Na, wer kommt denn da? – etwa so ein hirnrissiger „Kampfradler“, der mit wutverzerrtem Gesicht harmlose Fussgänger zur Seite springen lässt? Oder ein Grüppchen helmbewehrter Alt-Radler, die während des Wartens an großen Kreuzungen sicher auch nichts gegen ausfahrbare Stützräder einzuwenden hätten? Berlins Fahrradwelt ist vielfältig und ständig im Umbruch. Noch kürzlich „warben“ anonyme Plakate für das angeblich neue Feindbild auf Berlins Straßen: KAMPF DEN KAMPFRADLERN, Rücksicht statt Vorfahrt – so ihre massive Botschaft. Das klingt nach Stellungskrieg und nicht nach einer sinnvollen Auseinandersetzung mit sicher zu Recht kritisierten rücksichtslosen Radfahrern in der Stadt.
Immerhin liegt in Prenzlauer Berg der Anteil von Fahrradfahrern am Gesamtverkehr bei 21 % (13 % berlinweit). Und auch der Rückgang der Unfallzahlen mit Radfahrerbeteiligung um 12,39 % sollte eher ermutigend stimmen. Doch Probleme gibt es noch genug. Mit dem Blick auf unseren Stadtbezirk, und da besonders auf die Schönhauser Allee mit den schmalen Radspuren, fordert der Fahrradclub ADFC breitere Radspuren auf allen Hauptverkehrsstraßen. Immerhin stehen dem Senat jährlich 3 Millionen Euro für neue Radfahr-Infrastrukturprojekte zur Verfügung und 2 Millionen sind für die Sanierung bestehender Wege eingeplant. Trotzdem werden viele Projekte als Kompromisslösungen enden, und zugeparkte Radwege gehören leider zum Alltagsbild. Lässt die Wut darüber, so manch friedvollen Radler irgendwann zum Kampfradler mutieren?
Ein Bekannter von mir ist an einem dieser anonymen Plakate in der Kastanienallee vorbei geradelt. Er hielt den Kopf des Radlers zuerst für eine stilisierte Weltkugel, wie sie einst auch das Leipziger-Messe-Männchen zierte. Ein Globetrotter auf dem Rad sozusagen. Erst beim näheren Hinschauen erkannte er eine Handgranate und war sofort in „Bombenbestimmung“ versetzt.
In Internet-Foren zu dieser Thematik wurde besonders das feige Verstecken in der Anonymität kritisiert. Mit dem Geld für diese, auch nicht gerade tourismusfreundliche Aktion, wäre wirklichen Fahrradprojekten mehr geholfen. Was soll´s! Die zahlreichen, besonders jetzt in die Stadt strömenden Touristen, sehen das wahrscheinlich eher als eine aus dem Ruder gelaufene Straßenkunstaktion.
Wie kommt aber ein radbegeisterter Berlin-Tourist mit kleiner Faltkarte zu seinem Radel? Erste Station: U-Bahnhof Senefelder Platz. Kaum wieder ans Tageslicht gekommen wirbt das Hostel Meininger um Vertrauen und Geld bei Herausgabe eines BIKE. 1 Day = 12,- €, so die Konditionen. Der schlaue Tourist will nicht auf das erstbeste Angebot eingehen und geht folglich weiter. Schon nach wenigen Schritten in der Kollwitzstraße kommt er am SURF HOUSE vorbei. Das ist allerdings keine Strandbar sondern ein gewöhnliches Internet-Tele-Café-Spätkauf-Geschäft, wie es sie mittlerweile zu hunderten in der Stadt gibt. Nur wartet hier ein großer Haufen gehwegseitig angeschlossener Räder auf temporäre Nutzer. RENT A BIKE ask in shop 1 day - 12,- € steht dort in knappen ausländisch. „Aha“, denkt der Tourist, „ist wohl ein Einheitspreis oder die haben sich abgesprochen; egal, ich miete das BIKE.“ Kaum ist damit er einige Meter in Richtung Kollwitzplatz gefahren, um den dortigen Markt zu besuchen, überkommt ihn die Wut. 24h = 6,- € Prenzlberger Orangebikes Bike rental. „Warum bin ich nicht vom anderen Straßenende hierher gekommen?“ Beginnt hier etwa die Entwicklung zum Wut-Radfahrer, die schlimmstenfalls als Kampfradler enden kann? Müssig dieser Frage nachzugehen.
