... da die Mauer hier nur aus Maschendrahtzäunen bestand ...

Bettina und Achim von Arnim auf dem gleichnamigen Platz
Bettina und Achim von Arnim auf dem gleichnamigen Platz

Als ich bei knöcheltiefem Neuschnee Mitte Dezember entlang der Schivelbeiner Straße zum Arnimplatz stapfe, ist das auch ein Weg in meine eigene Vergangenheit. In Nr. 41 wohnte bis etwa 1994 meine Patentante Else, "unsere“ „Gold-Else“, wie wir sie in der Familie nannten, denn sie war mit ihrem, Mitte der achtziger Jahre verstorbenen Mann leider, kriegsbedingt, kinderlos geblieben und so erstreckte sich ihre Kinderliebe vor allem auf mich, ihr Patenkind, was sich in Form reichhaltiger Bescherung vor allem zur Jugendweihe aber auch in Form sehr vieler, sehr feuchter Küsse auf die Wangen in meinen Kinderjahren äußerte. 

Ich hab da noch so manch Bild im Kopf von langen Familienfeiern und von der, für mich unerhört hell erleuchteten Schönhauser Allee, die mich als damaliger Randberliner aus dem alten Hohenschönhausen, mit Vorstadtbebauung und Rieselfeldern in Riechweite, immer wieder beeindruckte. Ich erinnere mich auch an nächtliche Heimfahrten mit den runden EMW-Taxis (EMW = Eisenacher Motorenwerke – enteignetes BMW-Werk – gewissermaßen Vorgänger zum legendären „Wartburg“) und an das dunkle Gruseln bei Spaziergängen bis zur Ecke Malmöer Straße, um dort „Grenze zu kieken“. 

Ganz andere Erinnerungen hab ich an die Schivelbeiner 43, damals Willi-Bredel-Straße 43, in der ein Wehrkreiskommando untergebracht war. Mit gut dreiundzwanzigeinhalb Jahren musste ich hier 1985 zur Einberufungsmusterung und bekam in diesem Wehrkreiskommando 1988 meinen „M-Befehl“, den ich 1990 wieder zurück geben durfte.

 

Nun aber zum Arnimplatz. Er war bereits im Hobrechtplan vorhanden. Die Bäckerei Siebert in der Schönfließer Straße ist, meines Wissens nach, die älteste noch von der gleichen Familie, wie bei der Eröffnung, betriebene Bäckerei in Prenzlauer Berg, 1906 gegründet. In dem, auch als „Skandinavisches Viertel“ bezeichneten Kiez, lebten von der Kaiserzeit bis in die Weimarer Republik hinein einige der „feineren Kriminellen“, die vor allem im damals herunter gekommenen Scheunenviertel in Mitte ihre Bordelle hatten. 

Auf dem Arnimplatz selbst fallen einem zunächst einmal zwei Gebäude ins Auge. An der Ostseite ist es eines mit Rauhputz, das der GASAG gehört, an der Westseite steht ein verklinkertes, von Vattenfall. Letzteres hat nicht nur äußerliche Ähnlichkeit mit dem Abspannwerk auf der anderen Seite der Ringbahn in der Kopenhagener-/Sonnenburger Straße sondern der Architekt ist auch derselbe. Auch ein einstiger technischer Zusammenhang ist zu vermuten. Hans Heinrich Müller (* 20. April 1879 in Grätz (Provinz Posen) (heute Grodzisk Wiel kopolski, Polen); † 7. Dezember 1951 in Berlin) war ein deutscher Industriearchitekt, der viel für die damalige BEWAG (Berliner Elektrizitätswerke AG – falls der Name jüngeren Lesern nicht bekannt sein sollte – wurde vor einigen Jahren vom Land Berlin an Vattenfall verkauft) projektierte und baute. 

Der Arnimplatz selbst wurde errichtet 1905 – 1907 nach Plänen von Hermann Mächtig (*18. August 1837 in Breslau; † 1. Juli 1909 in Berlin). Dieser war Gärtner und von 1878 bis zu seinem Tode 1909 Stadtgartendirektor in Berlin. Er war maßgeblich beteiligt an der Anlage des Treptower Parks, des Zentralfriedhofs Friedrichsfelde, des Pariser Platzes und zahlreicher weiterer Berliner Stadtplätze. 

Es war ja nie so ganz leicht, entlang der Schönhauser Allee einen Parkplatz für sein Auto zu bekommen, aber durch die „Parkraumbewirtschaftung“, ich schreib das absichtlich in Gänsefüßchen, innerhalb des S-Bahn-Rings ist der Parkdruck im „Skandinavischen Viertel“ noch größer geworden. 

In den siebziger Jahren erfolgte mit viel öffentlichem Interesse die Rekonstruktion des Wohngebietes am Arnimplatz und im April 1975 wurde mit großem Propagandaeinsatz die eintausendste modernisierte Wohnung am Arnimplatz gefeiert. Dabei stieß die Volkswirtschaft der DDR aber auch an ihre Grenzen. Die Berichte zum Bauablauf aus den Jahren 1972 – 78 spiegeln dies wieder. So wird von mangelnder Baukapazität und Baufreiheit genauso berichtet, wie von fehlendem Material und nicht vorhandenen Handwerkern. Die Freude der Bewohner der modernisierten Häuser wurde bald getrübt durch Risse in den Wänden, blätternden Putz, Mängel in der Trockenlegung und anderes.  

