Besser hätte ein Einstand nicht sein können: Das mal gerade vor einem Jahr zusammengeschlossene Netzwerk der Interessengemeinschaft Casting-Carrée, das die Gewerbetreibenden der
Kastanienallee und ihrer Seitenstraßen vernetzen soll, hat den Wettbewerb „mittendrIn Berlin!“ gewonnen.
Mit diesem Wettbewerbsverfahren suchte die Zentren-Initiative – eine Aktion des Landes Berlin, der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin und der privaten Wirtschaft Berlins – Konzepte,
die das Profil der jeweiligen Standorte stärken. Das Motto der Ideen für Erlebnisse und Ereignisse, die dazu beitragen sollen, lautete: „MittendrIn Berlin! Laufend Neues erleben“. „Laufend“ ist
dabei – wie so oft bei solchen Wahlsprüchen – doppelt zu verstehen. Es gilt also „Orte in Berlin aus der Perspektive der Fußgängerin und des Fußgängers kennenzulernen. Die Besonderheiten eines
Ortes sind zu Fuß intensiver zu erleben“, heißt es dazu in der Ausschreibung.
Und in der Kastanienallee und ihren Seitenstraßen lohnt sich ein Blick in alle Richtungen – sogar der nach unten. Gleich am Eingang der Kastanienallee, wo sich die Eberswalder Straße und die
Schönhauser Allee kreuzen, steht der Name Skladanowsky auf dem Boden. Max Skladanowsky war ein Wegbereiter des Films in Deutschland. Der am 30. April 1863 in Pankow Geborene wurde in der
Schönhauser Allee zum Fotografen und Glasmaler ausgebildet und stellte später mechanisch bewegte Nebelbilder her. Nebelbilder hießen sie daher, weil sie mit Hydrooxygengas, einer Mischung aus
Kalklicht und Sauerstoff, gebildet wurden. Da dieses Licht viel heller war als das der sonst verwendeten Petroleumlampe, konnte man mit zwei Projektoren Bilder bewegen, überblenden und
unterschiedlich beleuchten.
Von dort aus, also von der Schönhauser Allee 146, kommt man am ältesten Biergarten Berlins vorbei. Seit 1837 wird hier im Prater unter den Kastanien Bier ausgeschenkt. Doch die Gaststätte dient
der Volksbühne auch als Probebühne. „In den 20er Jahren war der Prater ein Ort politischer Auseinandersetzungen, war die Kundgebungsstätte der damaligen Sozialdemokraten“, erinnert Stefanie
Gronau, die zusammen mit ihrem Team die 53 Kooperationspartner des Casting-Carrées unterstützt. „Größen wie Karl Liebknecht, August Bebel und Rosa Luxemburg sind hier aufgetreten.“
Auf derartige und viele andere Überraschungen möchte das Casting-Carrée während einer dreitägigen Veranstaltung aufmerksam machen. Denn das Preisgeld des Wettbewerbs von 35.000 Euro sollen und
möchten die insgesamt drei Gewinner für Veranstaltungen, Angebote oder Aktionen ausgeben, die auf unterschiedliche Weise dazu einladen, ein Geschäftsviertel aufzusuchen, sich dort
aufzuhalten, zu bummeln und so die jeweiligen Orte kennenzulernen. Casting-Carrée möchte dazu ein Straßenfest der besonderen Art im August diesen Jahres steigen lassen.
„‚Casting-Carrée’ geht spielerisch mit Klischees um und will damit zeigen, was die Kastanienallee tatsächlich zu bieten hat“, hieß es in der Laudatio. Dem Klischee nach besteht die Kastanienallee
nur aus Design-Läden, was der Straße den Spitznamen Casting-Allee verliehen hat. „Die Design-Geschäfte zeigen bei dem Fest natürlich auch ihre Produkte“, erzählt Gronau. „So wird es
beispielsweise eine mobile Modenschau und ein Night-Shopping geben, Ladenbetreiber stellen Designer vor, Festbesucher können ihre eigenen T-Shirts drucken oder zusehen, wie eine Jeans hergestellt
wird.“ Doch da das Fest im August unter dem Motto „Gestern, Heute, Morgen“ steht, wird es auch Führungen zur Geschichte des Kiezes geben. So fuhr beispielsweise 1881 die erste Pferdebahn durch
die Kastanienallee. Sie war somit ein Vorgänger der M1, der ersten Straßenbahn Berlins, die noch heute zur ersten Straßenbahn-Haltestelle Berlins „Am Kupfergraben“ fährt.
„Otto Hauptmann, der Senior des Hotel Kastanienhof, bietet eine Führung zu Kriegsschäden an und dazu, wie sich das Gewerbe in seiner Straße verändert hat“, sagt Gronau und fügt bewundernd hinzu:
„Er sammelt historische Postkarten. Der Mann ist ein Buch!“
Auf einer Showbühne am Stadtbad, die gemeinsam mit dem Pfefferwerk organisiert wird, treten regionale Künstler auf, es gibt Live-Musik, Fotografieausstellungen und Filmvorführungen, Kinder
haben sogar eine eigene Bühne und auf dem Campus der Sprachenschule stellen sich verschiedene Ortsvereine vor. Die älteste noch aktive Feuerwache in Berlin in der Oderberger zeigt einen
historischen Löschzug und informiert über Ausbildungsmöglichkeiten. Das Mach-Mit-Museum bietet einen Fühlpfad und der Verein Bürgersteig bietet Führungen zu den Themen Stadtökologie und
-entwicklungsgeschichte an.
„Wir wollen dem Klischee der Casting-Allee auch ein bisschen widersprechen“, erläutert Gronau. „Gerade in den Hinterhöfen gibt es so viel zu entdecken. In unserem Carrée arbeiten auch
Filmproduktionen, Handwerker und sogar eine E-Gitarren-Bauerin, der man zu unserem Fest über die Schulter schauen kann.“ Und genau das Einbeziehen der Hinterhöfe und Nebenstraßen war einer der
Gründe, weswegen sich das Casting-Carrée zusammen mit zwei anderen Gewinnern gegen insgesamt zehn Mitbewerber durchsetzte, die es in die engere Wahl geschafft haben. „In der Turmstraße sollen
die Stromverteiler umgestaltet werden und die Altstadt Spandau will vom Bahnhof bis zur Zitadelle eine Kunstmeile bieten“, verrät Christof Deitmar von der IHK, was die beiden anderen Gewinner
mit ihrem Preisgeld anfangen möchten.
Was das Casting-Carrée von diesen unterscheidet, hob die Juryvorsitzende Professor Angela Mensing-de Jong von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden hervor: „Beim Projekt aus der
Kastanienallee überzeugte die Jury besonders die positive Resonanz, die der MittendrIn-Beitrag auf das schnell wachsende neue Netzwerk für ein neues Image ausübte.“
Aber für alle Prenzlberger ist es erst einmal wichtiger, das Wochenende 23. bis 25. August freizuhalten. Denn dann wird es ein schönes Stadtfest geben.“
✒ Alexandra Wolff (Jan 2013)