Im Orange Bike herrschte rege Ausleihgeschäftigkeit, so dass ich mich nur in den Ausleihpausen mit Simon H. unterhalten kann, der hier ehrenamtlich arbeitet. Die Ausleihstation gehört zum Abenteuerspielplatz Kolle 37, und der wiederum zum Netzwerk Spielkultur, einer weit verzweigten und sich auch weitgehend selbsttragenden Freizeitplattform für Kinder und Jugendliche. Denen kommen dann auch die Einnahmen aus dem Radverleih zu Gute. Die Konkurrenz sei schon gewachsen, bemerkt Simon, während er für 3 junge Leute aus Kanada und Brasilien die Räder zur Ausleihe fertig macht. Früher hätte auch das Hostel am U-Bahnhof auf ihren Verleih hingewiesen. Jetzt wollten alle in der näheren Umgebung am Fahrradverleih verdienen. Eine feste Stelle gäbe es hier, alles andere geschehe ehrenamtlich. Das Publikum ist recht international. Eine Spanisch sprechende Mutter hat für ihren Sohn ein Kinderrad geliehen. Simon hilft ihnen, ein wohl auf dem Flohmarkt erstandenes Kickerspiel mit einer Gepäckspinne am Rad zu befestigen.
In Straßen und auf Plätzen des Prenzlauer Berges ist gut die Spur dieser orangenen Räder zu verfolgen. Und so wundere ich mich auch nicht, als mir am Mauerpark ein solches Rad begegnet (s. Foto). Der Fahrer nimmt gerade ein Flugblatt entgegen, denn der Mauerpark ist nicht nur Treffpunkt vieler Radler, sondern auch Ausgangspunkt von Initiativen und Bürgerbegehren. Geworben wird für eine Menschenkette am 13. August, die sich vom Park am Nordbahnhof bis zum Volkspark Schönholzer Heide hinziehen soll. Und während mir Antje Henning, vom Berliner Netzwerk für Grünzüge, die Grundzüge ihrer Initiative erläutert, beginnt die Band STRANDGUT das auf den Stufen des Amphitheaters hockende Publikum in Spenderlaune zu spielen.
Gewagte Spiele hat auch die Deutsche Bahn vollführt, der ehemals diese Gelände gehörte und das als Güterbahnhof der Nordbahn genutzt wurde. Mit den ehrgeizigen Plänen, die Bahn an die Börse zu bringen, begann ein jahrelanges Tausch- und Schacher-Geschäft in denen Bahnflächen gegen Bahnschulden aufgerechnet wurden. Der vom Bund gegründeten Immobiliengesellschaft VIVICO wurden letztendlich fast alle Grundstücke des Bundeseisenbahnvermögens einverleibt. Das Land Berlin hätte sich lange Zeit mit dieser GmbH einigen können, um den Ausbau des Mauerparks (übrigens ein Prestige-Objekt, der dann doch gescheiterten Berliner Olympiabewerbung 1993) in allen drei Bauabschnitten zu vollenden. Nichts geschah! Seit 2008 sind die Flächen Privateigentum, da der Bund die Vivico an eine österreichische Immobiliengruppe verkauft hat. Und die möchte natürlich nicht lukratives Bauland zu unlukrativen Preisen verscherbeln. So haben sich drei Initiativen: das Berliner Netzwerk für Grünzüge, die Initiative Mauerpark und Stiftung Mauerpark zusammengeschlossen. 9 Millionen Euro wollen sie hauptsächlich durch Spenden aufbringen, um den geplanten Mauerpark-Deal zwischen Bezirksamt und VIVICO zu verhindern und die Flächen wieder zurückkaufen. Damit soll der „große Mauerpark“ entstehen, als Teil eines von vielen Grünzügen durch die Stadt. Das wird noch ein großes Stück Arbeit ...
Die Bahn könnte ein kleines bißchen dabei mithelfen und wie gefordert endlich Gebühren für die Sondernutzung öffentlichen Straßenlandes im Bezirk zahlen. Bisher dürfen ihre Call-a-Bike-Stationen dort kostenlos stehen! Aber wo gingen die Einnehmen dann hin; vielleicht in den Mauerpark?
✒ Dieter Buchelt (Aug 2011)