Bascha Mika (ehem. Chefredakteurin der TAZ) schreibt eine Streitschrift über die „Feigheit der Frauen“, Alice Schwarzer fordert die Abschaffung des Frauentages, die „Zeit“ untersuchte die Familienförderung der Bundesrepublik und stellte fest: das heutige Frauenbild stammt samt der dazugehörigen Gesetzgebung und Familienförderung noch aus der Adenauer-Zeit und die aktuelle zitty untersucht das Feindbild Nummer eins (der zitty-Leser): die Prenzlberger Familie. Der Frauentag, der sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährt, wird in Prenzlberg unterschiedlich wahrgenommen: im Osten wurde er jährlich gefeiert und instrumentalisiert, im Westen im Zuge des kalten Krieges ideologisch unpopulär. Als Antwort wurde seit 1923 der Muttertag begangen. Engagierte Frauen stört das wenig, sie treffen sich am 8. März in vielen Veranstaltungen (u.a. „100 Jahre Duldsamkeit und Wut“) oder zur Demo am Rosa-Luxemburg-Platz (16.30 Uhr). Hier ein kleiner Blick in die Geschichte des Frauentages.
Seit Mitte der 1990er Jahre wird der Internationale Frauentag in breiteren Kreisen der Bundesrepublik gefeiert. Erstmalig begingen ihn Frauen im Deutschen Kaiserreich am 19. März 1911 – mit
45.000 Beteiligten. Einige Monate vorher, im August 1910 trafen sich in Kopenhagen 100 delegierte Frauen aus 17 Ländern. Neben dem Ruf nach Gleichberechtigung der Frau und dem Erhalt des
internationalen Friedens wurden Resolutionen zur staatlichen Kranken- oder Mutterschaftsversicherung verabschiedet. Außerdem wurde die Einführung eines jährlichen Internationalen Frauentages
beschlossen: „Bei der alljährlichen Maifeier – ganz gleich in welcher Form sie stattfindet – muss die Forderung der vollen politischen Rechtsgleichheit der Geschlechter betont werden. Im
Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Orga nisationen des Proletariats in ihrem Lande, veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr
einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient. Die Forderung muss in ihrem Zusammenhänge mit der ganzen Frauenfrage der sozialistischen Auffassung gemäß
beleuchtet werden. Der Frauentag muss einen internationalen Charakter tragen und ist sorgfältig vor zu bereiten.“ Diesen Vorschlag brachte die deutsche Delegation ein, zu der neben
Clara Zetkin (1857-1933) auch Käthe Duncker, geb. Döll (1871-1953) angehörte. Auf der Internationalen Frauenkonferenz hielt sie ein Referat über Mutterschafts- und Kinderfürsorge. Sie
gehörte gemeinsam mit ihrem Mann zum oppositionellen linken Flügel der Vorkriegssozialdemokratie. 1915 verfasste sie einen Artikel „Über das Wahlrecht der Mütter“ für die Frauentags-“Beilage für
unsere Mütter und Hausfrauen“, der der Zensur zum Opfer fiel (wie auch beim zweiten Abdrucksversuch 1917). Ein Jahr später wurde ihr völliges Rede- und Agitationsverbot auferlegt „weil sie in
gemeingefährlichster Weise unter der Jugend für den Antimilitarismus Propaganda machte und dazu in ganz Westdeutschland ständig herumreiste“. Direkt am 8.3.1917 hatte sie vor Gericht zu
erscheinen. In den nächsten Tagen überschlugen sich die Nachrichten vom Ausbruch der „Februarrevolution“ in Russland. Dort involviert war eine weitere Beteiligte am Frauentags-Beschluss von
Kopenhagen: Alexandra Kollontai (1872- 1952), eine Frauenrechtlerin, die bald als die weltweit erste Frau im Diplomatischen Corps in die Geschichte eingehen sollte. Erstmalig wurde der
Frauentag am 19. März 1911 gleichzeitig in Deutschland, Dänemark, Österreich-Ungarn, der Schweiz und in den USA begangen – von Millionen Frauen. Sein wichtigstes politisches Ziel war die
Einführung des freien, geheimen und gleichen Wahlrechts auch für Frauen. In Deutschland wurde den Frauen das aktive und passive Wahlrecht erst im November 1918 durch den Rat der Volksbeauftragten
