Kunst, Sauna, Freiraum

An der Ecke Schwedter Straße zur Templiner Straße steht ein Unikat: Die Freie Internationale Tankstelle. Urbane Wildnis, Zeitzeichen. Neu belebt und doch wie in einem zauberhaften Schlaf, mitten im Teute-Kiez.

Fast wirkt es so, als könnte dieser alten Tankstelle nichts etwas anhaben. Nicht die aktuellen Bauarbeiten an der Grundschule direkt gegenüber. Nicht der Verkehr, der sich mal mehr, mal weniger über die Schwedter Straße ergießt. Still, fast verwunschen, verbirgt sich das Gebäude hinter Bäumen und Büschen auf einer der kleinen Brachflächen, die so selten in Prenzlauer Berg geworden sind. Bunt bemalt und besprüht, lugt es zwischen Ästen und Zweigen hervor und verkündet, dass hier dennoch Menschen am Werk sind. 

Die „Freie Internationale Tankstelle“, wie das Gelände inzwischen offiziell heißt, ist eine kleine phantasievolle Trutzburg. Der bildende Künstler Dida Zende übernahm das ungenutzte Areal mit einer der ältesten Tankstellen Berlins im Jahr 2003. Seitdem umwerben InvestorInnen die EigentümerInnen, wollen auf dem Dreieck an der Kreuzung Schwedter/Templiner finanziell Lukratives errichten. Doch die Grundstücks-BesitzerInnern bleiben bei ihrem bunten Bekenntnis zu Zende und seinem künstlerischen Konzept. Dass sich in Prenzlauer Berg ausbreitet, in ganz Europa. 

VON DER TANKE BIS NACH BRÜSSEL

Bis vor einigen Jahren gab es rund um die alte Tankstelle einen Makers Market. Nicht zufällig suchten KünstlerInnen und KunsthandwerkerInnen diesen Standort, an dem sie ihre Skulpturen und Bilder, ihre Taschen, Alltagsdinge und anderes verkaufen konnten. Im Sommer gibt es hier zudem Open-Air-Konzerte und Treffen von kreativen Köpfen. Seit vielen Jahren schon ist die Freie Tankstelle auch Standort der skurrilsten Sauna der Welt. In einem umgebauten alten Feuerwehrauto treffen sich zweimal wöchentlich SaunistInnen zum gemeinsamen Schwitzen. Jährlich veranstalten sie ein großes Sauna-Festival am Plötzensee. Und mit der feuerroten Sauna war Zende sogar schon auf Einladung des finnischen Staates in Brüssel. Dort trafen sich die Europa-Abgeordneten in seinem Saunamobil zum Schwitzen und Schwatzen – und das nordische Land hatte einen fröhlichen Kulturbotschafter.

ÜBER DIE KUNST

Die mobile Sauna ist im Verständnis von Dida Zende ebenso Kunst wie die Umwidmung der alten Tankstelle. Beide stehen, so ihr Betreiber, für gesellschaftlich relevante Kunst. Das ist zunächst nichts Ungewöhnliches. Gesellschaftlich relevant zu sein, ist Anliegen vieler Künste. Was Zendes Kunstverständnis einzigartig macht, ist der Ort. „Die Mission ist es, die verlassene Architektur von Tankstellen zurückzugewinnen und ihre ursprüngliche Funktion als Quelle für fossile Brennstoffe umzubenennen.“ Der Ort soll, er ist es inzwischen, ein Ort der Verwandlung sein. In den Worten Zendes klingt das so: „Die Stationen erschöpfter natürlicher Ressourcen werden durch die Vorstellungskraft derer, die sich im Geiste der Zusammenarbeit versammeln, verwandelt. Um einen neuen Treibstoff zu erzeugen – die Lebenskraft der menschlichen Kreativität.“ Dafür gewann er KünstlerInnen, die das Gebäude farblich gestalteten und hier Aktionen veranstalten. Dafür gewann er MitstreiterInnen, die sich hier regelmäßig treffen. Dafür schließlich baute er das alte Feuerwehrauto in eine mobile Sauna um.

FOTO-BAND

Von ihrem Standort aus knüpft die Freie Internationale Tankstelle Kontakte in alle Welt. Denn umgenutzte Tankstellen im urbanen Raum gibt es unzählige. Der Fotograf Jochen Gies hat Bilder solcher alten Orte in einem Band „Abgetankt“ veröffentlicht. Vom Frisier-Salon bis zur Currywurst-Bude, vom Kunstatelier bis zur Wohnung – die Neubesetzung der erschöpften Ressourcen durch menschliches Schaffen, um bei Dida Zende zu bleiben, ist vielfältig. Zende selbst kooperiert mit ähnlichen Orten, Freien Internationalen Tankstellen, in der Schweiz und den USA.

Bleibt als Ausblick in die graue, kalte Jahreszeit die Sauna: Jeweils mittwochs und sonntags öffnet der alte Feuerwehrwagen an der Freien Internationalen Tankstelle seine Türen fürs Schwitzen.

-red-, Nov. 2021

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