ARTSPRING

Kunst zum Flanieren, zum Diskurs

Der Stadtbezirk wird Galerie – so heißt es 2021 bereits zum fünften Mal. In diesem Jahr nimmt der artspring dies wörtlich und bietet auch Kunst zum Vorbeilaufen – auf der Straße und im Grünen. Es ist ein Blick in die Lücken – des Stadtbildes, der Gesellschaft.

 

Dann eben raus. Wenn das Drinnen zu ungewiss ist, zu eng, zu beschränkt. Es bleibt auch in diesem Frühjahr das Draußen, hoffentlich. Das Geschützte im Freien. Es bleibt die Hoffnung, wenigstens in den wärmeren Wochen und Monaten Bewegungsraum zu haben – für Körper und Geist. Draußen ist wieder, wie vergangenen Sommer, die Auswegstrategie. 

Es ist Mai und der artspring nimmt uns mit in das Draußen. Ins Außerhalb des Alltags. Vom 7. Mai bis 6. Juni präsentieren sich die Künstler:innen Pankows mit ihrer Frühjahrs-Schau auf gewohnte und ungewohnte Weise. Sie öffnen ihre Ateliers – je nach den aktuellen Infektionsschutz-Vorgaben. Sie präsentieren Filme, Diskussionen – größtenteils wohl online. So der Stand bei Redaktionsschluss dieser Zeitung. Kunst zeigt sich in ihren unterschiedlichsten Spielarten auf unterschiedlichen Kanälen. Höhepunkt und Abschluss ist das Wochenende der Offenen Ateliers am 5. und 6. Juni. Dann öffnen 320 Künstler:innen ihre Arbeitsräume, zeigen ihr aktuelles Schaffen, suchen den Dialog und bieten ihre Werke zum Kauf. Siehe oben, je nach Inzidenzzahlen und Infektionsschutz-Vorgaben.

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Rein in die Kunst, raus ins Freie: artspring macht den Stadtbezirk zur Galerie. Foto: Anna Mars

DER MAI DES ENTSTEHENS

Doch vor dem Abschluss liegt der Mai. Und in dem zeigt sich das Andere des artspring: Die Kunst sucht sich auch Orte außerhalb der Galerien, Ateliers und Internet-Plattformen. Sie geht raus und bietet sich dar. Der artspring wird zum artwalk. Auf dem können wir – einmal durch Prenzlauer Berg – an Kunst vorbeischlendern. Sie auf die Distanz wahrnehmen und doch in ihr versinken. Oder in einem neuen, anderen Umfeld anders betrachten.

Ausgangspunkt wäre der KORN-Kunstraum in der Greifswalder Straße. Im Schaufenster der Heinrich-Böll-Bibliothek ist seit Monaten eine neue Galerie hinter Glas entstanden. Geöffnet rund um die Uhr, ohne Zugangsbeschränkungen. Ein zweiter Ort wäre dann zunächst der Hof der Ateliergemeinschaft Milchhof, jener Gemeinschaft, die hinter dem artspring steckt. Hier, in der Schwedter Straße, sind Ausstellungen im Pavillon und im Gewächshaus zu erleben. 

Dazwischen und darüber hinaus bereitet artspring einen Parcours: In Schaufenstern entlang der Schönhauser Allee, in den Hallen der Schönhauser Allee Arcaden, an den Außenflächen des historischen, aber leider wohl verlorenen Colosseum-Kinos und in den Parzellen der Kleingartenanlage Bornholmer an der S-Bahn. Auch an diesen Orten werden sich Zeichnungen, Grafiken, Skulpturen präsentieren.

 

DIALOG MIT DER LÜCKE

Kunst, die auch in der Mittagspause genießbar ist. Die Not, oder die Inspiration dieser Kontaktbeschränkungen, machen Kunst im Stadtraum sichtbarer. Dabei geschieht noch mehr. Kunst macht allein durch diese Ortswahl auf die Wunden, die Lücken aufmerksam, die die Pandemie auch im Stadtbild hinterlässt oder längst hinterlassen hat. Das wohl insolvente Kino. Die leeren Läden. „GeisterKiez“ heißt eine Performance-Aktion der Schauspielerin Nicole Janze in Kooperation mit dem Ballhaus Ost. Janze hat vor einigen Wochen begonnen, im leeren Schaufenster einer derzeit stillgelegten Kneipe zu spielen. Das ungewohnte Leben im erstorbenen Gastraum stellte auf berührende Weise die Frage: Was ist, was wird mit diesen Einrichtungen und den Menschen, die sie betreiben? Bleiben sie, verändern sie sich? Ziehen möglicherweise globalisierter Handel und Gastronomie ins Leergefegte der lokalen Unternehmen?  

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Neue Schaufenster-Galerie in der Heinrich-Böll-Bibliothek. Foto: Ralph Bergel

Zurück auf den artwalk des Kunstfrühlings im Mai. Auch hier ist jedes, fast jedes der Schaufenster Zeichen einer aufgegebenen Existenz. „Es ist natürlich ein Dialog mit einer Lücke: In den Geschäften und Fenstern der Einkaufsstraßen ist es leer und ruhig geworden. Vieles ist unbespielt, und nicht wenige Fensterfronten sind gar ganz leer.“, so beschreiben es die artspring-Veranstalter:innen vom Milchhof.

 

RAUS IN DIE SINNHAFTIGKEIT

Der artwalk ist auch ein Dialog der Kunst mit der Sorge um das eigene Vergessenwerden. Wir erinnern uns: Die Kunst- und Kulturbranche gehört zu denjenigen, die als erste in der Unsichtbarkeit der Lockdowns verschwanden. Die zwischen Trauer und Wut, den eigenen Existenzängsten und ihrem plötzlich infragestellten Daseinszweck einfach ihre Rolle weiterspielen will. Dafür Lücken fand. 

Der jüngste Aufruhr um die #allesdichtmachen-Schauspieler:innen zeigt, wie nötig wir Kunst in all ihren Spielarten brauchen. 53 Menschen hinterfragten in den #allesdichtmachen-Videoclips, was seit über einem Jahr in diesem Land geschieht. Ob performativ gelungen oder nicht – das ist ohnehin Geschmackssache. Der folgende Shitstorm indes offenbarte in erschreckender Härte: Schwarz oder weiß, dagegen oder dafür. Mehr scheint es in den öffentlichen Debatten derzeit nicht zu geben. Es braucht die Kunst in den Lücken, die wieder auf das Dazwischen hinweist. Dort schließlich vollzieht sich die Sinnhaftigkeit.

Dieser artspring macht gespannt, wie die Lücken gefüllt werden. Mit den Worten des artspring-Teams: „Ziel ist es, die Kunst zu einem festen Bestandteil des täglichen Erlebens zu machen.“ Das Thema dieses Kunstfrühlings: SIGNALE.

-al- , Mai 2021

Mehr auf: www.artspring.berlin