AUF DER GREIFSWALDER STRASSE

Die stille Magistrale

Sie ist die unspektakulärste der drei Prenzlauer Berger Magistralen. Nicht so hipp und lebendig wie die Schönhauser; nicht so urban wie die Prenzlauer Allee. Die Greifswalder Straße ist immer irgendwie im Abseits. Still, ein wenig verloren. Eine Erkundung.

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Stille im Innenhof: Das Herz-Jesu-Kloster samt Kirche an der Greifswalder Straße.

Nach Greifswald. Wohin sonst sollte sie führen, die Straße, die den östlichen Prenzlauer Berg schon fast zum Friedrichshain hin abgrenzt. Führt schon seit dem Mittelalter da raus, alter Handelsweg von der Spree an die Ostsee. Nach Greifswald sind es freilich rund 300 Kilometer und da machen sich die 2,4 Kilometer, die die Bundesstraße 2 den Namen Greifswalder Straße trägt, vergleichsweise bescheiden aus.
Bescheiden ist sie ohnehin, die östlichste Magistrale von Prenzlauer Berg. Der Glamour und die Turbulenz von Schönhauser und Prenzlauer Allee fehlen ihr. Auch der Handel unterliegt permanenten Schwankungen – die Läden entlang der Greifswalder machen dicht oder wechseln in einer Geschwindigkeit, dass eine längerfristige Verortung und Orientierung schwer möglich ist.
Die Greifswalder Straße verbindet nicht nur die Hauptstadt mit Vorpommern, sie verbindet auch die Berliner Mitte mit dem Stadtteil Weißensee. Ihre Gestalt trägt der Wegführung von der City weg nach draußen Rechnung. Hinter der Mitte ist sie von Hotels und Gebäuden gesäumt, von Friedhof und Kirche, dann folgt ein kurzes Stück mit Espressoshops und Bioläden, Bücher-Eck und Feinkost, bis sie am Thälmannpark ankommt, seine Plattenbauten säumt und unter der S-Bahn schließlich durch schmucklose Wohnbebauung führt. Entlang der Greifswalder Straße fährt die häufigste Tram Berlins, die M4, fährt in einem grünen Bett in der Fahrbahnmitte, unbehelligt vom Autoverkehr nebenan.
Ein S-Bahnhof heißt nach der Greifswalder Straße. Und ein Theaterstück. Roland Schimmelpfennig hat vor knapp zehn Jahren ausgerechnet die stille Greifswalder zur Bühne seines szenischen Reigens gemacht. „Auf der Greifswalder Straße“ ließ er das Auf und Ab großstädtischen Lebens wogen, Großstadt-Bewohner durch den Tag taumeln, sich begegnen und ins Leere laufen. Wie die Straße.
Man läuft nicht gut auf ihr, zu dicht und laut ist der Verkehr aus Lkw und Taxen, Pendlern und Transportern. Es ist keine Straße zum Flanieren. Das ist schade, denn es gibt die eine und andere Perle, die entlang der stillen Magistrale zu entdecken ist.
Die Straße vereint ein Sammelsurium ganz unterschiedlicher Einrichtungen und Geschichten.

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Zentrum des lebendigen Figurentheaters und seit kurzem mit neuer Leitung: Die Schaubude an der Greifswalder Straße. Fotos (2): al

Zum Beispiel das Haus der Demokratie auf der Greifswalder Straße 4, eine „Denkwerkstatt, ein Ort des Dialogs und der Arbeit für mehr Teilhabe der BürgerInnen an der modernen Gesellschaft“, wie es im Selbstverständnis des traditionsreiches Hauses heißt. Rund 50 Vereine, Initiativen und Nichtregierungs-Organisationen sind hier angesiedelt, organisieren Veranstaltungen und Ausstellungen – von Amnesty International bis hin zum unabhängigen Institut für Umweltfragen.
Ein paar Hundert Meter weiter stadtauswärts öffnet sich ein schmaler Durchgang in einen weiträumigen Hinterhof und weiter ins Herz-Jesu-Kloster. Sechs Priester aus drei Ländern haben das ehemalige Katharinenstift zu ihrer Heimat erkoren. Sie leben und wirken hier seit einigen Jahren für ihre Gemeinde und für portugiesisch sprachige Katholiken in Berlin.
Weiter hinauf die Greifswalder Straße, hinter der S-Bahnbrücke und direkt an der Kreuzung Greifswalder/Storkower Straße ist die Schaubude gerade in ihre neue Spielzeit gestartet. Berlins größtes Theater für Puppen-, Figuren- und Objekttheater ist unter neuer Leitung gestartet: Der Theaterwissenschaftler Tim Sandweg hat das Haus von Silvia Brendenal übernommen. Ende September gab es einen schönen Spielzeit-Auftakt, der Lust auf die Figurentheater-Truppen aus aller Welt macht. Im Foyer lockt die Ausstellung „Irgendwas mit Liebe“, in der eine Zuckerdose, ein alter Wecker und ein Dattelkern von Lebens- und Liebens-Weisen der Menschen erzählen.
Nur wenige Meter Luftlinie davon entfernt, auf dem Gewerbegelände der S-Bahn-Gleise, macht eine Frau erfolgreich in Baustoffe und in Mode. Petra Hoyer war mit ihrer Baustoffhandel-Firma Berliner Unternehmerin des Jahres 2014 und packt auch als Modedesignerin zu. Die Mischung aus Bodenständigkeit und Filigranität steht der Greifswalder Straße gut.

Möglicherweise taucht die Greifswalder Straße ja bald aus ihrer stillen Bescheidenheit am Rande des Prenzlauer Berges auf. Der Senat zumindest will ihr ein wenig auf die Sprünge helfen. Noch im Herbst berät er, ob es für die Straße Gelder aus dem Programm Stadtumbau Ost gibt. Damit könnten Infrastruktur, Wohnbauten und Bildungseinrichtungen saniert werden. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel: "Außerdem werden wir den sozialen Zusammenhalt, die Lebenschancen der Bewohnerinnen und Bewohner und das bürgerschaftliche Engagement stärken."
Katharina Fial (Oktober 2015)

Die Greifswalder in Kürze
Der Abschnitt „Greifswalder Straße“ der Bundesstraße 2 ist 2,4 Kilometer lang und durchquert den Prenzlauer Berg von Süd nach Nord, als eine der drei Magistralen des Stadtteils. Die Greifswalder  bildet die Verlängerung der Otto-Braun-Straße in Mitte und läuft bis hinter die Ostseestraße, wo sie zur Berliner Allee wird.
Die Straße folgt einer eiszeitlichen Rinne und wurde bereits im Mittelalter als Fernhandelsweg genutzt. Sie weist sieben Baudenkmale auf und soll in das Programm Stadtumbau Ost aufgenommen werden, um mit Fördergeldern saniert zu werden.