„... für Gabi tu ich alles ...“

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin Bötzowkiez
Dietrich-Bonhoeffer-Straße

In schöner Regelmäßigkeit gehe ich in die Kieze hinein und schreibe Ihnen auf, was mir dort so an Altem, Interessantem oder Neuem über den Weg läuft.

Die Wohngegend entlang der Bötzowstraße ist zum Glück noch nicht ganz so aufgetakelt, wie andere Gegenden im Stadtteil, wobei leider auch hier die Mieten, halt weil es Prenzlauer Berg ist, allmählich recht scharf anziehen. Noch immer leben in diesem Kiez viele Ureinwohner, wie zum Beispiel der Liedermacher Tom Duerner, der sich sehr für die Ein­führung des Bedingungslosen Grund­ein­kommens engagiert.

Was mir regelmäßig in der Berufsschule in der Greifswalder Straße kurz vor der Käthe-Niederkirchner-Straße passierte, hab ich meinen Hörern von „Pommes rot - weiß“ auf Rockradio.de letztens erzählt: Meine Lehrzeit in der Ausbil­dung zum Wirtschaftkaufmann vor über dreißig Jahren war nicht so einfach für mich, denn wir hatten einen relativ hohen Theorie-Anteil in der Ausbildung – im 1. Lehrjahr dreiviertel, im zweiten Lehrjahr noch die Hälfte der Zeit, in der wir in der Berufsschule saßen. Nicht so einfach war dieser Theorieteil deshalb für mich, weil ich in der Klasse als einziges Männchen achtundzwanzig teils bezaubernde, teils putzige, manchmal auch höchst kesse junge Frauen gegen mich hatte.

Ich war damals, mit siebzehn, noch mehr als schüchtern und so wurde ich nicht zum Hahn im Korbe sondern eher zum Gänseklein.

Die Stunden mit dem Fach „Politische Ökonomie des Sozialismus“ begannen immer mit dem Auftauchen eines schon hoch betagten Dozenten in weißem Kittel, der sich immer als erstes, wenn er den Raum betrat, ich saß in der ersten Reihe direkt am Fenster ganz allein, an mich wandte, mit den Worten: „Und, sie leiden sicher sehr unter diesen vielen schönen Frauen! Geht’s ihnen denn heute gut?“ Und noch während ich ein Nicken andeutete, bläkte von hinten Uta quer durch den ganzen Raum: „Unserm Sohny geht’s bei uns immer ganz prima!“

Woraufhin sich der Dozent – so wie immer – an die Dame direkt vor ihm, erste Bank Mitte, wandte und leise zu trällern anfing „... für Gabi tu ich alles ...“ ... und unsere arme Gabriele einen hochroten Kopf für den Rest der Unterrichtsstunde bekam, weil der Pauker auch während der gesamten Unterrichts­einheit immer mal wieder zwischendurch gut gelaunt „für Gabi tu ich alles“ trällerte, summte oder pfiff. Ach, unsere arme Gabi!

Die Greifswalder Straße war noch im Mittelalter Teil der Berliner Feldmark mit dem Georgentor, dem Vorgänger des Königstores von dem sternförmig drei Fernstraßen, nach Landsberg, nach Bernau (frühere „Neue Königstraße“) und nach Prenzlau abzweigten. Die Greifswalder Straße hieß im 18. und 19. Jahrhundert noch „Bernauische Straße“. Der Name „Greifswalder Straße“ ist erst seit 1868 gebräuchlich. Im Jahre 1700 als Haupt- und Poststraße von Berlin nach Stettin im Verzeichnis der Heer- und Handelsstraßen ausgewiesen, zog der preussische König Friedich I. nach seiner Krönung in Königsberg 1701 auf dieser Straße nach Berlin ein. 1800/03 wurde sie befestigt und zur Chaussee ausgebaut.

Der Name „Königstor“ für die Ecke an der Frieden­straße bekam unter den Anwohnern während der deutschen Teilung nach dem Krieg eine neue Bedeu­tung, da die Greifswalder Straße zur „Proto­kollstrecke“ wurde und über sie morgens und abends die DDR-Polit-Prominenz, Honni und Konsorten, von und nach Berlin, aus Wandlitz kommend, aus- und einschwebte.

Die von mir oben genannte Schule wurde von Ludwig Hoffmann 1913/14 als „Königstädtisches Oberlyzeum“ erbaut. Ein „Lyzeum“ ist ein Mädchen­gymnasium, in dem nur das weibliche Geschlecht zugelassen ist. Zunächst wurden spezielle Gymna­sien für Mädchen nur deshalb gegründet, weil das allgemeine Bildungssystem keine höheren Schulen für Mädchen vorsah, so werden sie heute – bei erreichter Chancengleichheit im Bildungswesen – vor allem als Alternative zum koedukativen (geschlechtergemischten) Unterricht verstanden. 

