Kiez Naugarder Straße

Nackter Knabe und lesender Junge

1957 startete der Sputnik Satellit zu seiner Umlaufbahn, auf Abbildungen sieht es einfach und zeitlos aus. Auf dem "Platz ohne Namen", zwischen Erich-Weinert-Straße, Hosemannstraße und Naugarder Straße ist Stille eingetreten. Vom letzten Winter 2019 bis etwa Winter 2021 (laut Presseinformation) ist durch eine Baustelle, mit ihren Bauzäunen, jeder Weg über diesen Platz unpassierbar gemacht worden. Sitzbänke und Sitzquader aus Stein, im Umkreis der Skulptur von Werner Stötzer, der nackte Junge, sind unerreichbar für Fußgänger geworden.

 

Später, wenn die Bauzäune abgebaut sind, wird die Perspektive zum Himmel keine Andere werden, der sitzende Junge blickt hoffentlich weiter dem Sputnik und der Zeit hinterher.

Bis die gefällten Bäume der Seitenbegrenzung zur Erich-Weinert-Straße neu angepflanzt, und nachgewachsen sind, wird Zeit vergehen. Vielleicht pflanzt man Maulbeerbäume, das ist mein Wunschgedanke. Laut einer Baumstudie aus Bayern, wären geeignete hitzebeständige Gehölze für Städte: Zürgelbäume aus Nordafrika, der Französische

Ahorn, die Spanische Eiche, die Nordamerikanische Zelkove, der Asiatische Ginkgobaum oder auch der Japanische Dreizahn-Ahorn.

#Gertrud-Classen-Platz, #PrenzlauerBerg
"Werner-Stötzer-Platz" hätte auch gepasst, findet Astrid Duerkop. Foto: AD

Anfang März konnte der Leser, in der noch geöffneten Heinrich-Böll-Bibliothek, auf einem Flyer zur Kenntnis nehmen, am 6. März 2020 hat der von mir beschriebene Ort einen Namen erhalten: Gertrud-Classen-Platz.

Die Künstlerin (1905 - 1974) war eine deutsche Widerstandskämpferin, gegen den Nationalsozialismus, und Bildhauerin in der DDR. Eine von ihr, zusammen mit Siegfried Krepp, erschaffene Bronzeplastik 

„Lesender Knabe“, steht Ecke Woelckpromenade/ Pistoriusstraße in Weißensee.

Mit diesem Sputnik-Jungen, der als Skulptur über längere Zeit, der heimliche Mittelpunkt des Platzes war, hat es eine andere Bewandtnis. Kinder und Trinker unterhielten sich gleichermaßen mit einer Skulptur. Eltern, die dem Bronzeknaben über den Kopf streichelten, er wurde liebkost, und tagsüber, aber auch in der Nacht, haben schon viele auf seinem Schoß gesessen. Berührend war ein Augenblick, als eine ganze Familie, auf diesem sommerwarmen Skulpturenschoß verweilte, und sich glücklich aneinander festhielt.

Werner-Stötzer-Platz ist manchmal ein Wunsch im Gedanken gewesen. Seitdem ich seine, von ihm erschaffenen "Zigeuner v. Marzahn", Varianten in Bronze u. Stein, 1980-94, im Abguss betrachten konnte, hat er als Bildhauer (1931-2010) mein Herz erobert. Das wünsche ich den Frauen seiner Skulptur auch, einen Ort an dem man sie mehr, als nur betrachtet, einen Ort an dem sie ein Mittelpunkt sind, eine neue Bedeutung gewinnen, liebkost und gestreichelt werden, neue andere Geschichten hören, als nur ein entrückter, betroffener Blick.

Mir wird dieser Platz, bei mir um die Ecke, mit seiner ursprünglichen Namenlosigkeit und den vielen Sitzmöglichkeiten, Bänken, die gestrandete Menschen zu einer Ruhepause einluden, während Nebelkrähen am Morgen mit schnellem Schritt die Gegend abliefen, und Spatzen aus den seitlichen Büschen mit lautem Gezeter den Platz eroberten, immer ein Mahnmal der Bedeutungslosigkeit bleiben.

Gesprächsfetzen am Nachmittag, vergessene Bierflaschen, leere Pappen, die von einem Gesäß unbekannter Menschen zeugen, dazu die tobenden Kinder im Sommer, an den Wochenenden, wenn die Bäckerei und der Eisladen geöffnet sind. Dann ist eine Familienoase entstanden, Unterhaltung und Trubel zeigen ein anderes Gesicht.

Dieses Dreieck, in der Stadthistorie, ist herrlich gewesen, früher gab es dort noch eine Eckbrache mit Sommerbiergarten, und einem kleinen Geschäft, welches Bier, Gemüse, und weitere Waren feilbot. Mancher

Sonntagslangschläfer schlappte mit Büchsen und einer Milchtüte zurück ins nahe Zuhause.

Vorbei. Vergangenheit. Was bleibt sind Fotos, eine Graffiti-Tasche mit einem Eckbild einer comicartigen Versammlung, die schon lange einem Neubau gewichen ist.

-Astrid Duerkop-, Mai 2020

(Wünsche ich den Menschen, die in den kleinen Geschäften (Bäckerei, Eisladen, Kleines Restaurant, Kleines Café, Blumenladen) schon von einer Langzeit-Baustelle in die Knie gezwungen wurden, und jetzt hoffentlich noch Corona Zeiten überleben, viele Unterstützer!)