Brauereien in Prenzlauer Berg (4/12)

Die Aktienbrauerei Friedrichshain

In unserer kleinen Reihe von ehemaligen Großbetrieben, insbesondere der Brauerei- en am Prenzlauer Berg, möchte ich mich diesmal um die Aktienbrauerei Friedrichshain kümmern.

In Erwartung des zunehmenden Ausflugsverkehrs zu dem 1848 entstandenen Volkspark Friedrichshain und aufgrund der günstigen topografischen Lage für die Errichtung einer „Kellerei zur Aufbewahrung von bairischem Bier“, erwarb der Brauereibesitzer Lipps ein Hanggrundstück am „Verlorenen Weg“, der heutigen „Straße am Friedrichshain“. „Günstige topografische Lage“ heißt, dass man in jenen Zeiten kühlende Kellergewölbe zur Lagerung des Bieres benötigte, weil die mechanische Kühlung noch nicht erfunden war. Am „Verlorenen Weg“ entstanden bis 1849 ein Lagerkeller, eine offene Bierhalle, Remisen und eine Schankstube. Der Brauereibetrieb wurde an dieser Stelle indes erst 1859 aufgenommen. Im Jahr 1867 wechselte die Lippssche-Brauerei in den Besitz der „Aktienbrauerei Friedrichshain“, um mehr Fremdkapital in die Firma zu holen.
Neben zahllosen Erweiterungsbauten der Braustätte selbst entstanden bis 1890 ein großes Restaurationsgebäude mit Prunksaal, ein Orchesterpavillon, Hallen und eine Sommerkegelbahn. Der von Regierungsbaumeister Max Schilling entworfene 43 Meter lange, 25 Meter breite und 16 Meter hohe Festsaal, mit gut tausend Plätzen, wurde im Stil der italienischen Renaissance ausgeführt und war seinerzeit der größte Saal Europas. Nach der Einstellung des Brauereibetriebes 1921 im Zuge der Nachkriegskrise wurde das Gelände an kleine Gewerbebetriebe vermietet. Im Saalbau fanden Veranstaltungen statt. 1924 entstand das heutige „Filmtheater Am Friedrichshain“ vom Architekten Otto Werner mit gut 1100 Plätzen.

Im Jahr 1936 wurde das Gelände an die Stadt Berlin verkauft und ein Teil davon ins Eigentum der NSDAP überführt. Für die Errichtung der „Dr. Goebbels-Heimstättensiedlung II“ wurde 1937/38 das Brauereigebäude gesprengt. Auf noch vorhandenen Kellerteilen der Brauerei entstand dann das „Kreishaus der NSDAP“. Der renovierte Saalbau wurde im Krieg dann vollständig zerstört. Am Ran- de erwähnt sei eine große Wahlveranstaltung im April des Jahres 1932, in der Joseph Goebbels von der NSDAP gegen Walter Ulbricht von der KPD gegeneinander antraten.
Das Verwaltungsgebäude der NSDAP überstand den Krieg nahezu unbeschadet und beherbergte nach 1954 den Verlag „Die Wirtschaft“, der u. a. Schulbücher für die Berufsausbildung, aber auch große Kontenbücher für Buchhaltung in den Betrieben der DDR herstellte. Der Verlag „neues leben“, der von der FDJ gelenkt wurde und in dem u. a. ab 1982 die Werke von Karl May oder ab 1959 die „Kompass-Buchreihe“ erschien, saß hier ebenfalls. „Neues Leben“ gehört heute zur „Eulenspiegel-Verlagsgruppe“. Man erreichte das Areal bis in die 70er Jahre unter anderem durch die Straßenbahnlinie 74 zur Kniprodestraße und mit der Buslinie 9 bis in die 90er über die Bötzowstraße. Nach der Enttrümmerung des Saalbaugrundstückes 1949 wurde in den 50er Jahren ein Gartenlokal in Leichtbauweise auf der Sockelzone und unter Einbeziehung der noch vorhandenen Keller des einstigen Saalbaus errichtet. Und genau dieser recht niedrige Keller, kaum 2,30 Meter hoch, in dem sich rasend schnell bei Veranstaltungen stickiger Zigarettenqualm sammelte, war als „Saalbau“ stadtbekannt. Betriebsfeiern zum „Tag der Mitarbeiter des Handels“ wurden hier genauso ausgetragen wie der wöchentliche Schwof für die reiferen Semester. Ich bin in meiner Jugend da einige Male sternhagelvoll raus, denn das Bier war billig und floss schnell.
Hinter dem Saalbau ein Kinderheim, das später als Kindergarten genutzt wurde. Die Wohnanlage aus den 30ern wurde in den 70ern durch Plattenbauten ergänzt. Die meisten erhaltenen Gebäude auf dem Gelände der ehemaligen „Aktienbrauerei Friedrichshain“ sind nach 1990 saniert worden. Das älteste Gebäu- de ist das 1996 wieder eröffnete Kino. Der ökologische Umbau der Kindertagesstätte wurde 1999 begonnen und 2001 abgeschlossen. Auf dem Saalbaugrundstück entstand in den darauf folgenden Jahren ein Neubaukomplex aus 45 Seniorenapartments, einem Pflegebereich mit 156 Betten und einem Gästehaus mit 88 Zimmern mit dem schönen Namen „Ambiente“. Noch bis weit nach Beginn der Neubauarbeiten wohn- ten auf dem Gelände einige Versprengte einer Wagenburg aus Kreuzberg, sogenannte „Rollheimer“. An den legendären Saalbau erinnert heute nichts mehr. Im Verlagshaus ist heute die HUSS-Mediengruppe zu finden. Bestseller sind z. B. „Das PKW-Fahrtenbuch“, Software für „die Planung und Berechnung von Elektroanlagen“ oder Fachpublikationen für Messen. Das Gelände der „Aktienbrauerei am Friedrichshain“ ist nicht zu verwechseln mit der Brauerei „Schweizer Gärten“, die sich dem Areal anschloss und auf die ich demnächst in dieser Serie kommen werde.
Rolf Gänsrich (Februar 2015)