KNEIPENKULTUR

Der Generationen-Mix am Tresen

Eckkneipe, Ecklokal, Keller-Restaurant oder Biertische draußen. Die Kneipenkultur von Prenzlauer Berg ist vielfältig – und wandelt sich. Wandel heißt: Generationen und Kulturen vermischen sich vor und hinter dem Tresen. Eine Kneipentour.

 

Im „Willy Bresch“ sitzen seit einiger Zeit auch die Jungen. Manche sagen auch Hipster, aber das sagt hier eigentlich keiner mehr. Im „Willy Bresch“ wird Bier getrunken, Schnaps, manchmal auch ein Likör. „Zurück zu den Wurzeln“, sagt Inhaber Andre Voigt. „Die Jungen wollen mal wieder wie Vater oder Großvater ein Bier trinken.“ Im „Willy Bresch“ trinken sie seit 1966 ein Bier. Das Berliner Bierlokal in Familienbesitz ist von der typischen Arbeiter-Eckkneipe längst zu einer Eckkneipe der Generationen geworden. „So ´nen Schickimicki wie Caipirinha gibt’s hier nicht“, sagt Andre Voigt. „Pfefferminzlikör“ steht in 60er-Jahre-Lettern über dem Tresen,  „Berliner Luft“ und „Berliner Weiße“ steht an der Tafel.

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Was ist eine Kneipe? Da, wo Bier am Tresen gezapft wird. Foto: pixabay

Der Laden läuft

„Unsre Kneipe“ hat neben Schickimicki-Getränken wie Aperol Spritz auch gediegenes böhmisches Bier. Dazu gibt es Soleier oder einen Zille-Teller mit Brot, Wurst, Käse und saurer Gurke. Das Lokal von Christian Keiser ist erst wenige Wochen alt – und der Laden brummt, um im Jargon zu bleiben. Wie im „Metzer Eck“, in der „Eselsbrücke“, im „Seeblick“, im „Übereck“. Wie im „Blaumilchkanal“, bei „Frau Mittenmang“ oder im „Gugelhof“. Letztes Lokal erlangte Berühmtheit, weil hier einst Gerhard Schröder seinen Amtskollegen Bill Clinton bewirten ließ. Das weiß von den Gästen indes keiner mehr.

Was macht eine gute Kneipe aus? Und: was ist überhaupt eine gute Kneipe? Die freie Enzyklopädie Wikipedia kennt noch den Begriff der Schankwirtschaft. „Typisch für eine Kneipe ist der Ausschank von Bier am Tresen“, definiert das Online-Lexikon den Begriff der Kneipe. Geht es nach dem Tresen, dann ist ein Großteil der Prenzlauer Berger Gastro-Szene eine Kneipe. Straßauf, straßab steht der Zapfhahn in Nachbarschaft zur Espresso-Maschine. Möglicherweise ist auch das typisch für eine Kneipenkultur in Prenzlauer Berg: Die Konturen verschwimmen, zwischen den etablierten Einrichtungen Kneipe, Cafe, Restaurant und Bar. Innerhalb der Kundschaft: Mehrere Generationen, Kulturen und Schichten bestellen nacheinander am Tresen ihr Getränk, sitzen nebeneinander im Lokal. Nicht nur beim Public Viewing zur Fußball-Weltmeisterschaft.

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Bierwerbung on the road – nicht so witzig.

„Ja, es gibt auch Bier“

Der Berliner Autor Clemens Füser hat vor einigen Jahren den Schwund der typischen Berliner Eckkneipen beschrieben und einigen von ihnen ein Denkmal gesetzt. Um 1900 soll Berlin die höchste Kneipendichte des Landes gehabt haben. Auf 150 Einwohner kam ein Lokal, in dem es Berliner Weiße, Bockwurst und Bulette gab. 1930 kletterte die Zahl auf 30.000. Im Jahr 2002 sind es nur noch 15.000 Kneipen. 

