STADTTIERGESCHICHTEN (2)

Streichelschnecken

Wir leben in der Stadt und hier gibt es auch Natur. Wenn sich Beides mischt, dann entstehen manchmal Stadttiergeschichten. Viele Menschen halten sich aus den unterschiedlichsten Gründen Haustiere. In dieser losen Folge werde ich von Schnecken berichten, und wie sie überraschen und bezaubern können.

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Die Große Achatschnecke (Achatina fulica), auch Ostafrikanische Riesenschnecke genannt, ist mit einer Körperlänge von bis zu 30 cm eine der größten Landschnecken der Welt. Foto: S. Karma

Ich mag Schnecken. Außer wenn ich mit nackten Füßen aus Versehen auf sie trete. Das finden die dann wahrscheinlich auch nicht gut. Meine Bekannte hält sich zwei recht große Exemplare der Achatschnecke in einem Terrarium. Jedem dem ich davon erzähle entweicht schnell ein: „Warum?“. Gute Frage. Ich kümmere mich manchmal um sie. Das erweitert mein Schneckenwissen ungemein. Sie lieben Gurke. Gerne geschält, so wie Kinder. Man kann sie auch mit Katzenfutter und Bananenschalen versorgen. Manche werden um die 20 cm groß und es gibt schneeweiße Exemplare, die eigentlich zum Verzehr gezüchtet wurden. Meine Pflegeschnecken baden ausgiebig. Nur, dass ich sie noch nie dabei erwischt habe. Das Wasserbecken ist leer, die Schnecken sauber und niemand hat je gesehen wie es von statten geht. Monatelang dachte ich, sie bewegen sich überhaupt niemals. Immer wenn ich sie besuchte, saßen oder klebten sie totenstill irgendwo herum. Als würde sie jemand nach Lust und Laune versetzen, so wie Wohnungsdekoration. Bis sich ein Exemplar live vor meinen Augen über eine geschälte Gurkenscheibe warf und sie dann in sich hinein stopfte. Eigentlich hat sie sie in Zeitlupe mit ihrer Raspelzunge abgeschabt. Ich war mehr als fasziniert. Dabei wackelte sie genüsslich mit dem Kopf,  wie ein Vertreter der menschlichen Spezies, der einen Becher teurer Supereiscreme mit Chunks und flüssigen Kernen in seinem Mund schmelzen lässt und keine Ruhe gibt bis der letzte Rest des Bechers ausgekratzt ist. Die Schnecke vertilgte die gesamte grüne Scheibe und verharrte dann regungslos. Das kenne ich vom Reiher im Volkspark Friedrichshain, wenn er einen riesigen fetten Goldfisch hinuntergewürgt hat. Einem Impuls folgend streichelte ich ihren Kopf. Jeder weiß was passiert wenn man Schneckenköpfe von Gehäuseschnecken berührt. Sie ziehen sich blitzschnell zurück, fahren die Fühler ein und sind nicht mehr gesehen. Diese aber war anders. Fast so genüsslich wie sie das Gemüse verzehrt hatte bewegte sie nun sanft den Kopf von rechts nach links, damit mein Finger auch jede Stelle des nicht vorhandenen Halses streicheln konnte. Ich war fasziniert. „Ja sie mag das manchmal.“, sagte meine Bekannte, während  ihr niedlicher Minihund sich nah an mich schmiegte und seinen phänomenalen Mundgeruch offenbarte. Und ich konnte  mich mal wieder nicht zwischen streicheln und dem Wunsch ihm die Zähne zu putzen entschieden.

Steffi Karma, Jan. 2017