Berlin Ecke Schönhauser

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin Helmholtzkiez
Pappelallee

Mitten im Helmoltzkiez gibt es die „Mieter­gärten“ in der Schliemannstraße 8. 

„Garten“ assoziiert bei mir zwei Extreme. Auf der einen Seite wild wuchernde Beete mit vielen (Un-)Kräutern (schon mal Brennnesseln als Ersatz für Spinat gemacht? Lecker!) und dazwischen uralte Obstbäume. Diese Variante wäre so mehr mein Ding. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch vor meinem inneren Auge die spießigen, miefigen Vorstadtgärten in Mühlenbeck, Zehlendorf oder Eiche, bei denen jeder Baum gefällt und jeder Anschein von Gemüse oder gar Wildkräutern getilgt und alles voll Rasen besät ist … jeden Samstag auf Kante und 3 mm geschnitten.

Hier in den Mietergärten des Prenzlauer Bergs ist das alles anders. Von vorn, von der Schliemannstraße aus, bemerkt man von ihnen gar nichts. Man wundert sich nur, dass hier zwei Lücken in der Straßenfront bisher noch nicht bebaut sind. Ich musste erst an dem Spielplatz vorn vorbei, um die Gärten hinter zur Dunckerstraße hin zu sehen. Diese lohnen in jedem Fall einen Ausflug. Auf kleinsten und engsten Flächen blüht, wächst und gedeiht all das, was der biologisch mitdenkende Stadtmensch glaubt, zu brauchen. Ja, auch auf meinem Balkon wächst Rhabarber in einem großen Kübel! Im Mietergarten wachsen vor allem Kräuter. Keine chemische Keule ballert Unkräuter oder gar Insekten weg. Hier ist alles so natürlich, wie es Großstadtluft und -boden hergeben.

Ganz wichtig: Auch Kinder begreifen hier zum ersten Mal das „Wunder des Lebens“. 

Ich bin damals am Stadtrand in Hohenschönhausen groß geworden und zu unserer Schule gehörte noch ein richtiger Schulgarten, den wir bis zur vierten Klasse pflegten. Haben Schulen in der Innenstadt so etwas überhaupt?

Hier noch ein Nachtrag zum MACHmit! Museum für Kinder: Ich fragte mich, woher die Einrichtung des „alten“ Seifenladens stammt. Sie kam mir bei meinem Besuch irgendwoher bekannt vor. Es ist aus dem Seifenladen in der Naugarder Straße, der 1992 geschlossen wurde.

Danach versank bei meinem Kiezspaziergang in Erin­ne­rungen. 

Castorffs Jalousien-Geschäft in der Pappelallee, da ist jetzt auch der „Behelfs­­verkauf“ geräumt. Schade, dass er diesen Laden nicht weiterführen bzw. weiter vererben konnte. Seine Fachkompetenz hat sicher vielen geholfen.

Der Flachbau der Musikschule in der Pappelallee ist abgerissen, das letzte noch unsanierte Haus in der Straße ist nun auch hinter Bauplanen verschwunden. 

Als Jugendliche gingen wir immer „zum Gruseln“ dorthin. Die Straßenbahnlinie 70 fuhr ja aus Hohen­schönhausen, wo ich aufwuchs, direkt durch. Angeb­lich hielt sich Wolf Biermann vor seiner Ausbürgerung in diesem nun verschwundenen Flachbau 1976 immer mal auf. Das erkannte man daran, dass auf der anderen Straßenseite Polizisten Wache schoben und auf und ab gingen. Dort dann mal einfach stehen zu bleiben und in Richtung des Flachbaus zu schauen, empfanden wir als fünfzehnjährige „irgendwie gruselig“.

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin Helmholtzkiez
Auf dem Helmholtzplatz

Der Name „Dünnebacke“ war mir irgendwoher ein Begriff. Erst, als ich beim Verteilen dieser Zeitung in der Pappellallee  den Inhaber ansprach: „Sie gibt’s ja schon ganz schön lange!“, wurde mir erklärt, dass es diesen Laden schon seit 1930 gibt. Und da erinnerte ich mich, dass Vaddern (verstorben 2010) mir mal erzählt hat, dass er da in seiner Lehrzeit immer nach Feierabend seine zwei Flaschen „Helles“ gekauft hat.

Womit ich jetzt mal in diese Zeit Ende der 50er Jahre eintauchen möchte. Der DEFA-Film „Berlin Ecke Schönhauser“ von 1957, ich sah ihn kürzlich, ist da wirklich ein Wahnsinns-Zeitdokument. Drehbuch Wolfgang Kohlhaase, von dem auch „Sommer vorm Balkon“ stammt, Regie Gerhard Klein, spielt genau an der Ecke Schönhauser Allee / Pappelallee / Danziger Straße. Genau das ist auch der Aufmacher des Films, ein Kameraschwenk über diese Ecke.

Die Sparkasse an der Ecke Kastanienallee gab es schon damals, das schmale Eckhaus Schönhauser Ecke Pappelallee war ein „Konsum“-Lebensmittelgeschäft, dem gegenüber Pappelallee Ecke Danziger Straße war ein Lampenladen und darüber ein Polizeirevier mit dazugehöriger Meldestelle. 

Die Laternen waren hohe Gasleuchten und die Straßen waren alle Kopfstein gepflastert. Witzig, die alten Vorkriegsstraßenbahnen. … und dann gab es überall freie Parkplätze … ;-) 

Die Atmosphäre, die der Film zeigt, ist genau das, was ich aus den Erzählungen meines Vaters her kenne. Auch diese in dem Film vorkommenden „Norma­litäten“ der geteilten Stadt vor dem Mauerbau, dass man halt heimlich Westgeld tauschte, dass die Kids im Wedding ins Kino („... für nur fünfundzwanzig Pfennig Ost!) gingen, um sich dort in schauderhaften Flohkisten „Vom Winde verweht“ anzuschauen, kenne ich aus Erzählungen genauso wie das heimlich gekaufte Comic-Heft mit dem Westernhelden „Tom Mix“.

Wie die „Übergangsstellen“ zwischen Ost- und West­berlin in jener Zeit genau aussahen, wurde mir erst durch „Berlin Ecke Schönhauser“ klar. Postenkette aus Polizisten auf beiden Seiten der Zonengrenze, die willkürlich kontrollierten. Und dann war Ruhe. Ab abends um zehn schlief die Stadt schon. 

Rolf Gänsrich (Sep 2012)