Ich hatte es oben im Text bereits erwähnt, dass die Schivelbeiner Straße eine Zeit lang einen anderen Namen trug. Sie hieß vom 14.4.1971 bis 1.2.1993 Willi-Bredel-Straße. Willi Bredel (* 2. Mai 1901 in Hamburg; † 27. Oktober 1964 in Berlin) war ein deutscher Schriftsteller und Präsident der Deutschen Akademie der Künste. Er gehörte zu den Pionie ren der sozialistisch-realistischen Literatur. Schivelbein, heute Świdwin ist eine Kreisstadt in Hinterpommern, heute in der polnischen Woiwodschaft Westpommern gelegen. Sie hat etwa 15.000 Einwohner und ist Verwaltungssitz einer Landgemeinde (gmina wiejska) mit über 6.000 Bewohnern. 

Die Verlängerung der Straße, die Behmstraße, mündet in der Behmbrücke, welche gleichfalls noch komplett zu Prenzlauer Berg gehört. Während der Zeit der Berliner Mauer war bereits die komplette Behmstraße militärisches Sperrgebiet. Die Behmbrücke blieb zwar erhalten, wurde aber nicht, im Gegensatz zur Boese-Brücke an der Bornholmer Straße, zu einem Grenzübergang nach Westberlin ausgebaut sondern verrottete und wurde schließlich in den 90er-Jahren komplett neu gebaut. Unter der Behmbrücke hindurch fuhr während der Teilung Berlins die S-Bahn von Schönhauser Allee kommend bis Pankow, ohne Zwischenhalt, durch den Mauerstreifen hindurch. Die Westberliner S-Bahn, die bis 1982 durch die Ostberliner Deutsche Reichsbahn mitbetrieben wurde, fuhr von Gesundbrunnen kommend in den Prenzlauer Berg hinein, unter der Behmbrücke hindurch, auch mitten durch den Mauer-Todesstreifen, hielt nicht am Bhf. Bornholmer Straße, hielt dann aber an dem auf Pankower Gebiet liegenden, aber nur von Weddinger Seite aus zugänglichen Bhf. Wollankstraße und fuhr dann weiter Richtung Norden. Bis in die achtziger Jahre hinein konnte man von der Ostberliner S-Bahn während der Fahrt noch relativ ungehindert in den Wedding hinein ausschauen, da die Berliner Mauer hier nur aus mehreren, allerdings sehr, sehr hohen Maschendrahtzäunen bestand. Erst Anfang 

der 80er-Jahre wurden diese allseits bekannten Betonmauerteile auch zwischen die Gleise der Ost- und West-S-Bahn gesetzt, so dass man dann aus der Ost-S-Bahn hinaus nur noch das Dach der Weddinger Schule in der Ellenbecker Straße (?) sehen konnte. 

Die gleichfalls den Arnswalder Platz streifende ursprünglich Stolpische Straße ist seit 1978 benannt nach Paul LeRoy Robeson (*9. April 1898 in Princeton, New Jersey; † 23. Januar 1976 in Philadelphia, Pennsylvania). Er war ein US-amerikanischer Schauspieler, Sänger, Sportler, Autor und Bürgerrechtler mit einer unheimlich tollen tiefen Stimme. Als einer der ersten schwarzen Amerikaner bekam er 1936 in dem eigentlich weißen Universal-Film-Musical „Show Boat“ eine Rolle. Es war dies eine Zeit der Rassentrennung in den USA, bei der es noch separate Radio- und Fernsehsender für Schwarze oder Weiße gab, Weiße eigentlich nie zusammen mit Farbigen auf einer Bühne standen, und nun einem schwarzen Mann in diesem Musical gleich einen ganzen Song zum singen zu geben („Ol‘ man river“) war in dieser Zeit eigentlich schon etwas ganz Unerhörtes und Revolutionäres. In der damaligen Sowjetunion wurde übrigens eine Tomatensorte nach ihm benannt („Pol Robson“). 

Erwähnen möchte ich an dieser Stelle auch noch die Katholische Augustiniuskirche in der Dänenstraße 17/18 die mit ihrem großen güldenen Kreuz zur Ringbahn hin sehr dominant wirkt. Der Komplex wurde 1927/28 von Josef Bachem und Heinrich Horvatin erbaut. In der Schönfließer Straße 7 befindet sich ein imposanter Schulgebäudekomplex, der 1913/15 als Doppelschule nach Plänen von Ludwig Hoffmann, nach dem wohl die meisten Schulgebäude in Prenzlauer Berg gebaut wurden, geplant war. Noch vor wenigen Jahren wurde das Gebäude u. a. auch vom Kulturverein Prenzlauer Berg genutzt. Und noch immer befinden sich im Vorderhaus kulturelle Einrichtungen. 

Auf der heute riesigen Brache zwischen Bornholmer, Malmöer, Finnländische, Norweger Straße befanden sich bis 1990 die „Abfertigungsanlagen“ des Grenzübergangs, der am 9. November 1989 als erster und in aller Panik geöffnet wurde. Ich war damals mit unter den Tausenden, „die nur mal kieken wollten“. Kurz vor der Brücke befindet sich ein Gedenkstein, an dem auch ich alle Jahre wieder am 9. November eine kleine Kerze abstelle, zum Gedenken vor allem an die Ideale, an die wir damals glaubten, und auf der anderen Straßenseite der Bornholmer ist nun auch ein kleiner Gedenkpark an diese Zeit im Entstehen. 

Rolf Gänsrich (Jan 2011)