DIE BEZIRKSGRENZE (16)

Am Steuerhaus

„Also wenn ihr zum Tierpark wollt, dann fahrt ihr am besten bis >Steuerhaus< und steigt da in den O-Bus oder in die >69< um!“, belehrte „Ömchen“ meine Mutter. Da muss ich etwa sieben gewesen sein, kurz vor der Einschulung. Wo >Steuerhaus< war, wusste ich damals, nämlich aus Hohenschönhausen mit der Straßenbahn kommend genau eine Station vor der S-Bahn. Die heutigen Haltestellen der Tram in der Karl-Lade- und Oderbruchstraße waren da noch in der Landsberger/Leninallee.

 

Das Steuerhaus lag Richtung Ringbahn direkt hinter der Einmündung der Oderbruchstraße in die Allee gleich rechts an besagter Haltestelle. Die gleichnamige Kneipe in der Karl-Lade-Straße hat nur den Namen erhalten, liegt aber auf der falschen Seite der Landsberger. Bis zur Gründung von Groß-Berlin am 1. Oktober 1920 war >Steuerhaus< Berlins Stadtgrenze. Es war ein relativ großer, viereckiger Kasten, über dessen tatsächliche Bedeutung heute nicht viel mehr zu finden ist, als dass in dieser Art Gebäude nach Abriss der Berliner Akzisemauer – die befand sich zum Beispiel am Landsberger Tor in Höhe der Friedenstraße – weiterhin die Mehl- und Schlachtsteuer eingetrieben wurde.

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Im Steuerhaus wurden keine Weichen „gesteuert“, sondern Mehl- und Schlachtsteuer eingetrieben. Foto: rg

Das letzte Gebäude dieser Art befindet sich heute Am Schlesischen Tor 3 in Kreuzberg. In der Landsberger Allee waren über dem Erdgeschoss des >Steuerhaus< zwei normale Etagen. Sie waren gemauert aus gelben horizontalen Klinkerstreifen, die sich mit roten, aber nur halb so breiten Klinkerstreifen abwechselten. Das Satteldach war gleichzeitig die dritte Etage, wobei die Räume rechts und links der Mitte schon Mansardencharakter hatten. Links waren Schuppen angebaut, die vermutlich Ställe, später Garagen enthielten. Begrenzt wurde alles durch einen großen ummauerten Hof, in dem Fuhrwerke angespannt und diverse Gegenstände wie Kohlen abgeschüttet wurden. Der O-Busverkehr nach Bürknersfelde, Marzahn und zum Tierpark wurde 1972 eingestellt. Bis Abriss der Kleingärten, etwa 1974, war die Landsberger ab Gabelung am >Steuerhaus< Richtung Ringbahn eine vierspurige, kopfsteingepflasterte Chaussee, in deren mittlerer Spur die Straßenbahn fuhr. Letztere hatte erst ab der Storkower Straße ihr eigenes Gleisbett. Nach der Gabelung stadtauswärts war die Landsberger eine normale zweispurige Chaussee, auf der halt noch zusätzlich der O-Bus, bzw. Bus fuhr. Erst mit dem Abriss der Kleingärten und dem Bau der neuen Wohngebiete entlang der Allee wurde diese etwa ab 1977 in den heutigen Zustand versetzt. Dabei war das >Steuerhaus< im Weg. Ich kann mich aber noch an dessen Ruinenreste erinnern, als ich ab 1984 in der damaligen Kaufhalle „Am Steuerhaus“ arbeitete. Als ich nach meinem Grundwehrdienst im November 1986 in eben jener „Kaufhalle“ meinen Dienst als Stellv. Filialleiter wieder aufnahm, waren diese Reste des >Steuerhaus< allerdings beseitigt. In meiner ehemaligen Wirkungsstätte ist jetzt ein russischer Supermarkt. In der Landsberger Allee 146a befindet sich heute das „Gleichrichterwerk 501 Steuerhaus“ der BVG.

Rolf Gänsrich, Okt. 2017