KOLLWITZKIEZ

Mit jüdischen Zeitzeugen durchs Quartier

Wieviel jüdisches Leben gab es einst im Kollwitz-Kiez? Eine App lässt Zeitzeugen sprechen und führt zu einer Spurensuche rund um den Kollwitzplatz. Auf dem Friedhof an der Schönhauser Allee schließlich stehen Grabmale als steinerne Zeugen wie ein stummes Geschichtsbuch.

Steinerne Zeugen: Der jüdische Friedhof an der Schönhauser Allee.
Steinerne Zeugen: Der jüdische Friedhof an der Schönhauser Allee.

Rund um den Kollwitzplatz pulsierte in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im großstädtischen Trubel auch jüdisches Leben. Dessen Spuren sind heute nahezu verschwunden. Die kostenlose Audio-App „Jüdische Geschichte(n)“  begibt sich auf Spurensuche. An 19 Stationen lässt sie frühere Bewohner die Geschichten ihrer Kindheit erzählen. Sie schildern den Alltag im Kollwitzkiez, berichten von Schule, Freunden und Familie und erinnern auch die zunehmende judenfeindliche Atmosphäre der beginnenden Nazi-Ära.
Eine der Stationen ist der Kollwitzplatz selbst, wo es auf dem großen Markt früher auch die Zutaten für koschere Gerichte gab. Andere sind Orte, an denen einst die Wohnhäuser der Zeitzeugen standen. Weiter führt die Tour zur Synagoge und der jüdischen Volksschule in der Rykestraße, in der heute wieder Kinder unterrichtet werden. 80 Minuten lang lässt die Audiotour das untergegangene jüdische Leben wieder auferstehen. Professionelle Schauspieler haben die Zeitzeugen-Interviews eingesprochen. Initiiert hat die App der Arbeitskreis Historisch-politische Bildung, das Museum Pankow hat das Projekt unterstützt.
Die App führt schließlich auch zum jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee, ein Ort, an dem heute noch am gegenwärtigsten die Geschichte des Kiezes erfahrbar ist. Es ist ein magischer Ort, der 1827 entlang der Friedhofsmauer angelegte jüdische »Ort der ewigen Ruhe«, versteckt hinter den Gartenhäusern der gründerzeitlichen Mietshäuser in der Kollwitzstraße. Zwei offene Davidsterne an einem hohen dunklen Tor am Kollwitzplatz gestatten einen Durchblick in den »Judengang« der sich entlang der Friedhofsmauer erstreckt. Er entstand ebenfalls um 1827 als östlicher Hintereingang – der Legende nach auf Anordnung des Preußenkönigs, der auf dem Weg vom Stadtschloss nach Pankow und zum Schloss Niederschönhausen nicht von den armseligen Trauerzügen der notleidenden Ostjuden aus dem Scheunenviertel belästigt werden wollte.

„Haus des Lebens“ nennen Juden ihre Friedhöfe, die ihrem Glauben nach niemals aufgegeben werden können. Fotos (2): al
„Haus des Lebens“ nennen Juden ihre Friedhöfe, die ihrem Glauben nach niemals aufgegeben werden können. Fotos (2): al

»Haus des Lebens« nennen Juden ihre Friedhöfe mit der immerwährenden Grabruhe. Ein jüdischer Friedhof darf niemals aufgelöst oder aufgegeben werden. Die Totenruhe ist im jüdischen Glauben ewig. Der Friedhof zwischen Schönhauser Allee, Kollwitz- und Knaackstraße birgt unter Efeu, Ahorn, Linden und Kastanien nahezu 25.000 Gräber, darunter erhabene, kostbare Grabmäler. Nachdem der erste und älteste jüdische Friedhof in der Großen Hamburger Straße 1827 geschlossen worden war, erwarb die Jüdische Gemeinde das Gebäude und richtete hier an der damaligen Pankower Chaussee ihren zweiten Begräbnisplatz ein. Links vom Haupteingang befanden sich die Trauerfeierhalle sowie die für den Friedhofsbetrieb notwendigen Zweckbauten.
Lang ist die Liste bedeutender Wissenschaftler, Unternehmer, Schriftsteller, Gelehrter und Künstler, die auf diesem Friedhof beerdigt sind: Jakob Liepmann Meyer Beer, der sich ab 1822 den Künstlernamen Giacomo Meyerbeer gab und als Opernkomponist bekannt wurde: der Maler Max Liebermann; Joseph Mendelssohn, der Bankier; Leopold Ullstein, der Verleger.
Der Friedhof wurde 1880 offiziell zugunsten des Friedhofs Weißensee geschlossen; gleichwohl fanden bis 1942 und auch nach 1945 Beisetzungen in vorhandenen Familiengräbern statt. In der Nazizeit wurde er nicht gezielt zerstört, aber durch Kriegseinwirkungen teilweise beschädigt.

-al- (Oktober 2015)
Jüdischer Friedhof, Schönhauser Allee 22, Tel. 441 98 24, geöffnet Montag bis Donnerstag von 8 bis 16 Uhr, Freitag von 7.30 bis 13 Uhr, Schabbat (Samstag), Sonn- und Feiertage geschlossen.