SENEFELDER PLATZ

Erfindung im Spiegel

Ein kleiner Dreiecksplatz ist der Senefelder Platz, der den Kollwitz-Kiez gen Süden nach Mitte abgrenzt. Ein unscheinbarer eingezwängter Platz, der zwei Raritäten zu bieten hat: Ein historisches Pissoir und das Denkmal seines Namensgebers.

Knaackstraße Prenzlauer Berg
Dem Erfinder der Lithographie gewidmet: Das Denkmal von Alois Senefelder auf dem Senefelder Platz.

In Berlin ist Johann Nepomuk Franz Alois Senefelder nie gewesen – obwohl der studierte Jurist, Musiker, Schauspieler und Dichter eine Zeitlang mit einer reisenden Schauspieltruppe unterwegs war. Und doch hat Berlin dem Münchner ein Denkmal gesetzt. 1892 war das, 58 Jahre nach seinem Tod, Rudolf Pohle heißt der Bildhauer, die Berliner Verwaltung ist der Stifter. Die poetische Ehrung gilt einem Erfinder, der die Vervielfältigung von Kunst und Schrift ermöglichte: Durch die Lithographie.   

 

Schrift ohne Körper

In Spiegelschrift ist denn auch sein Name in das Denkmal geprägt, unter dem Abbild des sitzenden jungen Mannes. In Spiegelschrift, in der auch die Original-Lithographie-Druckplatten geritzt werden, damit auf dem aufgelegten Papier die richtige Reihenfolge lesbar ist. Zu Füßen des Denkmals hält ein Knäblein einen Spiegel vor den Namenszug, während ein anderer Knabe „Alois Senefelder“ in den Stein schreibt. Doch, ach: Die schöne kleine Szene existiert nur noch auf historischen Abbildungen. Irgendwann im Lauf des vergangenen Jahres hat ein unbekannter Mensch der schreibenden Putte den Oberkörper abgeschlagen. Von ihr existiert nur noch der Rumpf. Das Bild der Druckschöpfung ist nicht mehr vollkommen.

Im Oktober 2015 war der anderen, der Spiegel haltenden Putte, Ähnliches passiert. Nachts wurde sie Opfer eines Randalierers, der ihr den Arm mit dem Spiegel abschlug und klaute. Dank Augenzeugen und Polizei konnte der Dieb unmittelbar darauf gefasst werden. Der Knabe erhielt seinen Arm samt Spiegel zurück. Seinem schreibenden Nachbarn ist dieses Glück noch nicht widerfahren.

 

Das steinerne Blatt

Während eines Spaziergangs an einem Regentag, so geht die Überlieferung, bemerkte Senefelder, dass sich ein Blatt auf einem Kalkstein abgebildet hatte. Diese Beobachtung brachte ihn auf den Gedanken, auf Stein zu ätzen. Mangels Zeichenkenntnissen versuchte der Musiker, mit dieser Technik Notenblätter zu vervielfältigen. „Ein Stückchen äußerst schlecht gedruckter Musiknoten aus einem alten Gesangbuch weckten sogleich die Idee, dass ich mit meiner neuen Druckart auch Musikalien weit schöner als bleierne Lettern liefern könnte.“, begründete Senefelder. Im Juli 1797, ein Jahr nach der Entdeckung, erschien Senefelders erstes Notenbuch in dieser Technik. Schnell erregte die neue Drucktechnik Aufmerksamkeit im In- und Ausland.

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Zeitgeschichte: Solch Pissoirs standen einst überall in Berlin. Das achteckige Häuschen am Senefelder Platz ist heute eines von rund 30 verbliebenen. Fotos (2): al

Mit einem Plattenkalk, einem ausgesprochen feinkörnigen Kalkstein, verfeinerte er seine Lithographie weiter. Senefelder zeichnete zunächst auf die plangeschliffene Steinplatte mit fetthaltiger Tusche oder Kreide spiegelverkehrt die zu druckenden Partien. Dadurch wurden diese Stellen wasserabweisend. Danach befeuchtete er die Druckform mit einer wässrigen Lösung aus Gummiarabikum und verdünnter Salpetersäure. Die nicht beschrifteten Stellen nahmen die Flüssigkeit auf und wurden so fettabweisend. Im dritten Arbeitsgang wurde mit einer Rolle  fetthaltige Druckfarbe aufgebracht. Diese haftete nur noch an den wasserabweisenden Partien der Schrift. Schließlich wurde ein Bogen Papier auf den Stein gelegt und die Druckfarbe durch kräftiges Aufpressen übertragen.

Die Erfindung der Lithographie bedeutete eine große technische Innovation, da diese Drucke auch bedeutend kostengünstiger hergestellt werden konnten. Die Erstellung von Notenblättern im Steindruck kostete nur noch ein Fünftel des bis dahin eingesetzten Kupferstichs. Schnell setzte sich die Lithographie nicht nur in Senefelders Heimatstadt München durch. Im Jahr 1800 bereits gab es das Patent und Druckereien in Paris und London. Mozarts Klavierkonzerte beispielsweise erschienen ab 1800 als lithografische Notendrucke.

 

Von der Note zur Grafik

Über diese frühesten lithografischen Werkstätten erfolgte bald auch der Druck von Künstlergrafiken. Senefelder nannte seine ersten Steindrucke selbst Polyautografien. Das Original seiner Stangenpresse steht in München im Deutschen Museum. Im Haus der Stadtgeschichte in Offenbach am Main befinden sich ein funktionsfähiger Nachbau der Stangenpresse, zahlreiche frühe Steindruckplatten, zumeist aus dem Bestand einer privaten Manufaktur, und frühe Steindruck-Erzeugnisse derselben Druckerei.

Sehr früh erkannten auch die Vermessungsämter die Bedeutung eines preiswerten und genauen Druckverfahrens. So wurde Senefelder 1809 zum Inspektor für die eigens gegründete lithographische Anstalt in München ernannt. Ähnliche Anstalten entstanden unter seiner Anleitung in zahlreichen europäischen Hauptstädten.

1826 gelang Senefelder der Druck farbiger Motive und 1833 der Druck von Ölgemälden, die auf Stein übertragen wurden. Berühmte und einflussreiche Zeitgenossen wie Johann Wolfgang Goethe zeigten sich schon früh von der Qualität der Lithographien beeindruckt. 

Alois Senefelder frönte neben dieser Erfindung und ihrer Verbreitung auch der Dramatik. Er schrieb das Lustspiel „Die Mädchenkenner“ und mehrere Libretti. Er starb 62jährig. Vier Jahre nach der Enthüllung seines Denkmals in Berlin wurde auch der Platz nach ihm benannt. Aus dem Thusnelda-Platz wurde der heutige Senefelder Platz.

Einblicke in die Kunst der Lithographie gibt es u.a. in der Werkstatt in der Hufelandstraße: www.jugend-im-museum.de

-al-, März 2017