Schönhauser Allee – Tage im August

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin Schönhauser Allee

Ja, die Sonne: Wie hat sie uns Stadt­menschen in den letzten Tagen zugesetzt. Hat Stein und Asphalt erhitzt, die wiederum die Wärme gespeichert und nachts wieder abgegeben haben. Man­chem ist es aber immer noch nicht heiß genug. Wie schön, sich dann im Mauer­park die Nachmittagssonne auf den Bauch scheinen zu lassen.

 

Gleich daneben, im Jahn-Sport­park drehen tagsüber und abends, ständig Läufer ihre Run­den in dem frisch sanierten und mit einem Gebäude-Neubau versehenen kleinen Oval an der Cantianstraße. (Man­cher) Mann strengt sich schon deshalb an, die Läuferin vor ihm zu überholen, weil er prüfen will, ob deren Fassade hält, was die Rückenansicht verspricht. Hundert Meter weiter östlich fließt in der Schönhauser wieder der übliche, rege Verkehr, denn Bauarbeiten finden zur Zeit glücklicherweise nicht statt. Der Lärm ist dennoch allgegenwärtig. Vor den Arcaden spielt eine Dreißigjährige mit kräftiger, wohlklingender Stimme und Gitarre gegen die Geräuschkulisse an. Ein vorbeirasender Krankenwagen mit Blaulicht bleibt jedoch Sieger über die lokale Alanis Morisette.

Der „Magistratsschirm“ strahlt in einem wunderbar satten Olivgrün, das gut zum Gelb der U-Bahn passt. Da haben sie uns ein kerniges, solides Bauwerk hinterlassen, die Väter (hier: Architekt Alfred Grenander) unserer Stadt: Jeder Niet, jeder Stützpfeiler, jeder Bahnhof – erhaltenswerte Arbeit und beispielhafte In­dus­trie­architektur. – Ach, wären wir Deut­­schen doch immer nur damit aufgefallen!

Wo schlägt das Herz der Schönhauser Allee? Für mich ganz klar an der Groß­kreu­zung Kastanien­allee/Ebers­wal­der/ Dan­ziger. Scharen von Einhei­mi­schen und Touristen quirlen kreuz und quer, warten an den Ampeln, um endlich auf die andere Seite zu kommen, denn dort wartet vielleicht das Glück. Deutsche oder polnische Punker wirken fidel und besetzen, etwas abseits sitzend, mit ihren Hunden einen Teil des Bürger­steiges. Junge Frauen tragen ihren Coffee to go wie ein Heiligtum vor sich her und jung, wie alt rennt die Treppe hoch, um die U-Bahn noch zu kriegen. Das Glück wäre kaum zu fassen, wenn auch endlich die Letzten sich mal ein Update verpassen könnten, damit zerbrochene Flaschen, vor allem aber Glas­scherben, die nachts und an den Wochen­­enden – von dieser Ecke bis hin zum Mauerpark – den Bürgersteig säumen, nicht zum Allein­stellungs­merkmal von Berlin werden.

„Konnopke’s Imbiss“ hat sich nach seinem Neubau wieder eingerichtet. Den Würsten (den Kunden vielleicht nicht) ist der Standort egal, dass wird sich auch Mario Ziervogel gesagt haben, der ein paar Straßen weiter gezogen ist, unter neuem Namen firmiert und in eigener Regie Currywurst mit oder ohne zubereitet. Und deshalb soll es Familien­streit gegeben haben? Ich glaub es nicht. Im Jahr 2030 feiert das Geschäft jedenfalls seinen 100. Geburtstag und die paar Jahre bis dahin werden einfach verbraten.

Um diese Jahreszeit sind die Radwege, ergo die Bürgersteige, beiderseits der Schönhauser abschnittsweise hoffnungslos überlastet. Hätte man sich nicht zunächst diesem Verkehrsproblem zuwenden sollen, bevor man die Kas­tanien­allee umbaut? Viele Radler sind beruflich oder privat unterwegs, die Strecke runter zur Torstraße ist beinahe Rennstrecke. Sie alle fahren am Stadtbad Prenzlauer Berg – seitwärts in der Oder­berger Straße gelegen – vorbei. Hier haben nun endlich Bauarbeiten begonnen und man hofft, in diesem architektonischen Kleinod bald ein schönes, neues Bad zu sehen, in dem nicht nur zu ausgewählten Events Zutritt möglich sein wird.

