GEBURTSHAUS MAJA

Marktlogik versus Soziales

Was darf soziales Gewerbe kosten? Für das Geburtshaus MAJA ist in Sachen Verbleib am Standort eine Zwischenlösung in Sicht, die Hebammenpraxis am Märchenbrunnen ist von Verdrängung bedroht. Kann lebensnotwendige Arbeit an ein Staffelmietsystem gekoppelt werden? 

Eine Zwischenlösung nennt Vanessa Böhm das, was nach wochenlangen Verhandlungen nun im Raum steht: Ein Kompromiss in Form eines fünfjährigen neuen Mietvertrags für das Geburtshaus MAJA in der Paul-Robeson-Straße. Wird der Vertrag unterzeichnet, kann das MAJA also zunächst bleiben, so der Stand Ende Oktober bei Redaktionsschluss dieser Zeitung. Es ist ein Verbleib, der diese soziale Einrichtung einer gewinnorientierten Marktlogik unterwirft. Der neue Vertrag sieht eine Mietverdoppelung zu den ortsüblichen Preisen vor, dazu eine Staffelmiete. „Das können wir nicht wegdiskutieren“, so MAJA-Mitgeschäftsführerin Böhm. Entgegenkommen zeigte die neue Eigentümerin indes bei weiteren Punkten. Mieterhöhungen wegen Modernisierung sollen ausgeschlossen werden. Und auch das Recht einer außerordentlichen Kündigung wird den Hebammen eingeräumt. All diese Punkte gab es im vorherigen Entwurf nicht, konnten mit Hilfe eines Rechtsbeistandes eingefügt werden.

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Bringt den Konflikt von sozialen Einrichtungen und Mietenpolitik auf den Punkt: Für das MAJA scheint ein Kompromiss gefunden.

SICHERHEIT FÜR GEBÄRENDE

Der neue Vertrag ist ein Kompromiss für MAJA-Geschäftsführerin Böhm und ihre Hebammen-KollegInnen. Fünf Jahre Pause. „Wir wollen vor allem auch den Frauen, die ihre Geburt für nächstes Jahr bei uns anmelden, eine Sicherheit geben“, so Böhm. Denn darum geht es ja. Das MAJA ist ein Ort, der Geborgenheit und Sicherheit gibt – werdenden Müttern und Vätern, den Neugeborenen. „Soziales Gewerbe“ heißen solche Einrichtungen im offiziellen Sprech. Die Debatte um das MAJA wirft die Frage auf, ob für solch soziales Gewerbe die gleichen Marktregeln gelten sollen wie etwa für den Einzelhandel oder Start Ups. Denn gewinnorientiert arbeiten Hebammen nicht, deren Einkommen klar durch Gebührenordnungen festgelegt ist. Geburtshilfe ist ohnehin einer der Berufe, die einer Berufung gleichen: Neues menschliches Leben zu ermöglichen kennt keine geregelte Mittagspause und keinen Büroschluss. Im MAJA geschieht die Geburtshilfe auf besondere Weise. Ganzheitlich. Die Frauen werden sehr früh in ihrer Schwangerschaft begleitet und gestärkt. Sie sollen frei von Angst und Fremdbestimmung gebären können. Das schließt die ganze Familie ein.

GENERATIONEN-PROJEKT

Seit 1992 existiert das Geburtshaus MAJA. Es ist eine von zwei außerklinischen Einrichtungen in Prenzlauer Berg, in denen Frauen ihre Kinder zur Welt bringen können. Ohne Zwang, in Freiräumen und Geborgenheit. Über 4500 Kinder kamen im MAJA bereits zur Welt. Allmählich wird das MAJA ein Generationenprojekt. Die ersten hier Geborenen kehren nun selbst als Schwangere zurück. 

Es ist ein Geborgenheits-Dienst, den viele werdende Eltern zu schätzen wissen. Immer mehr Frauen wollen ihre Kinder in Geburtshäusern statt in Kliniken zur Welt bringen. Vor allem während der Zeit des Lockdowns im Frühjahr haben die Hebammen dies gespürt, als strenge Hygiene-Auflagen werdenden Vätern die Kreißsäle der Kliniken verwehrten. Doch auch in anderen Zeiten übersteigt die Nachfrage die Möglichkeiten von MAJA. Das geht auch anderen ähnlichen Berliner Einrichtungen so. „Im Schnitt müssen wir zwischen 30 und 60 Prozent der Anfragen absagen“, spricht Böhm für ihre KollegInnen in anderen Geburtshäusern. Bis Mai 2021 ist das MAJA bereits ausgebucht. Wovon Vanessa Böhm nicht spricht: Von der Verantwortung, die Hebammen für die Gesundheit der Mütter und Kinder haben. Dass es dafür eben auch eine Sicherheit braucht – geeignete Räume, auch materielle Sicherheit.

Umso wichtiger, dass nun im MAJA zumindest diese Zwischenlösung Luft für fünf Jahre schafft. Zeit, nach geeigneten Räumlichkeiten zu suchen. Doch während das MAJA mit dieser Zwischenlösung mittelfristig weiter arbeiten kann, steht nach Vanessa Böhms Auskunft das zweite Geburtshaus in Prenzlauer Berg auf der Kippe. Der Hebammenpraxis am Märchenbrunnen droht die Verdrängung – wie beim MAJA sind es angekündigte Mieterhöhungen, die nicht leistbar sind.

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Dem starken öffentlichen Protest der MAJA-Hebammen und ihren UnterstützerInnen ist es zu verdanken, dass das MAJA bleiben kann. Fotos (2): Michel Riek

KAMPAGNE ÖFFNETE TÜREN

Es ist vor allem dem öffentlichen Protest der MAJA-Hebammen zu verdanken, dass zumindest die jetzige Zwischenlösung erreicht wurde. Mit Briefen an die Bezirkspolitik, mit social-Media-Kampagnen und Straßenkundgebungen machten die Hebammen und ihre UnterstützerInnen auf ihre existenzbedrohende Situation aufmerksam. Im Sommer 2020 kam das Schreiben der neuen Gebäude-Eigentümerin, Kündigung zum Jahresende. Keine Reaktion der Hausverwaltung auf Nachfragen. Erst, als der Vorgang öffentlich wurde und sich auch Bezirksbürgermeister Sören Benn zum Geburtshaus bekannte, gab es Gespräche. Der erste neue Mietvertrag „enthielt viele Klauseln, die für uns nicht akzeptabel waren“, so Vanessa Böhm. Nachverhandlungen schafften den Kompromiss.

Es hätte auch anders laufen können. Dem Bezirksamt war die Prüfung eines Vorkaufsrechts durch die Lappen gegangen – eine Möglichkeit, Immobilien stellvertretend für Genossenschaften oder soziale Belange zu erwerben. Auch weitere regulierende Instrumente schöpfte das Amt nicht aus. 

So bleibt die Frage, welchen Schutz es für soziales Gewerbe geben kann. Diese Frage muss berlinweit beantwortet werden.  „Auf jeden Fall“, so Vanessa Böhm, wird sich das MAJA weiter dafür engagieren, dass soziale Einrichtungen einen anderen Status bekommen. Für die eigene gesicherte Zukunft wollen die Hebammen nun mit Genossenschaften in Kontakt treten, einen Verein gründen. Sich auf die Suche nach einem dauerhaftem Standort machen. Der Aktionismus der MAJAS scheint nach diesen vielen Monaten des Engagements ungebrochen. Ein Engagement für die eigene Existenz, nebenbei, neben einem Rundum-Job für werdende Familien.

Katharina Fial, Nov. 2020