OBDACHLOSENZENTRUM MOB E.V.
Weil Obdachlose nicht mehr ins Bild von Prenzlauer Berg passen, muss der Verein „mob e.V.“ aus seinen Räumen in der Prenzlauer Allee ausziehen. Das Zentrum für Wohnungslose und Arme steht
damit auf der Straße. Ein stiller Skandal.
Eigentlich mag das Wort „Gentrifizierung“ keiner mehr hören. Zu abgegriffen ist es einerseits, zu zwiespältig sind die damit verbundenen Erfahrungen andererseits – je nachdem, ob man zu den
Gentrifizierern oder zu den von Gentrifizierung Betroffenen gehört. Doch das Wort muss im aktiven Sprachgebrauch bleiben, weil der Vorgang der Verdrängung in Prenzlauer Berg weiterhin
stattfindet.
Das jüngste Beispiel betrifft diejenigen, die ohnehin oft genug als unerwünscht gelten: Obdachlose und sozial Schwache. Den Verein „mob e.V. Obdachlose machen mobil“ in der Prenzlauer Allee 87
ereilte erst die Kündigung, jetzt die Räumungsklage.
„Gentrifizierung in Reinkultur“ sagt Andreas Düllick dazu. Der Chefredakteur des „strassenfeger“ und Vorstand des Vereins zitiert aus dem Kündigungsschreiben der Eigentümerin: „Die
Wohnungssituation hat sich im Lauf der letzten Jahre im Prenzlauer Berg so verändert, dass es uns nicht mehr möglich ist, ein Projekt Ihrer Art in unserem Objekt zu halten“.
Das „Projekt Ihrer Art“ ist ein Zentrum, das der Verein seit elf Jahren am Standort Prenzlauer Allee 87 betreibt, in mehreren Räumen im Hinterhof des Gebäudes. Neben der Redaktion der sozialen
Zeitung „strassenfeger“ gehören dazu auch eine Notunterkunft für Obdachlose, das „Kaffee Bankrott“ und ein Sozialkaufhaus sowie diverse Beratungsangebote für sozial Schwache.
Es ist eine in dieser Komplexität einmalige wie notwendige Einrichtung im Bezirk Pankow, die auch Menschen aus anderen Berliner Regionen nutzen. Jetzt muss alles raus, bis zum Jahresende.
Die Obdachlosen und die alten Leute müssen raus, die sich im „Kaffee Bankrott“ eine günstige warme Mahlzeit leisten können. Sie kommen hierher, um sich vom Auf-der-Straße-Sein auszuruhen und
aufzuwärmen. Sie kommen auch hierher zu einem Plausch mit Bekannten – oft ist es der einzige des Tages. Das Cafe ist ihr Wohnzimmer, für die von der Straße und für die Einsamen aus den
benachbarten Häusern.
Die „strassenfeger“-Redaktion muss raus, die 14tägig ihre „Straßenzeitung für Berlin und Brandenburg“ erstellt. Es ist ein Blatt, das vom Leben auf der Straße und im Eigenheim, vom Geschehen in
Politik, Wirtschaft und Kultur berichtet. 1600 Verkäuferinnen und Verkäufer sind im Verteilersystem des „strassenfeger“ eingetragen. Für sie ist der Zeitungsverkauf weit mehr als die Möglichkeit
eines Verdienstes. Sie schulen sich damit darin, wieder Verantwortung für sich zu übernehmen – was viele von ihnen verlernt oder vernachlässigt haben. Denn dafür steht der Verein: den
Gestrauchelten Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.
Mit der Redaktion muss auch das Sozialkaufhaus raus, in dem günstig Kleider, Bücher, Geschirr und Möbel für Bedürftige angeboten werden. Wer solche Dinge nicht mehr braucht, kann sie in dieser
Trödelstube für einen guten Zweck abgeben.
Auch die Notunterkunft, die sieben obdachlosen Frauen und zehn Männern ein Bett für die Nacht bietet, muss raus.
Den Verein und diejenigen, die die Angebote nutzen, trifft der Rausschmiss doppelt hart: Zum einen hatten die „mob“-Leute die Räume vor mehr als zehn Jahren sehr aufwändig und mit viel
ehrenamtlicher Arbeit instandgesetzt – alte Fotos in einer der jüngsten Ausgaben des „strassenfeger“ künden von der Urbarmachung des mit Asbest verseuchten Areals. „Noch nie haben wir so hart
gearbeitet wie im Jahr 2002“ erinnert sich der damalige Vereinsvorsitzende Stefan Schneider an die Aufbau-Zeit. Rund 130.000 Euro brachten die mobilen Obdachlosen durch Spenden und Erlöse dafür
auf. Stück für Stück bauten sie in den Folgejahren den Standort weiter aus, um ein wenig Gemütlichkeit zu schaffen. Erst 2008 wurde die Notunterkunft modernisiert, erhielt u.a. neue Betten und
neue Matratzen.
Zum anderen, und das ist das weitaus größere Problem, gestaltet sich die Suche nach einem Ausweichquartier problematisch: „Die Vermieter stehen bei uns nicht auf der Matte“, beschreibt Düllik
gegenüber den „Prenzlberger Ansichten“ die Schwierigkeit, eine Unterkunft für Obdachlose zu finden. In Prenzlauer Berg muss sie sein und verkehrsgünstig gelegen. Düllik: „Uns nützt kein
Standort ganz weit draußen, denn die Armut findet im Zentrum statt“. Hilferufe an Bezirks- und Landespolitiker brachten bisher keine Erfolge. Die zeigen sich zwar empört, können mit neuen
Räumen indes auch nicht dienen.
Die eigene Suche des Vereins endete schließlich an der Storkower Straße 139. Dort, in den Räumen eines ehemaligen Teppichhandels, in Sichtweite zu Arbeitsamt und JobCenter und diversen
Gewerbetreibenden, wird der mob e.V. zum Jahresanfang eine neue Herberge finden. Wieder muss viel umgebaut und investiert werden, bis die Räumlichkeiten genutzt werden können.
Doch am Ende ist nicht alles gut. Die Notunterkunft findet am neuen Standort keinen Platz. Für diese Einrichtung, die einzige in Pankow, wird weiter nach einer Alternative gesucht. Sie sollte so
nah wie möglich am neuen Standort des Obdachlosenzentrums sein.
Wieder wendet sich der Verein an die Politiker um Hilfe, wieder schlägt er Alarm, nicht nur im eigenen Blatt, auch in überregionalen Medien. „Vielleicht sind wir noch nicht laut genug.“, sagt
Andreas Düllik. Vielleicht müssen die Obdachlosen zu Protestaktionen wie einer Hausbesetzung greifen, um sich Gehör und Raum zu verschaffen? Also, selbst zu Gentrifizierern werden?
Der Countdown läuft. Die Frist wird kürzer, die Nächte werden kälter. Die Gentrifizierung schreitet unterdessen weiter fort.
✒ Katharina Fial (Nov 2013)
Infos und Spenden: www.strassenfeger.org; Tel. 46 79 46 11