Auch in Prenzlauer Berg sind viele dieser Eckkneipen verschwunden. Einige sind noch da, viele neue sind hinzu gekommen, mit ihnen ein Kulturwechsel. Kneipenwandel statt Kneipensterben. „Ja, wir haben auch Bier“, schreibt das Weinlokal „Weinberg“ auf seiner Karte. Dazu gibt es eingelegte Oliven, Quiche oder Käsewürfel im Glas. Und natürlich Wein. Und an den schlichten hölzernen Tischen mit kleinen Blumengläsern, die gefüllten Weinregale im Blick, sitzt es sich auch gemütlich. Wie im „Willy Bresch“ an den Quadrattischen mit den karierten Tischdecken, unter einer Sammlung von Bierkrügen an der Wand.

Die Konturen verschwimmen. In „Unsrer Kneipe“ sitzt die mitgezogene Kundschaft vom früheren Standort neben den Bewohnern des Quartiers, die das Lokal für sich entdeckt haben. Spätabends mischen sich Touristen aus den umliegenden Hotels unter die Stammgäste. Früher war hier ein deutsch-mallorcinisches Restaurant, davor ein Mexikaner. Beide existieren nicht lange.

Manchmal mischt sich das Publikum auch nur nachts, weil die Kneipe das einzig geöffnete Lokal in der Nähe ist. Und die nächste Bar zu weit weg oder nicht das Passende. Im „Prenzlauer Eck“ ist das auch der Fall. Je später der Abend, desto gemischter das Publikum. Und der Wirt, der selbst zapft und selbst kocht, stellt mit stoischer Freundlichkeit auch Weißwein in wunderbar geschliffenen Gläsern auf den Tresen neben den Zapfhahn.

Es gibt auch die Kneipen, in denen ein ganz spezielles Publikum unter sich bleibt. Sie sind selten. Wer zufällig hineingerät, mag nicht gern bleiben. Zu geschlossen wirkt die Community. Sie sind so singulär wie die Eltern-Kind-Cafes oder die Smoothie-Bars mit ihrer speziellen Kundschaft und den Schließzeiten um 18 Uhr. Parallelwelten.

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Späti reiht sich an Kneipe reiht sich an Lokal. Die Grenzen der Gastro-Szene verschwimmen. Fotos (2): al

Die freundliche Aufmerksamkeit

Was macht eine gute Kneipe aus, einen guten Wirt oder eine gute Wirtin? Herz mit Schnauze, schreibt Clemens Füser in seinem Band „Berliner Jahrhundertkneipen“. Die ist im „Metzer Eck“ zu finden. Silvia Falkner betreibt das 100jährige Unikum in vierter Generation. Die Küche ist so deftig wie die Wirtin herzlich. Und an den Wänden hängen stolz die Größen aus Film, Politik und Sport, die alle schon hier waren. 

Im „Frau Mittenmang“ wechselt die Speisekarte regelmäßig und ist eine typische Berliner Mischung aus leicht, regional, international - mit einem gewissen Akzent, der irgendwie sympathisch durchgeknallt ist – wie das Personal. Beim Tanz in den Mai tragen alle Perücken und Kostüme und behalten auch bei größtem Gedrängel den lächelnden Überblick. Bei „Willy Bresch“ geht es offen zu – und der Wirt hat in der Rushhour ein freundliches Wort für jeden Gast. Und in „Unsrer Kneipe“ ist schon nach dem dritten Besuch klar, was die Gäste gern wollen.

Die Konturen von Kneipe, Lokal und Restaurant verwischen. Und seit einiger Zeit kommen neue Etablissements dazu. Immer mehr Spätverkaufsläden stellen Bänke aus Holzpaletten vor ihre Türen oder gruppieren Sofas unter ihr Dach. Das Bier kommt hier nicht aus dem Zapfhahn. Es kommt aus dem Kühlregal.

-al-, Juli 2018