KÄTHE-KOLLWITZ-JUBILÄUM

Wir schaffen neue Zugänge zu einer unbeirrbaren Künstlerin

Mit einer „Spurensuche“ ehrt die Galerie Parterre Käthe Kollwitz zu ihrem 150. Geburtstag. Ausstellung, Spaziergänge und Lesungen erschließen die Künstlerin auf vielfältige Weise. Wieviel Kollwitz steckt in Prenzlauer Berg? Ein Gespräch mit Projektleiterin Kathleen Krenzlin.

 

Frau Krenzlin, Käthe Kollwitz gilt bis heute als die berühmteste deutsche Künstlerin mit einem Werk von internationaler Ausstrahlung. Was erwartet uns mit der „Spurensuche“?

Käthe Kollwitz lebte 52 Jahre in Prenzlauer Berg. Aus dieser einmaligen Situation heraus konnte ich eine Vielzahl anregender Themen rund um das private und berufliche Leben der Künstlerin erschließen. Die Ergebnisse unserer „Spurensuche zum 150. Geburtstag“ schlagen sich nicht nur in der Ausstellung, sondern auch in einem Begleitbuch und einem Veranstaltungsprogramm nieder.

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Der heutige Kollwitzplatz zu Lebzeiten von Käthe Kollwitz.

Wie lebte Käthe Kollwitz in Prenzlauer Berg?

Wir wollen mit unseren Kiezspaziergängen zu den Orten, an denen Käthe Kollwitz lebte und wirkte, einen neuen Zugang für Bewohner und Besucher schaffen, denn vielfach ist ihre Geschichte verlorengegangen. Von ihrem Wohnhaus in der Weißenburger Straße 25, der heutigen Kollwitzstraße 56, blickte sie direkt auf den Wörther Platz, damals ein pulsierendes Zentrum mit Bus- und Straßenbahnlinien. Die günstige Verkehrslage verband Käthe Kollwitz mit der Stadt Berlin, in der sie viel unterwegs war. Ihr Ehemann Karl Kollwitz war Arzt und führte in der Familienwohnung einige Jahre seine kassenärztliche Praxis. Zugleich diente die Wohnung als Atelier. Später kam in der 3. Etage eine weitere Wohnung hinzu. Das Wohnhaus wurde 1943  im Krieg zerstört und mit ihm – neben privaten Papieren wie Briefen – ein großer Teil des Frühwerks der Künstlerin. 

 

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Das Motiv für „Arbeiter, vom Bahnhof kommend“ fand Käthe Kollwitz am S-Bahnhof Prenzlauer Allee. Eine Ausstellung und Kiezspaziergänge gedenken des 150. Geburtstages von Käthe Kollwitz. Fotos (2): Käthe Kollwitz Museum Köln

…und über ihren Wohnraum hinaus?

Eine weitere Station dieses Kiezspaziergangs ist das Areal rund um das ehemalige Städtische Gaswerk. Es war ein markanter Ort mit riesigen Gasometern. Rund um die Uhr war hier Betrieb mit viel Dreck und Lärm, noch heute zeugen historische Backsteinbauten vom architektonischen Umfang der Anlage. In unmittelbarer Nachbarschaft lag das Städtische Obdach, in dem sich heute ein Krankenhaus befindet. Es ist belegt, dass Käthe Kollwitz diese Orte kannte und an ihnen auch Motive für ihre Arbeit fand.

 

Käthe Kollwitz gilt als politische Künstlerin, die Armut, Krieg und Ausbeutung in ihren Werken anprangerte. Wie verbinden sich ihre Themen mit der heutigen Zeit?

Das ist eine Entdeckung, die ich während meiner Recherchen machte. Käthe Kollwitz ist als Künstlerin von ihrer politischen Einstellung nicht zu trennen, sie selbst sah sich als politische Künstlerin. Oft war das der Konflikt, aus dem ihre Arbeiten entstanden. Die Frage ist also: Wovon reden wir, wenn wir über Kunst reden? Ihre Themen Krieg und Not holen uns heute mit dem Flüchtlingsproblem wieder ein. Das scheint ein Thema zu sein, das mit der Menschheit zu tun hat. 

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An der Stelle des Wohnhauses von Käthe Kollwitz steht heute ein Neubau. Eine Tafel erinnert an die Künstlerin und ihren Mann, den Arzt Karl Kollwitz. Foto: al

Was wird es in der Ausstellung zu entdecken geben?

Im Mittelpunkt soll Käthe Kollwitz als großartige unbeirrbare und selbständige Künstlerin stehen. Dabei schließen sich ihr breites gesellschaftliches Engagement und die Intensität ihrer künstlerischen Arbeit nicht aus. Die Lithographie „Städtisches Obdach“ beispielsweise ist ein Bild größter Innigkeit. Die frühe Gouache „Arbeiter, vom Bahnhof kommend“ zeigt, wie intuitiv und meisterhaft die Künstlerin im Vorbeigehen Situationen wahrnahm, nach Hause trug und präzise in Gefühl und Gestalt wiedergeben konnte. Ihre Empfindungen und Wahrnehmungen waren so komplex und reflektiert, wie ihr Bild von der Welt.

 

Ein Begleitbuch mit Beiträgen unterschiedlicher Autoren gehört ebenfalls zur „Spurensuche“. Wie ergänzt es Ausstellung und Spaziergänge?

Es kompensiert zum Teil, was die Ausstellung nicht leisten kann. Deshalb handelt es sich auch nicht um einen klassischen Katalog, sondern tatsächlich um eine profunde Ergänzung. Einige Beispiele: Im Mittelpunkt der Beiträge von Michael Bienert stehen das Wohnhaus der Familie Kollwitz und die Berlin-Motive in ihrem Werk. Conrad Schmidt, der Bruder von Käthe Kollwitz, wird von Annett Gröschner und Ralf S. Werder beschrieben. Er stand als Sozialdemokrat und Nationalökonom im Kontakt mit Friedrich Engels. Er beeinflusste die politische Haltung von Käthe und Karl Kollwitz. Sonya und Yury Winterberg beschäftigen sich mit Karl Kollwitz. Er hat die künstlerische Tätigkeit seiner Frau maßgeblich befördert.

 -al-, Juli 2017

Ausstellung und Begleitprogramm „Käthe Kollwitz und Berlin. Eine Spurensuche zum 150. Geburtstag“ starten am 5. Juli. Mehr auf: www.galerieparterre.de