AUF DEN GRENZEN DES STADTBEZIRKS (TEIL 52)

S-Bf. Bornholmer Straße

Liebe Leser, zuerst möchte ich mich für Ihre Treue bedanken! Vor 25 Jahren, im April 1996, erschien hier mein erster Zeitungsartikel. Damals ging es um das Ladenschlussgesetz, in diesem Monate nehme ich Sie mit auf meine Tour entlang der Stadtteilgrenze: Wir sind jetzt am Bahnhof Bornholmer Straße angelangt. 

Obwohl die Gleise der Stettiner Bahn bereits ab 1842, die der Nordbahn ab 1877 lagen, wurde der S-Bahnhof erst am 1. Oktober 1935, nach Bauplänen von Richard Brademann eröffnet. Heute nutzen ihn täglich rund sechzigtausend Reisende. Neben den Linien S 41, S 42, S 8, S 85 die man im Prenzlauer Berg über die Ringbahnhöfe erreichen kann, ist hier, wie auch in Gesundbrunnen, der Umstieg zu vier weiteren S-Bahnlinien, S 1, S 2, S 25, S 26, allerdings bequemer wegen der Richtungsbahnsteige, möglich. Mit dem Mauerbau am 13. August 61 wurde auch der S-Bahnhof geschlossen. Man hatte kurzzeitig das weitere offen halten des westlichen Bahnsteigs für die S-Bahn zur Nordbahn angedacht, ähnlich wie am Bahnhof Wollankstraße, der gleichfalls auf Ostberliner Gebiet gelegen, nur für Westberliner zugänglich war, aber auf Grund der komplizierten Situation mit dem gleichzeitigen Betrieb der „Ulbrichtkurve“, erschien dies für die Grenzsicherung zu heikel und so schloss man ihn, wie auch alle anderen Transitbahnhöfe unter Ostberlin (außer Friedrichstraße) und er wurde zum Geisterbahnhof, durch den die Züge in Schrittgeschwindigkeit hindurch fuhren.

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Blick vom Bahnsteig zur Bösebrücke. An diesem fuhren während der Berliner Mauer keine S-Bahnen mehr durch. Foto: rg

Nach der Grenzöffnung am 9. November 1989 konnte man sich als Ostberliner aus den fahrenden Zügen diese Geisterbahnhöfe, von denen „die Alten“ oder die Westverwandtschaft hinter vorgehaltener Hand erzählt hatten, endlich selbst ansehen. Diese U- und S-Bahnhöfe sahen aus, wie vom Personal fluchtartig verlassen und gefangen in einer Zeitkapsel des Stillstands. An den Wänden Werbung von 1961 für Fewa-Waschmittel, für einen Besuch im Tierpark oder einfach nur Propaganda. Auf den Bänken Tageszeitungen vom 12. August 1961, Theater- und Kino-Plakate, die blätterten. Stapel von ungeknipsten Fahrkarten in den Entwertungs- und Fahrkartenwannen an den Bahnhofsenden, die Kaffeetassen der Mitarbeiter in den noch halb offenen Häuschen der Bahnhofsaufsicht, Pappschalen für Bockwurst an den einstigen Mitropa-Imbissbuden, in denen nur noch staubiger Schimmel an die Reste von Senf erinnerte. Kleinbunker mit Sehschlitzen und Wände aus Sandsäcken für die Grenzer, die man gelegentlich sogar offen über die Bahnsteige patrouillieren sah und über allem, wie Patina, eine dicke Schicht aus fast dreißigjährigem Staub. Unwirklich und wie ein Zeitfenster in die Vergangenheit. 

Der westliche Bahnsteig des Bahnhofs Bornholmer Straße für die Nordbahn wurde bereits am 22 November 1990 wiedereröffnet. An der Ulbrichtkurve eröffnete man am 5. August 1991 provisorische Außenbahnsteige. Der ehemalige Bahnsteig für die Stettiner Bahn wurde am 1. Dezember 1997 wiedereröffnet, nun ganz im Sinne des offiziell am 26. Mai 2006 eröffneten Nordkreuzkonzepts bereits als Richtungsbahnsteig. 

Das Bahnhofseingangsgebäude auf der Südseite der Bösebrücke ist von 1935 und steht heute unter Denkmalschutz, der Eingang auf der Nordseite ist hingegen ein Neubau aus den 90ern. 

Rolf Gänsrich, April 2021