FILMREIHE 77 JAHRE KRIEGSENDE

„Vielleicht ein Appell für den Frieden“

Krieg ist Leid, Zerstörung, Verlust. Jeder Krieg. Im Kino Krokodil laufen im Mai Filme zum Zweiten Weltkrieg, 77 Jahre nach seinem Ende. Die Berliner „Trümmerfilme“ treffen in eine Zeit, in der wir uns ein sofortiges Kriegsende herbeisehnen, denn es herrscht wieder Krieg mitten in Europa. Und so sind die Filme ein dringlicher Appell für den Frieden. Immer, überall.

Mit fünf Jahren, 1942, kommt Hans in ein Nazi-Kinderheim im schlesischen Freiburg. Sein Vater ist Soldat im Krieg, die Mutter muss in der Waffenproduktion arbeiten. In den letzten Kriegswochen 1945 wird das Heim Hals über Kopf evakuiert. Wochenlang irren die Kinder durchs Land, landen schließlich in einem Kinderheim in Sachsen. Ihre Eltern sind spurlos verschwunden, Hans und sein Bruder werde als Vollwaisen registriert, schließlich getrennt. 1947 stößt ein Team der DEFA-Wochenschau „Der Augenzeuge“ auf Hans. Er wird zum DEFA-Suchkind mit der Nummer 330. Sein Schicksal läuft in der „Augenzeugen“-Reihe „Kinder suchen ihre Eltern“ im Kino. Es ist eines von 400 Kindern. Ausgewählt aus Zehntausenden, die ihre Eltern in den Kriegswirren verloren haben.


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Kinder als Opfer von Kriegen: Eine Filmreihe blickt auf das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 8. Mai 1945. Foto: DEFA-Stiftung, Kurt Wunsch.

ZEIT DER TRÜMMER

Mit Ausschnitten aus der Augenzeugen-Wochenschau „Kinder suchen ihre Eltern“ startet das Filmfest „77 Jahre Kriegsende“ im Kino Krokodil. Vom 6. bis 8. Mai zeigt der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Kooperation mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa und dem Geschichtsbüro Müller sogenannte Trümmerfilme aus Berlin. Jeweils einen Spielfilm, dazu ein Vorprogramm und Gespräche mit Gästen. Drei Abende lang.

Es sind Filme aus einer Nicht-Zeit, so scheint es. Einer Zeit der Trümmer, des Schutts und Leids, in der die Hauptstadt des einstigen Deutschen Reiches 1945 liegt. Als solche wird sie wieder zur Filmkulisse. Die Trümmerfilme zeigen die Befreiung, die Not und die Probleme der Bevölkerung. Sie zeigen Menschen, die aus dem Krieg heimkehren und Menschen, die vor dem Krieg geflüchtet sind. Sie zeigen den Wiederaufbau und den beginnenden Kalten Krieg. Manchmal beginnen sie zaghaft mit der Vergangenheitsbewältigung.

Eigentlich sollte die Filmreihe bereits 2020 laufen und an das 75. Jahr des Kriegsendes in Europa erinnern. Sie musste pandemiebedingt verschoben werden. „Dass es in diesem Jahr wieder Krieg und Trümmer geben würde, dass unsere ukrainischen Nachbarn sich gegen einen russischen Angriff zu verteidigen haben, damit hat, denke ich, keiner von uns gerechnet“, so Organisator Stephan Müller vom Geschichtsbüro Müller. Der Historiker: „Vielleicht kann diese Filmreihe ein umso dringenderer Appell für Frieden sein.“

KINDER IM BLICK

Stephan Müller, der Historie in Prenzlauer Berg bisher u.a. mit dem Filmfestival Prenzlauerberginale und einem Mauerfilm-Fest beleuchtete, hat nun für die Kriegsende-Filme zwei international agierende Partner gewonnen. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge dokumentiert und erhält die Gräber deutscher Kriegstoter im Ausland. Im Auftrag der Bundesregierung betreut er 832 Kriegsgräberstätten in 46 Staaten, auf denen rund 2,8 Millionen Kriegstote begraben sind. Das Deutsche Kulturforum östliches Europa betrachtet in seiner Arbeit die Regionen in Osteuropa, die einst von deutschsprachigen Menschen bewohnt wurden. 


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Berlin in Trümmern – die Filmreihe zeigt Verlust und Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Foto: DEFA-Stiftung, Jaworsky, Fendmer, Bremer

Kinder sind ein Schwerpunkt der dreitägigen Filmreihe. Müller: „Sie stellen eine Opfergruppe dar, die kaum bekannt ist.“ Es geht dabei vor allem um Kinder, die nicht im Kampf umgekommen sind, sondern nach Kriegsende beim Spielen in der Trümmerlandschaft und in bombenverseuchten Gebieten. Neben den Ausschnitten aus dem Augenzeugen „Kinder suchen ihre Eltern“ läuft auch der Spielfilm „Irgendwo in Berlin“ aus dem Jahr 1946. Er zeigt den elfjährigen Gustav und seinen elternlosen Freund Willi, die im Trümmer-Berlin mit Feuerwerkskörpern Krieg spielen. Gustavs Vater kehrt, seelisch zerstört, aus dem Krieg zurück. Und nun muss der Junge eine Art Elternrolle übernehmen.

VERLUST VON ZUKUNFT

„Wir haben lange überlegt, ob es während des jetzigen Krieges überhaupt opportun ist, ein solches Filmfest zu zeigen.“, so Stephan Müller. „Wir denken inzwischen, ja, das ist es, geht es doch um die katastrophalen Folgen des Krieges für die Kinder. Und die sind vermutlich in jedem Krieg ähnlich.“ So sollen in Gesprächen mit Expertinnen und Experten, die jeden Filmabend beschließen, auch Querbezüge zu anderen Konflikten hergestellt werden. 

Krieg ist Verlust, auch der Verlust von Heimat. Auch im Film „In jenen Tagen“ klingt das Thema Heimatverlust mit an. „In jenen Tagen“ entstand 1947 in der britischen Besatzungszone und zeigt die Geschichte von 1933 bis 1945 anhand von sieben Episoden. Er wird am 6. Mai gezeigt.

Krieg stiehlt Kindern das Leben, die Gegenwart oder die Zukunft. Willi, der elternlose Junge aus dem Film „Irgendwo in Berlin“, überlebt das Spiel in der Trümmer-Stadt nicht. Hans, der Junge mit der Suchnummer 330 aus dem „Augenzeugen“, findet nach sechs Jahren seine Mutter wieder. Sie bleiben sich ihr Leben lang fremd.

 Katharina Fial, Mai 2022

Filmfest 77 Jahre Kriegsende in Berlin, 6. bis 8. Mai, Kino Krokodil, Greifenhagener Straße 32, www.kriegsende.berlin