STADTTIERGESCHICHTEN (1)

Die weiße Amsel

Wir leben in der Stadt und hier gibt es auch Natur. Wenn sich Beides mischt, dann entstehen manchmal Stadttiergeschichten. Der Autorin passieren diese Sachen und sie hat sie, für uns und für Sie, aufgeschrieben. In dieser losen Folge werden wir davon berichten. 

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Dieser weißen Amsel können Sie im Volkspark Prenzlauer Berg begegnen

Ein kleiner dichter Park erstreckt sich vor meinen Füßen. Der Volkspark Prenzlauer Berg, im Volksmund auch Mont Klamott genannt, ist Vielen die ich befrage nur vage bekannt. Seine Wege sind steil und die Vegetation üppig. Kaum einer Menschenseele begegnet man hier und die verschiedensten Tiere kreuzen meinen Weg. Ob sie nun an der Leine laufen und Hund hießen oder rechts und links neben mir geschäftig den Boden durchsieben, ist zweitrangig. Es raschelt zu allen Seiten und ich sehe mit Freude wie fleißig die braunen und schwarzen Amseln nach Käfern und Raupen suchen. Das Grün trägt noch eine frische, saftige Farbe  und der Wald schließt sich so dicht nach oben, dass nur wenig Sonne hindurchdringt.

In meinem Augenwinkel blitzt etwas Weißes auf. Es hüpft und stochert,  genau wie die Amseln. Ich trete auf einen Zweig und es knackt. Der Vogel, soviel habe ich schon erblickt, fliegt erschreckt auf und jagt vorwärts. Ich folge ihm leise. Den Berg hinauf und dann wieder in leichtem Gefälle hinab. Als der Weg sich an einer Kreuzung gabelt, verweilt sie und sucht wieder friedlich pickend nach Getier unter dem Laub. Sie hat die selbe Körperform wie die anderen Amseln. Nur das Gefieder unterscheidet sie. Eine Färbung, die ich in dieser Form noch nie gesehen habe. Mein Herz wird warm. So etwas bezeichne ich als Wunder. Still beobachte ich sie weiter und finde  später heraus, dass diese Art schon von Aristoteles selbst beschrieben wurde. Er bezeichnet sie als „von besonderem Werthe“. Vielleicht war sie die Zauberin unter den Amseln, die die die Weissagungen brachte. Die offiziellen Quellen beschreiben die fehlende Farbe als Gendefekt, der vielleicht auf die Ernährung zurückzuführen sei. Mir gefallen andere Erklärungen besser. Natürlich kann man jedes Ding wissenschaftlich erklären, doch dann bleibt noch kaum Raum für Lebensmagie.

An diesem Abend denke ich noch oft an den hellen Vogel. Berlin beherbergt einige weiße Tiere. So schlagen auf der Pfaueninsel weiße Exemplare ihr Rad und im Schlachtensee tummelt sich eine weiße Ente zwischen den wie üblich gefärbten Stockenten. Weiße Schwalben soll es hier und da geben und wer besonderes Glück hat, entdeckt ein weißes Eichhörnchen zwischen seinen rotbraunen Geschwistern. Manche der uns bekannten weißen Tiere sind eben im Allgemeinen von genau dieser Farbe, andere beweisen die Vielfältigkeit der Natur. Was als Schädigung interpretiert werden kann, ist möglicherweise eher ein Mythos. Warum die harte Brille aufsetzen, wenn es auch die Weiche sein kann?

Am nächsten Tag wandere ich beschwingt durch den frisch geduschten Park. Es hat geregnet, so wie schon lange nicht mehr und alles ist sauber gewaschen. Die Bäume vom Schmutz der Stadt, die Luft von den Spannungen der Welt und die Tiere vom Staub der Zivilisation. Mein Herz hüpft, als ich die weißen Federn durch die Zweige schimmern sehe. Ganz selbstvergessen wühlt sie den torfigen Boden, auf der Suche nach Essen, durcheinander. Wenn ich mich nähere schaute sie aufmerksam hoch, lässt sich aber kaum stören. Ein älterer Herr kreuzt meinen Weg und berichtete mir von der Amsel als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „Es gibt mehrere hier und sie werden weißer, von Jahr zu Jahr.“ Ein Wunder könne er allerdings nicht erkennen. Pure Wissenschaft. Einigen können wir uns nicht. Dafür berichtet er mir von seiner spannenden Zeit als Journalist in der DDR und von dem Bussard, der im angrenzenden Friedhof lebt und wie wichtig es ist sich jeden Tag ordentlich zu bewegen, genauso wie die Amseln im Gebüsch.

Steffi Karma, Dez. 2016