Frühjahrsputz für den Friedhof

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Kulturhistorische Kleinode harren auf dem Friedhof St.-Marien der Grabpflege.

Der kleine schicke Wins-Kiez im Südosten des Stadtteils erwacht in den Frühling. Die Cafes und Restaurants stellen Tische und Stühle samt Blumenschmuck auf die Bürgersteige. Engagierte AnwohnerInnen putzen das kleine Grün vor ihrer Haustür. Eine Initiative hat sich jetzt auch der Pflege auf dem St.-Marien- und St.-Nikolai-Friedhof angenommen.

Sie frönen dem guten alten Brauch des Frühjahrsputzes und sorgen damit fürs Allgemeingut. Engagierte BewohnerInnen räumen auf dem Friedhof St.-Marien- und St.-Nikolai an der Prenzlauer Allee auf. Eine Gruppe Ehrenamtlicher hat hier die Pflege und Reinigung alter Grabmale übernommen. Vor wenigen Tagen, genau am Frühlingsanfang, traf sie sich erstmals, um Äste und altes Laub aufzusammeln und Grabsteine zu säubern.
„Unser Ziel ist es, dauerhaft einige Gräber wieder gärtnerisch zu beleben“, sagt Roland Bunke, der Initiator der Aktion. Die Friedhofsverwaltung hat der Initiative Grünes Licht gegeben. Es sind einige kulturhistorische Kleinode, die vor einigen Jahren teilweise aufwändig saniert, der Pflege und Säuberung harren. Mausoleen, Familiengräber, denkmalgeschützte Grabstätten Berliner Prominenter sind darunter. Das des Unternehmers und Kommerzienrates Carl Spindler (1841-1902) beispielsweise, der den ersten  Müggelturm stiftete, oder das des Theologen und Probstes Conrad Gottlieb Ribbeck (1759-1826).
Als erstes zu säuberndes Objekt hatte sich der Trupp um Organisator Roland Bunke indes ein anderes  geschichtsträchtiges Grab vorgenommen: Die Ruhestätte des Polizeipräsidenten Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey (1805-1856). Dessen Biographie erzählt aufs Spannendste ein Stück Berliner Geschichte des 19. Jahrhunderts.
Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey wurde 1848 zum Berliner Polizeipräsidenten ernannt, nach der gescheiterten bürgerlichen Revolution und mit dem ausdrücklichen Ziel, im unruhigen Preußen wieder für Zucht und Ordnung zu sorgen. Unter seiner Regide wurde die Theaterzensur verschärft, wurden unliebsame Zeitungen verboten. Alle Reisenden mussten sich der Überwachung beugen, strikt wurde jeder Zuzug Auswärtiger kontrolliert. Hinckeldey baute ein ausgedehntes Spitzelwesen auf. Wobei auf seine Veranlassung hin nicht nur »subversive Elemente«, sondern auch die Regierungsbeamten und die Leibwache des Königs überwacht wurden.
Hinckeldey führte indes Polizei und Überwachung nicht nur mit harter Hand, der siebenfache Vater tat sich auch durch soziales Engagement hervor. Auf sein Konto geht der 1851 begonnene Aufbau einer Berufsfeuerwehr, die von ihm zugleich für die Stadtreinigung verantwortlich gemacht wurde; die Einrichtung von Volksküchen, Gesindeherbergen, Bade- und Waschanstalten. Auch der Bau einer Wasserleitung sowie des 1856 in Betrieb gegangenen ersten Berliner Wasserwerkes geschah auf seine Initiative hin.

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Schön ruhig, schön verwildert. Um den Friedhof St.-Marien kümmert sich eine Gruppe Ehrenamtlicher. Fotos (2): al

So spektakulär wie sein achtjähriges Wirken als Polizeipräsident, so unrühmlich war sein Tod. Hinckeldey starb bei einem Pistolen-Duell, zu dem er selbst herausgefordert hatte. Und das, obwohl in Berlin in diesen Zeiten Duellierungsverbot bestand, worüber er als oberster Ordnungshüter eigentlich zu wachen hatte. Der Herausgeforderte und Todesschütze war der 30jährige Rittergutsbesitzer von Rochow auf Plessow, Leutnant a. D. und Mitglied des Preußischen Herrenhauses. Er war Angehöriger eines Glücksspieler-Zirkels im Hotel Unter den Linden, den der Polizeipräsident hatte auflösen lassen. Rochow-Plessow beleidigte Hinckeldey daraufhin schwer. Der musste, um seine Ehre zu retten, zum Duell herausfordern. 
Rochow-Plessow galt als vorzüglicher Schütze, während der Polizeipräsident, nach zeitgenössischen Schilderungen, nicht mit der Pistole umzugehen verstand. Er hatte als Beleidigter den ersten Schuss. Seine Pistole versagte. Mit einer zweiten Pistole schoss er daneben. Rochow-Plessows Schuss traf den Polizeipräsidenten direkt in die Brust. Er starb noch am gleichen Abend. Der Todesschütze zeigte sich unmittelbar nach dem Duell bei der Polizei an. Von einem Militärgericht zu vier Jahren Festungshaft verurteilt, wurde er auf Fürsprache von Hinckeldeys Witwe bereits nach einem Jahr begnadigt.
Zur Beerdigung Hinckeldeys sollen 100.000 Berlinerinnen und Berliner zum Friedhof St.-Marien- und St.-Nikolai gekommen sein. Die Polizeibeamten stifteten eine Grabmauer und eine Büste für ihren erschossenen Chef.
Dieser verwilderten Grabstätte nun gilt die Fürsorge der ehrenamtlichen Frühjahrsputzer um Roland Bunke. Weitere Putz- und Pflege-Aktionen sollen in den kommenden Monaten folgen. „Viele der Gräber sind in einem schlechten gärtnerischen Zustand, den ich in Zusammenarbeit mit der AG Friedhofsmuseum durch Grabpflege-Patenschaften ändern möchte.“, beschreibt Roland Bunke seine Motivation. Gern möchte er deshalb weitere Menschen für Pflege und Erhalt der historischen Gräber auf dem Friedhof begeistern. Privatpersonen,  Vereine oder Institutionen können solch eine Patenschaft für eine Grabpflege übernehmen. Um das Anliegen publik zu machen, erstellt die AG Friedhofsmuseum, die ihren Sitz auf dem Gelände hat, derzeit einen Flyer über den Friedhof und die Gräber der einstigen Berliner Prominenten.
Das verspricht weitere kulturhistorische Entdeckungen: Etwa die von Franz Mett Ehrenberg, einem deutschen Kommunisten, der von den Nazis im Zuchthaus Brandenburg ermordet wurde; oder die des Architekten Eduard Knoblauch (1801-1865), dem Miterbauer der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße. „Ich recherchiere gerade, ob es Angehörige, Vereine oder Stiftungen gibt. Bei einigen bin ich schon fündig geworden.“, so Roland Bunke.
-al- (April 2015)
Mehr über das Geschehen auf dem Friedhof unter:  http://friedhofsmuseum.de