Kiezgeschichten: Die Menschen und die Orte, an denen sie leben oder arbeiten. Diese Geschichten können so vieles sein: Absurd oder liebenswert, voll Dramatik oder ganz alltäglich. Wie das Leben eben. Eine dieser Kiezgeschichten spielt sich hinter Kloster­mau­ern ab. Im Katharinenstift auf der Greifs­walder Straße, an der Grenze des Bötzow-Viertels zum Wins­kiez.
Es ist etwas Besonderes um diesen Ort. Hinter einer Toreinfahrt, hinter einer grauen Fas­sa­denreihe liegt ein stilles Backstein­en­semb­le. Die wenigen Schritte hinein sind wie eine Zeitreise. Mit der Zeitenschwelle wird zugleich eine Geräusch­mauer durchschritten. Straßenlärm und Tram­geklingel auf der einen Seite, draußen. Ruhe drin­nen auf der anderen Seite. 
Wir sind auf der Greifswalder Straße 18, ein Aufsteller draußen lädt nach drinnen. Im ersten Hinterhof steht die kleine rote Backs­tein­kirche „Mater Dolorosa“, wie das gesamte Ensemble erbaut Ende des 19. Jahr­hun­derts. Im zweiten, verwinkelten Hinterhof ist neben einer katholischen Schule der Aufgang zum Kloster. Ja, Kloster. Im Katharinenstift, dem einstigen Sitz karitativer Nonnen, leben seit knapp einem Jahr sechs Or­densmänner. Sie stammen aus Brasilien, Polen und Deutschland und bilden eine internationale Kommunität der Herz-Jesu-Priester. Sechs multikulturelle Katho­li­ken in der Diaspora des multikulturellen und -religiösen Berlins.
Ihr Herz-Jesu-Kloster ist ein Kloster und doch kein Klos­ter. Zur morgendlichen Runde erscheinen Pater Tar­cisio Darros Feldhaus, Pater Rys­zard Krupa und Pater Markus Mönch in Zivil. Ein­ziger Schmuck des schlichten, freund­lichen Wohnzim­mers ist ein Jesus am Kreuz an der Wand, um den Hals tragen die Männer ein Kreuz mit einem Herzen darin. Die Herz-Jesu-Brüder haben ihr morgendliches Gebet hinter sich, es wird täglich um 7 Uhr öffentlich in der „Mater Dolo­rosa“ abgehalten. Die Brüder haben gemeinsam gefrühstückt. Jetzt geht es für sie und ihre drei Mitbrüder an die Arbeit. Sie verbleiben nicht in stiller Andacht und Gebet in ihren Klosterräumen, sie gehen raus.

Aus drei Ländern nach Berlin gekommen: Die Herz-Jesu-Priester vom Bötzow-Viertel.
Aus drei Ländern nach Berlin gekommen: Die Herz-Jesu-Priester vom Bötzow-Viertel.

„Zu den Menschen gehen“, hat Ordensgründer Leo Dehon im Frankreich des ausgehenden 19. Jahr­hunderts seinen Gottesdienern mit auf den religiösen Weg gegeben. Inzwischen tun das 2.200 Brüder auf der ganzen Welt, 50 in Deutschland, sechs in Berlin. Sie arbeiten als Seelsorger und Pfarrer in Gemeinden oder im Krankenhaus, sie mischen sich bei Kiezfesten und Vereinstreffen unter die Bewohner und Bewoh­nerinnen.
„Zu den Menschen gehen“ – das heißt für die Herz-Jesu-Brüder auch, in die Alltags-Themen der Men­schen zu gehen. Für die Kirche, der der Daseins­zweck abhanden zu kommen scheint, keine leichte Aufgabe. Erst recht nicht im Prenzlauer Berg.
„Auch die Glücklichen brauchen in ihrem Alltag Orte der Stille und der Ruhe“, sagt Markus Mönch, der als Gemeindepfarrer die rund 7.000 Mitglieder der Gemeinde Corpus Christi in der Conrad-Blenkle-Straße betreut.
Auch im Kiez gibt es sozial Schwache und Hilfebe­dürftige, auch, wenn man sie nicht auf den ersten Blick sieht, sagt Pater Ryszard Krupa. Für sie die Tür zu öffnen, für ihre Sorgen ein offenes Ohr zu haben, dem hat vor allem der Pole sich verschrieben.
„Wir helfen oft auch bei Verständigungs­schwie­rig­keiten unserer portugiesischsprachigen Gemeinde­mit­glieder“, sagt Tarcisio Darros Feldhaus, der der Ge­meinde und dem Kloster vorsteht. Rund 3.300 Men­schen aus Berlin und dem Umland vereint diese Gemeinde. Sie entstammen allen portugiesischsprachigen Ländern, kommen zum wöchentlichen Gottes­dienst in die Greifswalder Straße und lassen sich von ihrem Seelsorger auch helfen, wenn ihre deutschen Sprachkenntnisse nicht ausreichen, etwa bei der Kommunikation mit Ämtern und Behörden.

