HOSPIZDIENST

„Sterben ist Lebenszeit“

Im Hospizdienst der Stephanus-Stiftung begleiten Menschen Sterbende in ihrer letzten Lebensphase. Es sind EhrenamtlerInnen, die sich Zeit für ihnen zunächst fremde Menschen nehmen. Diesen Menschen oftmals eine gute, wichtige letzte Zeit im Leben schenken – und beschenkt werden. Ein Besuch bei der Hospiz-Koordinatorin.

 

Sterben. Viele Menschen können das Wort nicht aussprechen. Ebenso wenig wie ein anderes Wort: Tod. Beide gehören zum Leben. Und auch das Sterben ist Lebenszeit, sagt Denise Lipinski. Sie koordiniert die ehrenamtliche Sterbebegleitung der Stephanus-Stiftung in Prenzlauer Berg.

Stephans Stiftung Berlin Prenzlauer Berg
Oft ist es einfach nur das Dasein und Handhalten: Eine der Aufgaben der ehrenamtliche Hospiz-Mitarbeitenden der Stephanus-Stiftung. Foto: pixabay

Also reden wir über beides, zunächst über den Tod. Was ist ein guter Tod, Frau Lipinski?  „Darauf gibt es keine eindeutige Antwort“, sagt die gelernte Krankenschwester. Der Tod sei so individuell wie wir Menschen. Also hat auch jeder Mensch eine eigene Vorstellung davon, was ein guter Tod sein kann. Viele wünschen sich einen schmerzfreien, schnellen Tod. Aber den erleben die wenigsten. Und dann erzählt die Frau, die seit über zehn Jahren Menschen beim Sterben begleitet, die Geschichte des alten Mannes, der allein in seiner Wohnung lebte und auch allein dort sterben wollte. Die Nachbarn riefen öfter die Polizei, weil sie sich Sorgen machten. Der Mann wollte in kein Krankenhaus und in keine Pflegeeinrichtung. Er lag im Bett in seiner Wohnung, betreut von Pflegenden und den Hospiz-Angehörigen. Er lag da und starb zu Hause. Wie er es sich gewünscht hatte.

 

Sterben wie gewünscht

Ist zu Hause sterben ein guter Tod, Frau Lipinski? „Wenn das Umfeld stimmt, kann jeder gut zu Hause sterben“, sagt die Koordinatorin des Hospizdienstes. Es gäbe indes auch Situationen, wo das nicht möglich ist. Sterbende bedürfen der Pflege ihrer Angehörigen. „Tagsüber mag das gehen, aber was ist nachts?“ Manchmal seien Angehörige damit überfordert, liefen Gefahr, sich selbst zu vergessen. Auch diese, die Angehörigen zu unterstützen und zu begleiten, gehört zu den Aufgaben der EhrenamtlerInnen vom Hospizdienst der Stephanus-Stiftung.

Genaugenommen ist es der Hospizdienst Berlin-Nord, der in der Rodenbergstraße seinen Sitz hat. Die Stephanus-Stiftung betreibt in ganz Berlin und Teilen Brandenburgs diese Form der Sterbebegleitung. Weil auch Sterben Lebenszeit ist, spricht Denise Lipinski lieber von letzter Lebensphase. Dasein für die Sterbenden, Reden, Zuhören, Vorlesen, Spaziergehen – all die so alltäglichen und notwendigen Handlungen bieten die Mitarbeitenden des Hospizdienstes Sterbenden und ihren Angehörigen an. Es ist keine Pflege, es ist eine soziale und psychologische Begleitung. 

Stephans Stiftung Berlin Prenzlauer Berg
Die gelernte Krankenschwester Denise Lipinski koordiniert den Hospizdienst Berlin-Nord.

„Die Menschen wollen über ihr Sterben reden“, so die Erfahrung von Frau Lipinski. Viele wollen die Beerdigung und die Zeit danach für ihre Familie regeln – viele können mit ihren Angehörigen nicht direkt darüber sprechen. Und Angehörige darüber manchmal auch nicht mit den Sterbenden. Zu viel Schmerz, zu viel Angst, zu viel Scham auch. „Ich sage den Mitarbeitenden dann immer: Wir sind wie die Schweiz, neutral. Mit uns können die Menschen über das Sterben reden“, sagt Frau Lipinski. 

Mindestens eine Stunde wöchentlich verbringen die EhrenamtlerInnen bei den Sterbenden. Wenn sie mehr Zeit schenken wollen, gibt es keine Beschränkung. Bevor sie Menschen begleiten können, erhalten sie eine umfangreiche Schulung. Und die erste Begegnung mit den Menschen, die ihre Hilfe benötigen, ist dann fast wie eine Bewerbung. „Wir schauen von beiden Seiten, ob es passt“. Schließlich sei die Begleitung, die manchmal bis zu mehreren Monaten dauert, ein sehr intensiver Prozess. „Die Menschen kommen sich sehr nahe“. So individuell wie die Menschen ist auch ihr Sterben und sind die Wünsche, die sie an ihre Hospiz-Begleiter haben. Oft sei es einfach nur: Dasein, die Hand halten. „Das ist ja oft das Schwierigste. Wir Menschen wollen ja immer gern etwas tun“. 

Wer sind die Menschen, die um Hilfe und Begleitung in der letzten Lebenszeit bitten? „Im Moment noch vor allem Menschen aus Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern“, sagt Frau Lipinski, „wir möchten auch gern stärker im häuslichen Bereich begleiten“. 

Stephans Stiftung Berlin Prenzlauer Berg
Ermutigungsspruch: In den Räumen des Hospizdienstes in der Rodenbergstraße finden Schulungen, Gespräche, Veranstaltungen statt. Fotos (2): al

Dankbarkeit als Erfahrung

Und wer sind die Menschen, die Sterbende begleiten, ehrenamtlich, unentgeltlich? „Junge und Ältere, im Grunde sehr gemischt. Da gibt es einen Wandel im Ehrenamt, inzwischen melden sich immer mehr Jüngere“. Die Motivation sei sehr unterschiedlich: Jüngere wollten mit dem Ehrenamt gern eine Erfahrung machen, suchten auch einen Sinn jenseits ihres Berufes. Ältere möchten gern etwas zurückgeben. Und viele seien für ihr Ehrenamt sehr dankbar, weil es ihnen Nähe, Dankbarkeit, Sinn vermittle. Dennoch sei es wichtig, dass die Menschen gefestigte Persönlichkeiten sind, mit Wut, Trauer, Schmerz gut umgehen können. „Für die Bewältigung eigener Trauer oder eigenen Verlustes ist dieses Ehrenamt nicht geeignet“. 

Neben der umfangreichen Schulung gibt es für Interessierte deswegen auch ausführliche Gespräche – und das 24-Stunden-Angebot von Frau Lipinski, für ihre Mitarbeitenden da zu sein. Wenn es diesen zu schwer wird, Menschen beim Sterben zu begleiten. Wobei die wenigsten Ehrenamtler im Moment des Todes dabei sind. „Das sind dann schon sehr seltene Situationen“, sagt Frau Lipinski, die diese Situationen oft erlebt hat. „Wenn der Tod nahe ist, das spüre ich. Am Gesichtsausdruck, an der Atmung, an der Entspanntheit.“

-al-, Sep. 2018