zuerkannt. 1919 fanden dann die ersten Wahlen unter Beteilung von Frauen statt. Bereits 1906 hingegen hatten die Frauen in Finnland das Wahlrecht erkämpft, 1913 in Norwegen, 1915 in Island
und Dänemark, 1917 in Estland, 1918 in Lettland, Polen und Luxemburg. 1912 feierten den Frauentag nun auch Frauen in Schweden, Frankreich und Holland. Neben dem Wahlrecht forderten sie
bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, Mutter- und Kinderschutz und protestierten immer wieder gegen den Krieg. 1914 wurde der Frauentag erstmals auf den 8. März verlegt. Ein Anlass dafür
war, dass die Arbeiterbewegung an diesem Tag der Gefallenen der März-Revolution von 1848 gedachte. 1921 beschloss die zweite kommunistische Frauenkonferenz, den Frauentag künftig immer am 8. März
zu begehen. Dafür stand u.a. Lenins Ehefrau, Nadeshda Krupskaja (1869-1939), die schon vor der Begegnung mit ihm politisch äußerst aktiv war. Der 8. März war auch in der Geschichte der
damals jungen Sowjetunion bedeutungsvoll: Seit 1914 war auch hier am 8. März gefeiert und gekämpft worden in Erinnerung daran, dass (nach julianischem Kalender am 23. Februar) die sogenannte
Februarrevolution an eben diesem Datum in Sankt Petersburg durch einen Textilarbeiterinnenstreik und massive Demonstrationen von Petersburger Arbeiterinnen ausbrach. Dass Frauen diese
Revolution auslösten, steht bis heute in wenigen Geschichtsbüchern. Mit den südlichen Sowjetrepubliken wurde der Internationale Frauentag nun im asiati- schen Raum über China, Korea auf den
mittleren, Nahen und Fernen Osten ausgedehnt. Anfang 1933 bei Machtantritt der Nazis in Deutschland wurde der Frauentag sofort verboten – und der Muttertag eingeführt. Viele bisher Aktive
erlebten Verfolgung oder vorzeitige Pensionierung wegen „nationaler Unzuverlässigkeit“. Erst nach 1945 setzte sich der 8. März in Deutschland wieder und immer mehr als Internationaler
Frauentag durch. Im Rückblick auf die DDR wird er von einigen bis heute gerne als „sozialistischer Muttertag“ verspottet. Zum Disput ein kurzes Zitat der Politologin Claudia von Gelieu: „Der
Internationale Frauentag wurde nicht von Sozialisten ins Leben gerufen, um die Frauen zu instrumentalisieren, sondern von Sozialistinnen, die sich international vernetzten, um ihren
Forderungen Gehör zu verschaffen und Solidarität zu üben. Beides fanden sie bei ihren eigenen Genossen ebenso wenig wie bei ihren bürgerlichen Schwestern. Deshalb mussten sie sowohl
innerhalb ihrer Parteien als auch innerhalb der Frauenbewegung immer wieder um ihren Internationalen Frauentag kämpfen. Und Alice Schwarzers Vorgehen gegen den 8. März ist nur ein aktuelles
Beispiel dafür.“ Am 8. März diesen Jahres gehen weltweit Frauen auf die Straße. Sie treffen sich zur 1. Weltfrauenkonferenz der Basis frauen in Caracas/Venezuela, um sich über ihre
Lage zu beraten, gemeinsame Forderungen aufzustellen und sich international zu vernetzen – wie vor 100 Jahren. Hatte doch Clara Zetkin in der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift
„Gleichheit“, deren Redakteurin sie 1891-1917 war, über den Frauentag geschrieben: „Sein Ziel ist Frauenrecht als Menschenrecht, als Recht der Persönlichkeit, losgelöst von jedem sozialen
Besitztitel. [...] Wir müssen Sorge tragen, dass der Frauentag nicht nur eine glänzende Demonstration für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, sondern darüber hinaus
der Ausdruck einer Rebellion gegen den Kapitalismus, eine leidenschaftliche Kampfansage all den reaktionären Maßnahmen der Besitzenden und ihrer willfährigen Dienerschaft, der Regierung
ist.“
Sabine Krusen, Slawistin und Frauengeschichtsforscherin (März 2011)