FOTOGRAFIEN VON HELGA PARIS

Die subjektiven Farben von Grau

Sie lebt seit über 50 Jahren im Winskiez und viele ihrer Fotografien zeigen die Orte und, mehr noch, die Menschen entlang der Winsstraße. Jetzt wird die große Fotografin Helga Paris mit einer Ausstellung in der Akademie der Künste geehrt. 

Es sind immer Porträts. Von Menschen, Häusern, Straßenzügen. Sie schauen uns an oder schauen zur Seite, liegen barhäuptig im Nebel, trotzen kahl einem wolkenlosen Himmel. Schwarzweiß und in allen Schattierungen dazwischen, kraftvoll in dieser Farblosigkeit. Helga Paris‘ Bilder nehmen ihre Objekte ernst und wichtig, machen sie zu einzigartigen Subjekten, die den Blick einfangen und in die Tiefe des Daseins führen.

Eines der frühen Bilder ist ein Selbstporträt im Spiegel, 1971. Das Subjekt, sie, Helga Paris, verschwindet fast im Hintergrund vor einer Reihe von Zeichnungen und Frauenporträts, die den Spiegel säumen. Ein Bild der Zagheit seiner Protagonistin, der Stärke auch – im Bund mit den anderen Frauenporträts. Da ist eine, die ist viele - oder will sich schwesterlich gesäumt zeigen. 

Auch die „Winsstraße mit Taube“ ist ein Porträt. Doch anders als im frühen Selbstporträt tritt hier niemand in den Hintergrund. Fast menschenleer der Straßenzug aus den 70ern, in einem eigenartigen Nebel. Er macht die dunklen, düsteren Hausfassaden präsent. So deutlich in ihrer zerbröckelnden Wirklichkeit, dass sie die Frage aufwerfen, ob überhaupt, und wenn ja, dann wie Menschen in diesen Häusern leben können. Selbst die einzelne Taube wendet sich ab und fliegt davon. Im analytischen Blick der Fotografin bleibt ein Hauch Poesie.

Helga Paris präsentiert in der Akademie der Künste über 270 ihrer Arbeiten aus über vier Jahrzehnten Fotografie. Darunter sind zahlreiche erstmals gezeigte Einzelbilder und Serien. Es ist ihre bisher umfangreichste Ausstellung, die erste zudem seit 25 Jahren in Berlin. Neben den Berlin-Motiven zeigt sie u.a. erstmals Ausschnitte aus ihren umfangreichen Serien „Leipzig, Hauptbahnhof“ (1978), „Moskau“ (1991/92) und „Mein Alex“ (2011).

Die 1938 in Pommern geborene Paris begann in den 1960er Jahren als Autodidaktin zu fotografieren. Sie wurde bekannt mit den Aufnahmen ihrer Nachbarschaft aus der Winsstraße und aus Prenzlauer Berg. Ihre Bilder von Kneipenbesuchern, Müllfahrern, den Frauen aus dem Bekleidungswerk VEB Treffmodelle, von KünstlerInnen, Punks, Kindern aus Hellersdorf und Passanten vom Alexanderplatz machen sie zu einer der zentralen Chronistinnen des Berliner Ostens. Später, nach dem Mauerfall, reiste sie mit der Kamera durch Russland, Polen und nach New York. Nicht anders als im heimatlichen Berlin ging es ihr auch an diesen Orten, bei diesen Menschen, um die Frage, wie sich die jeweiligen Umstände in das Privateste einschreiben. Geschult durch die Malerei der Moderne, das frühe sowjetische, italienische und französische Kino, das Theater und die Poesie, entwickelte Helga Paris so über viereinhalb Jahrzehnte hinweg ein umfangreiches Werk, in Schwarzweiß und allen poetischen Schattierungen dazwischen.

Heute zählt Helga Paris zu den wichtigsten zeitgenössischen Fotografinnen. Ihr Archiv hat sie anlässlich der Ausstellung der Akademie der Künste geschenkt. 6.300 Filme, fast 230.000 Negative, eine reichhaltige subjektive dokumentarische Chronik über vier Jahrzehnte Berliner und deutscher Geschichte.

Anlässlich der Archivpräsentation sprechen am 5. Dezember in der Akademie befreundete Künstlerinnen, Künstler und Porträtierte wie Helmut Brade, Elke Erb, Christian Grashof, Annett Gröschner, Peter Kahane und Bert Papenfuß über die Zusammenarbeit und die Wirkung ihrer Bilder.

-red-,  Dez. 2019

„Helga Paris, Fotografin“, bis 12. Januar 2020, Akademie der Künste, Pariser Platz 4. www.adk.de