"Wer Zeit und Lust hat, macht mit"

Magazin Prenzlauer Berg Zeitung
Die Bewohner und ihr fast fertiges Haus: Vor 18 Monaten zogen 22 Menschen in die Haus-WG Malmöer Straße. Foto: M29

In der Malmöer Straße in Prenzlauer Berg leben rund 20 Menschen ihren Entwurf vom kollektiven, selbstbestimmten Wohnen. Sie leben einen Entwurf, wie Wohnen günstig und miteinander gehen kann. Erfahrungen und Eindrücke nach 18 Monaten gemeinschaftlicher Wohnpraxis.
Auf dem Klingelschild steht "Klingel". Keine Namen. Wären mit rund 20 auch zu viel für eine einzige Klingel. Wer gerade in der Nähe der Tür ist, macht auf und bringt den Besuch zu denen, die ihn erwarten. Zwei Etagen hoch, an den WG-Zimmern vorbei, in die Gemeinschaftsküche und die Gemeinschaftsräume. Schön hell ist es, weil die großzügigen Fenster viel Licht in die großzügige Küche lassen. Die Wände, mit hölzernen USB-Platten verkleidet, und die Holzdielen machen es warm. Es riecht leicht nach Kräutern.
Endlich 18! Damit feierte die Malmöer Straße 29 vor kurzem eine Hausparty mit Freunden und Nachbarn. 18 Monate selbstbestimmtes Wohnen in der M29 wollten gewürdigt sein. "Am Anfang genießt man den Erfolg, dass das Haus endlich fertig ist. Jetzt ist das Wohnen hier Normalität", beschreibt es Luisa, eine junge Frau, die zu den Gründerinnen gehört. Normalität heißt auch: Die Grundsatz-Debatten, wie 19 Erwachsene und drei Kinder miteinander leben wollen, sind geführt. "Jetzt kennt man sich".
Die Idee vom selbstbestimmten Wohnen, zu gleichbleibend günstigen Mieten, ohne Angst vor Verdrängung oder Mieterhöhung. Die Partnerschaft der Bewohner mit dem Mietshäuser-Syndikat macht diese Lebensform möglich. Ihr Wohnen ist dauerhaft günstig und es ist, im gemeinsamen Eigentum, sicher. In der M29 ebenso wie in den zehn weiteren Projekten der Syndikats-GmbH in Berlin. Über 50 solcher Hausprojekte des Mietshäuser-Syndikats gibt es in ganz Deutschland. Tendenz steigend.
Selbstbestimmtes Wohnen heißt auch: Entscheidungen werden auf Konsens-Basis getroffen. Die Bewohner besprechen anstehende Fragen so lange, bis sich alle auf eine Lösung geeinigt haben. Alle zwei Wochen versammeln sie sich dazu im Plenum im Gemeinschaftszimmer. Für die verschiedenen Aufgaben im Haus gibt es Arbeitsgruppen. Die sind flexibel. Zu tun ist immer etwas, auch 18 Monate nach Fertigstellung des Hauses. Luisa: "Wer Zeit und Lust hat, macht mit". Etwa bei der Gartengestaltung, oder beim abendlichen Kochen. Irgendjemand fängt meistens an, andere gesellen sich dazu und kochen mit.

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Das Haus ist fertig und schon rein äußerlich auffällig: Das selbstbestimmte WG-Projekt M29. Foto: al

Für Essen und die Basics des gemeinsamen Lebens, Putzmittel oder Windeln, zahlt jeder in die Gemeinschaftskasse. Gekocht wird vegetarisch oder vegan, wer Fleisch essen will, bereitet es sich in der Fleischküche.
Warum zieht jemand hier ein? Jan ist erst später zur M29 gestoßen, hat die Bau- und Konstituierungsphase nicht miterlebt. "Ich hatte einfach Lust auf ein kollektives Leben. Das hat ja was von einer Wahlfamilie." Wer hier einzieht, will mit anderen und für andere etwas machen. Er oder sie denkt an die anderen. "Ego-Tripp geht hier nicht". So sei das Haus auch räumlich strukturiert. Es funktioniert.
19 Erwachsene im Alter von Mitte 20 bis 40, unterschiedlichster Berufe, leben in der M29. Jeder hat ein eigenes Zimmer von 15 Quadratmetern, zahlt dafür und für die Nutzung der Gemeinschaftsräume 300 Euro Miete warm. Dauerhaft. 
Der Wunsch nach einer Gemeinschaft ist die eine Idee, die die Bewohner verbindet. Die andere hat politischen Charakter. "Es geht ja darum, ein Zeichen zu setzen für alternative Wohnformen und auch gegen die Gentrifizierung. Es geht darum ein Haus zu bauen, ohne Vermieter, mit wenig Geld", sagt Jan. 
18 Monate Leben in der M29, das sind auch 18 Monate öffentlichen Interesses. Das Haus fällt schon äußerlich auf. Zweigeschossig, glatt, mit großen Glasschrägen, schmiegt es sich ans Ende der Straße mit ihren Prenzlauer-Berg-Viergeschossern. Hinter der Mauer am Garten die S-Bahngleise, vor dem Eingang alte Möbel.
Leute, die vorbei kommen, klingeln. Architekten, die von der Malmöer gelesen haben, wollen sich das Haus anschauen. Wissenschaftler wollen das Zusammenleben erforschen. "Wir sind kein Zoo", beschreibt Jan den Spagat zwischen dem öffentlichen Interesse am Modell-Charakter der M29 und dem berechtigen Wunsch der Bewohner nach ihrer Privatsphäre. Umso mehr sind Hausfeste wie der 18.-Monats-Geburtstag geeignet, Einblicke in Alltag und Leben in der M29 zu bekommen.
Es ist ein Leben, das sich Luisa nicht mehr anders denken kann. "Man ist hier nicht wirklich allein".
Katharina Fial (Mai 2014)