MIETPOLITIK

Die Formel Sozialverträglichkeit

Mit Vereinbarungen zur Sozialverträglichkeit versucht der Bezirk, angestammte Mieter in Prenzlauer Berg zu schützen. Bei der Wohnanlage in der Grellstraße ist die Mieterberatung mit im Bund. Den Bewohnern der Danziger Straße 55 verschafft ein Vertrag eine Frist von zehn Jahren.

Es ist ein umfangreicher Komplex von 253 Wohnungen in der Grellstraße/Prenzlauer Allee. Gebäude aus den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts, um eine stille Grünanlage gruppiert, modernisierungsbedürftig. Die Eigentümerin, die Deutsche Wohnen, plant „umfangreiche Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen, um die einzelnen Wohnungen und das gesamte Quartier auf einen zeitgemäßen Standard zu bringen.“ So ist es einer gemeinsamen Presseerklärung mit dem Bezirk Pankow zu entnehmen. Es ist u. a. vorgesehen, die Fassaden zu erneuern, teilweise neue Balkone anzubauen und auch die Außen- und Grünanlagen komplett zu überarbeiten. Auch Neubau in Form von Nachverdichtung bzw. Aufstockung der vorhabenden Gebäude steht auf der Agenda. 49 Wohnungen in neuen Dachgeschossen und 62 Wohnungen durch einen lückenschließenden Neubau sind auf dem Areal unweit des S-Bahnhofs Prenzlauer Allee avisiert.

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Umfangreiche Sanierungen plant die Deutsche Wohnen in der Grellstraße.

Das Großvorhaben, das im nächsten Jahr starten soll, verschreckte die Mieter und war seit längerem auch Thema im Stadtentwicklungsausschuss. Droht ein neuer Fall von Luxussanierung und Mieterverdrängung in Prenzlauer Berg? Anfang August unterzeichneten Bezirk und das Immobilienunternehmen nun eine Vereinbarung, die die Sozialverträglichkeit des Vorhabens im Milieuschutzgebiet sichern soll. „Bezirk und Unternehmen schließen die gemeinsame Vereinbarung, um ein Beispiel für die sozialverträgliche Umsetzung durch ein privates Wohnungsunternehmen zu schaffen.“ heißt es in der gemeinsamen Erklärung.

 

Einzelgespräche angekündigt

Dem Vertrag vorausgegangen waren nach Aussagen des zuständigen Bezirksstadtrats Vollrad Kuhn langwierige Verhandlungen. Sicherheitshalber ist auch die Mieterberatung Prenzlauer Berg mit im Bund. Sie soll den Sanierungsprozess und die Einhaltung des Vertrags überwachen. Für deren Geschäftsführerin Sylvia Hoehne-Killewald stehen nun vor allem die Mieter im Vordergrund. Zu klären sind ja zum Beispiel auch Fragen, ob die Mieter während der Sanierung in ihren Wohnungen bleiben können, ob und wie sie Ausweichwohnungen zur Verfügung gestellt bekommen. 

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Ein Mieterstammtisch hat sich gegründet. Die Initiative will alle Bewohner aufklären.

Was genau bedeutet  Sozialverträglichkeit im Fall der Grellstraße? Die Aussagen von Lars Wittan, Mitglied des Vorstands der Deutsche Wohnen, werden sich in der Sanierungspraxis bewähren müssen. „Wir werden Einzelgespräche mit unseren Mietern führen, um anschließend individuelle Modernisierungsvereinbarungen mit ihnen abzuschließen. Selbstverständlich werden wir auch finanzielle und soziale Härtefälle anerkennen und die Modernisierungsumlage entsprechend reduzieren. Wir sind uns sicher, dass durch unsere Modernisierung niemand verdrängt wird.“

Die Mieter der Anlage scheinen den Aussagen nicht wirklich zu trauen. Ein „Mieterstammtisch“ hat sich gebildet, der die Bewohner regelmäßig über ihre Rechte und den aktuellen Stand der Dinge informieren will. Ende August gab es ein erstes Treffen.

 

Atempause für die Danziger 55

Sozialverträglich. Ein Schlüsselbegriff auch für andere Mieterinnen und Mieter, die in Häusern wohnen, die vor dem Verkauf stehen bzw. nicht luxussaniert sind. Für die Bewohner der Danziger Straße 55 ist dieser Begriff nun für zehn Jahre Realität.  (Prenzlberger Ansichten vom Mai 2017). Der Bezirk hat mit dem neuen Eigentümer, auch hier ist es die Deutsche Wohnen, eine Abwendungsvereinbarung abgeschlossen. Für das Gebäude im Milieuschutzgebiet ist diese Vereinbarung ein Instrument, das den Verbleib der angestammten Mieter bei Eigentümerwechsel gewährleisten soll. Im Fall der Danziger Straße verzichtet die Immobiliengesellschaft nun für zehn Jahre auf Sanierungen, die den Mietpreis in die Höhe treiben könnten. Auch eine Umwandlung in Eigentumswohnungen ist nicht möglich. Danach erlischt diese Verpflichtung. Ein Durchatmen? 

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Zur Wohnanlage Grellstraße gehören insgesamt 253 Wohnungen. Fotos (3): al

Die Vereinbarung gilt für die 22 Wohnungen, nicht für die Gewerbeflächen. Für Dominik Murr, der einen Bioladen mit Café im Erdgeschoss betreibt, hat das Konsequenzen. Eine Zukunft sieht er nicht mehr, aufwändige Sanierungen stünden für den Laden an. Es rechnet sich nicht mehr. Der Bioladen „Immergrün“ schließt Ende Oktober. Im Haus selbst bleibt Murr mit seiner Familie wohnen.

Gehofft hatten die Mieter der Danziger Straße 55 auf eine andere Lösung. Sie wollten das Haus gemeinsam mit einer Genossenschaft selbst erwerben. Das gesetzlich verbürgte Vorkaufsrecht des Bezirks hätte ihnen helfen können. Mit diesem Recht hat zum Beispiel der Bezirk Kreuzberg gute Erfahrungen gemacht. Er übt es für Genossenschaften oder Wohnungsbaugesellschaften stellvertretend aus. Rund 148 Wohnungen konnten so in diesem Jahr bereits dem Spekulationsmarkt entzogen werden. In Pankow reichte das Geld für die Danziger Straße 55 nicht. 6,5 Millionen Euro zahlte die Deutsche Wohnen. Genossenschaft und Mieter konnten lediglich um die 4 Millionen aufbringen – mehr ist nach Experten-Einschätzung auch nicht rentabel. Der Bezirk selbst hatte kein Geld. So blieb die Abwendungsvereinbarung als letztes Mittel. Immerhin.

Mit einem druckfrischen Leitfaden versucht der Berliner Senat derzeit, auch andere Bezirke zu Vorkaufsrecht bzw. Abwendungsvereinbarung zu motivieren. Das Instrument, das auch in anderen deutschen Großstädten praktiziert wird, scheint in Mode zu kommen.

-al-, Sep. 2017