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin Schönhauser Allee
Der sogenannte Magistratsschirm

Eine Kindergruppe trottelt auf dem Bürgersteig entlang. Die Kleinen zu dritt nebeneinander, Hand in Hand. Die selbständigeren, neugierigeren vorne, die schüchternen Nesthäkchen hinten bei der Kita-Tante. Sie laufen am trutzig wirkenden, gelbbeigefarbenen Klinkerturm des „Frannz-Clubs“ vorbei, der mit Veranstaltungen wirbt, wie auch vor 30 Jahren schon, damals noch als Franz. Seitwärts am schmiedeeisernen Zaun hängt die Botschaft für eine anzulockende oder in der Nähe wohnende Kundschaft: „Design denken, Grün handeln“. Auch Yoga-Kurse werden ja im Dreh ausreichend angebo-

ten. Schon gewusst: Sie sind im Prenzlauer Berg erfunden worden!

Auf der gegenüberliegenden Straßen­seite zeigt sich an der Nr. 161 das Stadtkloster Segen wieder in alter, sanierter Pracht, selbst die einzelnen Mauerfugen sind sorgfältig ausgeführt. Farblich ansprechend sind auch die neuen hell- bzw. dunkelblauen Uniformen der Polizei, die – insbesondere die Mütze – einen Hauch von Amerika hierher wehen. Berliner Luft reicht aber auch. Nahe Verwandte der Polizisten, die Politessen, sind auch in der Schönhauser Allee  unterwegs. Sie scheinen sich in der Stadt ständig zu vermehren, nicht nur im Prenzlauer Berg, wo man vor zwei Jahren die Parkraumbewirtschaftung eingeführt hat, deren Einhaltung sie u.a. kontrollieren. 

Bewegt man sich weiter die Straße hinunter Richtung Süden taucht dann, vorbei an der Bio-Meile, linkerhand die Kunsthalle Platoon auf. Hier tun sich Profis zusammen, Amateure schauen zu, ermöglichen Begegnung, Gespräch, Er­kenntnis und Kunst. Schräg gegenüber stehen schwarz gekleidete Kellner mit gegeltem Haar im Freien und warten auf Kundschaft, denn nichts geht ohne eine Pause. Speedlab: „Die Zukunft der Ver­gangenheit“ lese ich dann. Nun, warum nicht auch das noch. Im Pfefferberg findet mit Unterstützung des Bundesminis­teriums für Bildung und Forschung sowie der Vodafone Stiftung Deutschland eine Veranstaltung unter dem Thema „Unsere Bildungsidee beflügelt Deutschland“ statt. Immer wieder Projekte und Kam­pag­nen. Was stärker gebraucht wird, sind Kontinuität und Qualität. 

Befördert werden in dieser Straße aber nicht nur Gedanken, sondern auch Wa­ren. Ein braunes Kastenfahrzeug hält auf einer der zwei Spuren. Das Auto trägt zwar die Farbe und das Logo eines Logistik-Konzerns, aber der Gewerbe­treibende stammt aus Berlin und fährt als Subunternehmer. Der Fahrer eilt mit einem Päckchen über den Bürgersteig und hat – um Zeit zu sparen – Technik im Ohr und in der Hand. Er zeigt uns aber auch, was wir alle manchmal sind: Gehetzte im Lauf des Lebens.

Die Schönhauser Allee ist eine ganz besondere Berliner Lebensader, geprägt durch einen stählernen Aufbau. Hier quietscht, klackert und brummt seit fast 100 Jahren (Eröffnung der Linie Alex – Nordring 1913) die U-Bahn hindurch und produziert ihren eigenen Sound. Aber auch die Straße steuert mit ihren nimmer endenden Geräuschen etwas bei. Junge Menschen aus ganz Europa, Kin­der, Familien beherrschen hier scheinbar die Szenerie und geben den Ton vor. Aber in vielen Ecken sind auch Laute und Spuren zu entdecken, die gelebtes Leben, Altgewordenes und vollzogene Geschichte hör- und sichtbar machen. Das alles mischt sich immer wieder auf’s Neue und erklingt dann als Melodie im Konzert der Großstadt. 

Jürgen Pahl (Sep 2012)