Gottes Segen für Kaninchen und Plüschhasen in der Kirche „Mater Dolorosa“.
Gottes Segen für Kaninchen und Plüschhasen in der Kirche „Mater Dolorosa“.

Es gibt noch einen weiteren Weg, zu den Menschen zu gehen. Die Herz-Jesu-Brüder nennen ihn „Berlin-Projekt“ oder „aufsuchende Pastorale“. Es sind zwei Veranstaltungsreihen, mit denen die Brüder sich mit ihren Glaubensfragen in den Alltag der Menschen einbringen wollen. Gottesdienste zu speziellen, in der Zeit liegenden Themen. Im Herbst gab es etwa einen Haustier-Gottesdienst, bei dem neben Hunden, Kanin­chen und Wellensittichen auch die Kuscheltiere der Kinder ihren Segen erhielten. Im neuen Jahr steht für alle Menschen mit guten Vorsätzen der Gottesdienst „Mein Gott, ich esse nie wieder Tiefkühlpizza“ auf dem Veranstaltungskalender und rund um den Valentinstag fragt ein Gottesdienst für Kein-Bisschen-Verliebte und genervte Singles: „Lieber Gott, wo zum Teufel bleibt mein Prinz?“
Die zweite Veranstaltungs­reihe ist erst vor wenigen Wochen gestartet und bringt Kultur und Literatur in die Kirche. Es sind Le­sun­gen unterschiedlicher Auto­rinnen und Auto­ren zu religiösen oder auch nicht religiösen Themen in der „Mater Dolo­rosa“.
„Wir versuchen, sehr persönliche Kontakte zu knüpfen“, sagt Markus Mönch. Dazu gehört, das neue Wir­ken am neuen Standort des Klosters im Kiez bekannt zu machen. Neben der Präsenz auf Festen u.a. auch mit Flyern in Kitas und Geschäften.
„Die Arbeit ist anstrengend, aber sie macht auch sehr viel Freude“, fasst
Ryszard Krupa die ersten Monate in Berlin zusammen.
Wie kommt man aus Brasilien und Polen, aus katholischen Gegenden Deutschlands ausgerechnet nach Berlin, in die Diaspora? Alle Brüder wurden von ihrem Orden gefragt, ob sie gern an dieser neuartigen Community teilhaben wollen. In einem mehrwöchigen Treffen lernten sie sich kennen und bereiteten sich auf die Arbeit und das gemeinsame Klosterleben vor. Das, so bestätigen die Brüder, ähnelt sehr dem Leben einer Wohngemeinschaft und beruht tatsächlich auf dem Gemeinschaftsgedanken. Neben den gemeinsamen Gebeten am Morgen und am Abend gehört dazu auch eine gemeinsame Kasse und das gemeinsame Essen. Ein Köchin bereitet es für die sechs Männer zu. Es sind vor allem brasilianische Gerichte, die die Brüder aus Deutschland, Polen und Brasilien speisen. Mitten in Berlin.
Mehr über die Herz-Jesu-Priester:
www.herz-jesu-kloster-berlin.de
✒ -al- (Jan 2014)