Jüdisches Leben in Prenzlauer Berg, Teil 1

„Judenhaus“

Seit Mai 2019 gibt es am Haus Käthe-Niederkirchner-Str. 35 im Bötzowkiez ein zweites Klingelschild. Dort stehen die Namen ehemaliger Bewohner des Hauses aus der Zeit der Nazidiktatur. In dieser Zeit war die Käthe 35 ein sog. „Judenhaus“.

 

Als Simon Lütgemeyer Ende der 1990er-Jahre in den Bötzowkiez zog, sah es hier noch komplett anders aus als heute: die Bausubstanz von 75% der Häuser war verschlissen, Teile des Kiezes erst seit kurzem offizielles Sanierungsgebiet. Einige Jahre später, mittlerweile in Familie lebend, wurden im Nachbarhaus Stolpersteine für das Ehepaar Friede verlegt. Anwesend war auch der Fotograf Harf Zimmermann, der ein Foto der Käthe 35 aus dem Jahr 1986 mitbrachte. Auf diesem Foto stand eine Frau auf dem Balkon, auf „ihrem Balkon“. 

Dies war der Startschuss zu einer Recherche über die Bewohner der Käthe 35, die mehrere Jahre anhielt und im Jahr 2019 zu einer Feier mit Nachkommen ehemaliger Bewohner in der Käthe 35 (zur Einweihung der Klingeltafel) führte. Unbekannt war es bis dahin auch, dass die Käthe 35 ein sog. „Judenhaus“ war. Allein in Berlin kann von etwa 3.000 so genannten „Judenhäusern“ ausgegangen werden, in denen jüdischstämmige Deutsche eingepfercht wurden.


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Lippehner Straße 35, um 1908, Quelle: kaethe35.de

„Als „Judenhaus“ wurden in der Behördensprache des nationalsozialistischen Deutschen Reichs Wohnhäuser aus (ehemals) jüdischem Eigentum bezeichnet, in die ausschließlich jüdische Mieter und Untermieter zwangsweise eingewiesen wurden. Wer in diesem Zusammenhang als Jude galt, war im §5 der „Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 14.11.1935 geregelt; ausgenommen wurden sogenannte privilegierte Mischehen.

Damit wurde zu Lasten der Juden Wohnraum für die sogenannte deutschblütige Bevölkerung freigemacht. Die Maßnahme erleichterte Diskriminierungen der jüdischen Bewohner und unterband gewachsene nachbarschaftliche Beziehungen.

Der Begriff „Judenhaus“ wurde in die Alltagssprache des Dritten Reichs übernommen. Als Alternative zum nationalsozialistischen Begriff wird heute auch der Begriff „Ghettohaus“ verwendet.

Die „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ vom 31.2.1938 verpflichtete jüdische Hauseigentümer, ihre Immobilien zu verkaufen. Hermann Göring teilte am 28.12.1938 einschränkend mit, vordringlich sei die „Arisierung“ der Betriebe und Geschäfte, die „Arisierung“ des Hausbesitzes sei „an das Ende der Gesamtarisierung zu stellen“. Es sei nämlich erwünscht:

„… in Einzelfällen nach Möglichkeit so zu verfahren, dass Juden in einem Haus zusammengelegt werden, soweit die Mietverhältnisse dies gestatten würden.“

Das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30.4.1939 lockerte den Mieterschutz für Juden. In juristischen Kommentaren zum „Wohnungssonderrecht für Juden“ hieß es zur Begründung: „Es widerspricht nationalsozialistischem Rechtsempfinden, wenn deutsche Volksgenossen in einem Hause mit Juden zusammenleben müssen.“

M. Steinbach, Okt. 2021

Quelle: Dokumentation „Käthe 35“ von Simon Lütgemeyer (www.kaethe35.de)