In meiner Berufsschulzeit liefen wir im Sport­untericht immer die Käthe-Niederkirchner-Straße zum Volkspark hinauf. Käthe Niederkirchner, genannt Katja, (* 7. Oktober 1909 in Berlin; † 28. Sep­tem­ber 1944 im Konzentrationslager Ravens­brück) war eine Widerstandskämpferin im Dritten Reich. Nach ihr waren mehr als 300 Kollektive und Betriebe, Kindergärten und Sportvereine in der ehemaligen DDR benannt. Die Straße hieß von 1902 bis 1974 Lippehner Straße und erst seit 4.9.1974 Käthe-Niederkirchner-Straße. Lippehne ist eine Stadt in der früheren Provinz Brandenburg, Regierungsbezirk Frankfurt, Kreis Soldin; heute Lipiany, Woiwodschaft Zachodniopomorskie (West­pommern, Hauptstadt Szczecin), Kreis Mysliborz, Polen. Erstmals erwähnt wurde Lippehne 1268. Als civitas (Siedlung mit einer Verwaltung) verbürgt ist sie ab 1302. Die Stadt lebte vorrangig vom Ackerbau. Zwischen 1402 und 1455 war Lippehne Eigentum des Deutschen Ritterordens, der die Neumark erworben hatte. Durch den Anschluss an die Eisenbahn Küstrin-Stargard nahm die Stadt wirtschaftlichen Aufschwung. Im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs kam sie zu Polen.

Zwischen Esmarch- und Bötzowstraße befand sich in der Käthe-Niederkirchner etwa bis zur „Wende“ einer der letzten privaten Läden mit wirklich allem, was man zum Leben brauchte. Keine Selbst­bedienung, sondern in diesem Laden wurde man bedient. Da lag der Kamm noch neben der Butter und das Nähgarn neben dem Seifenpulver und der Dosenwurst. Meine damalige Geliebte Birgit O. und ich standen dort 1988 öfter mal in der langen Schlange der Wartenden mit an ... Und nicht nur wegen ihr liebte ich bald dieses Viertel!

Auch die Schule in der Bötzowstraße wurde von dem oben genannten Architekten, allerdings schon 1910, gebaut, wie auch der Schulkomplex inder Pasteurstraße. In der Pasteurstraße 9 war es eine „Königstädtische Oberrealschule“, in der Pasteur­straße 10 mal wieder eine Gemeindedoppelschule.

Der Arnswalder Platz wurde im Zuge der Bebauung des Bötzowviertels zwischen 1900 und 1904 angelegt, die Ausführung erfolgte nach Entwürfen des Landschaftsgärtners Hermann Mächtig. Seit dem Hobrecht-Plan 1862 hieß das Areal einfach Platz A, bei der ersten Bebauung rundherum erhielt er 1902 den Namen Arnswalder Platz nach der ehemaligen Kreisstadt Arnswalde (Provinz Pommern), heute Choszczno. Es war eine Art Wegekreuz, mit Rasenflächen und Blumenbeeten dazwischen, auf welchem nach und nach ein Buddelplatz angelegt, ein kleiner Springbrunnen und eine Rotunde als Pissoir aufgestellt wurden. Von den National­sozialisten wurde der Platz 1937 in Hellmannplatz umbenannt und hieß noch bis 1947 so, danach wieder Arnswalder Platz. Zwischen 1974 und 1995 war das Areal auf Beschluss des Rates des Stadtbezirks ohne Namen, weil direkt auf dem Platz niemand wohnte, er somit keine postalische Bedeutung besaß. Erst im Februar 1995 erhielt er seinen früheren Namen Arnswalder Platz zurück, seit dem Ende des 20. Jahrhunderts steht er unter Denkmalschutz.

Der „Stierbrunnen“ wurde 1927/34 aus rotem Porphyr von Hugo Lederer gebaut und hat 8 Meter im Durchmesser. Restauriert wurde er 1959 und noch einmal vor wenigen Jahren, wobei sich diese Reko sehr, sehr lange hinzog. Ist sie mittlerweile überhaupt schon abgeschlossen?  

✒ Rolf Gänsrich (Feb 2011)

 

Quellen u. a. Wikipedia, Luise Berlin, „Die Bau- und Kunstdenkmale Hauptstadt Berlin I (Henschelverlag Berlin 1984)“

 

P.S.: „Eule“ und „Rundkopf“ für die einstigen S-Bahnenbaureihen „Wannseebahn“ und „Olympia“ sind mir ja noch geläufig, aber neulich hörte ich die Ausdrücke „Coladose“, „Taucherbrille“ und „Toaster“ für die derzeit aktiven S-Bahnbaureihen. Hab darüber herzhaft gelacht. Sie können ja mal selbst überlegen, welche Bezeichnung zu welcher Baureihe passt!