IM SPIEGEL DER ANDEREN

Literarische Innenansichten

Ja, stimmt. Für uns, die „Prenzlberger Ansichten“, ist der Prenzlauer Berg der Nabel unserer Kiezzeitungs-Welt. Logisch. Deswegen betreiben wir an dieser Stelle häufiger eine Nabelschau und blicken dabei über den eigenen Zeitungsrand: Was berichten die Anderen über den Prenzlauer Berg? Heute wird es chronistisch-literarisch: Drei unterschiedliche Bücher über das Leben im Stadtteil – zu unterschiedlichen Zeiten.

Die Frau aus der Hufelandstraße, so könnte die Autorin Lea Streisand allmählich genannt werden. Viele ihrer Short Stories, ihrer Anekdoten und Alltagsweisheiten drehen sich um die kleine Magistrale im Bötzow-Kiez. In dieser verbrachte Streisand, die für taz und die Berliner Zeitung schreibt und eine wöchentliche Hörkolumne auf Radio Eins hat, ihre Kindheit. Nun ist ein ganzes Buch daraus geworden, das Buch der Straße von Streisands Kindheit: „Hufeland, Ecke Bötzow“ heißt der Band, den die „Berliner Zeitung“ ein „Buch zum Eintauchen und Erinnern“ nennt, dem der „Der Spiegel“  indes ein wenig Langatmigkeit bescheinigt. Nun denn. Kritik ist subjektiv, in diesem Fall auch geografisch-historisch. Streisand beschreibt eine, weitestgehend ihre, Kindheit in Ost-Berlin, in der DDR damals. 

Und darum geht es: Franzi, Annabel und Rico sind unzertrennlich. Sie spielen, streiten, gucken Westfernsehen. Und sie machen sich ihren eigenen Reim auf die Welt, die ihnen niemand erklären will. „England und Amerika sind wie die DDR und die BRD“, weiß Rico – nur, dass zwischen den deutschen Staaten eine Mauer ist, zwischen den anderen die Ostsee. Franzi ist von den einfachen Weltdeutungen des besserwisserischen Nachbarjungen ebenso begeistert wie vom real existierenden Sozialismus, dem sie in der Schule begegnet. Endlich etwas, was ihr Halt gibt, jenseits der ironischen Bemerkungen der Eltern, die einem doch nie alles erzählen, sich über ihre abendlichen Geheimtreffen in der Küche stets in Schweigen hüllen. 

Erzählen ist ohnehin ein Problem. Wem darf man was sagen? Franzi und ihre Freunde verstehen es nicht, und so versuchen sie, von der Teppichstange ihres Hufeland-Hinterhofs aus, die Welt auf ihre Weise zu erkunden. Dann fällt die Mauer, und alle Gewissheiten stürzen wie Kartenhäuser zusammen. Am Ende erweisen sich sogar Freundschaften als Trugschluss. In die kleine Welt bricht die große Geschichte ein. Ein Buch auch für die Zeit nach dem Mauerfall-Jubiläum.

 Lea Streisand Berlin Prenzlauer Berg
Innenansichten aus dem Bötzow-Kiez der 80er: Lea Streisands Roman. Repro: Ullstein

ZERRISSENHEIT INNEN UND AUSSEN

Während Streisand ihre LeserInnen in die 80er Jahre des Prenzlauer Berg mitnimmt, pendelt Torsten Schulz zwischen den 70ern und dem Heute. Sein Buch „Skandinavisches Viertel“ ist ebenfalls biografisch gefärbt, angesiedelt im Kiez rund um die Kopenhagener Straße. Nach Jahren im Ausland kehrt Matthias Weber ins Skandinavische Viertel zurück. Den Kiez kennt niemand so gut wie er. Als Kind unternahm er in den 70er Jahren Streifzüge, beflügelt von seiner reichen Phantasie, zugleich auf der Flucht vor inneren Dämonen. Vater, Onkel, Großmutter: nette Leute, und doch jeder auf seine Weise in Schuld verstrickt. Nur sehr langsam durchdrang der Junge das Geflecht aus Geheimnis und Verrat in seiner Familie. 

Jahre später kehrt Matthias in sein Revier zurück, das sich seit dem Fall der Mauer im Umbruch befindet. Er wird Wohnungsmakler, und da sich der umgängliche Grübler nicht zum Haifisch eignet, macht er es sich zur Aufgabe, Neureiche und Großkotze aus seinem Viertel fernzuhalten. Zwischen Geld und Moral, vergänglichen Amouren und existenzieller Einsamkeit führt er einen letztlich aussichtslosen Kampf. Eine Geschichte um Verlust, Trauer und Wut, in der sich die Abgründe des eigenen Lebens offenbaren. Ein gebrochenes Ich, gespiegelt in der Zeitgeschichte.

ZERSPLITTERT IN ARM UND REICH

Die dritte Innenansicht spielt in der Gegenwart und ist die Ansicht einer Zugezogenen in den Prenzlauer Berg. Schwäbin, dreifache Mutter. Klingt nach Klischee, ist ein zeitkritischer Generationen-Roman. In „Schäfchen im Trockenen“ lässt Anke Stelling die Protagonistin Resi in der Ich-Form zu Wort kommen, eine wie sie Anfang der 70er Jahren in Schwaben geborene, nach dem Abitur nach Berlin gezogene Schriftstellerin. Was bleibt vom freien, selbstbestimmten Leben, von den Gerechtigkeitsidealen im Erwachsenen-Alter, als Eltern? Resis Jugendclique zerfällt im Berlin des 21. Jahrhunderts in GewinnerInnen und VerliererInnen. Die einen nehmen ihr geerbtes Geld und kaufen sich Häuser. Die anderen, Resis Familie, ziehen in die zurückgelassenen Wohnungen mit einem illegalen Untermietvertrag, weil sie sich die regulären Mieten in Prenzlauer Berg nicht leisten können. 

Durch einen Zeitungsartikel und einen Roman bringt Resi ihren Freundeskreis gegen sich auf, und schreibt zornig weiter. Resi adressiert ihre zwischen Verbitterung, Kampfgeist und Verzweiflung wechselnden Gedanken an ihre Teenager-Tochter Bea, um ihr die Illusionen zu nehmen, die sie selbst lange Zeit hatte. Sie schreibt bewusst wie in einem Tagebuch und scheinbar ohne literarischen Anspruch. 

„Entlang der Widersprüche“ erzähle dieser Roman, so der „Tagesspiegel“ über „Schäfchen im Trockenen“.

-red-, März 2020