Von oben leuchten die Sterne …

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin
Foto: Bundesarchiv, Bild 102-12287 / CC-BY-SA, Kurztitel: Treptower Sternwarte, Friedrich Archenhold, September 1931

Im Jahr 1960 hob die DEFA in deutsch-polnischer Koproduktion den  viel beachteten Science-Fiction-(seinerzeit sagte man utopischer) Film  „Der schwei­­gende Stern“ als neues Genre aus der Taufe. Regie führte Kurt Maetzig, einer der Mitbegründer der DEFA.


Der Film bzw. die Filmidee basierte auf dem Erstlingswerk des polnischen Autors Stanislaw Lem „Die Astronauten“ bzw. „Planet des Todes“. Lem, einer der „Groß­väter“ heutiger Autoren dieses Genres, war ein kühner Schreiber, der später den faszinierenden utopischen Roman „Der Unbesiegbare“ veröffentlichte. Lem verknüpfte in diesem Roman menschliches Streben und Handeln in unbekannter Welt mit – trotzdem – bestehender Achtung und Akzeptanz von Unbekanntem, ja Unbegreiflichem. Lem und andere Schriftsteller davor und danach in Ost und West haben den scheinbar bereits ewig existierenden Weltraum und die Frage nach anderen Lebens­formen, als der uns Menschen bekannten, zu einem Dauerthema gemacht, das uns im heutigen Fernsehalltag als filmische Raumpatrouille begegnet, im Grunde aber philosophische und moralische Fragen der Menschheit insgesamt berührt. Nicht umsonst begeistern und interessieren sich Menschen an Flügen in das All und an der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Welt­­raumforschung.
Eine der seltenen Möglichkeiten, um den Geheimnissen und den herrschenden Ge­setzen des Weltraums und der sich daraus ergebenden Erkenntnisse auf die Spur zu kommen, ist der Besuch eines Planetariums, wie es zum Beispiel in der Prenzlauer Allee Nr. 80 zu finden ist. Dieses Großplanetarium wurde im Okto­ber 1987 nach Plänen des Architekten und Baudirektors Erhardt Gißke – der einige bedeutende Bauten in Berlin, wie das Internationale Handelszentrum und das Grand Hotel zu verantworten hatte – in einer bemerkenswert kurzen Bauzeit von nur zwei Jahren eröffnet. Von Be­ginn an hat es sich das Planetarium zur Aufgabe gemacht Wissenschaft, Erkennt­nis und Unterhaltung zu verbinden und dem Zuschauer dies als ein Erlebnis zu vermitteln. Herzstück des Hauses ist ein großer Projektor, der von Carl Zeiss Jena gefertigt wurde und der in den Keller absenkbar ist. Die übrige Technik gestattet dem Besucher in vielfältiger Weise die optische und akustische Erschließung des Weltraums und seiner Geheimnisse. Darüber hinaus wird das Planetarium in vielfältiger Weise genutzt, so für Veran­stal­tungen der Reihe von Radio 1 „Hör­spiel­kino unterm Sternenhimmel“.
Etwa zehn Kilometer Luftlinie von diesem Ort entfernt – in Treptow – wirkte bis 1931 einer der bekanntesten deutschen Astronomen, dessen Namen die dortige Sternwarte seit 1946 bis heute trägt – Archenhold. Friedrich Simon Archenhold wurde am 2.10.1861 in Ost­westfalen geboren. Während er 1882-87 ein Studium in Berlin (und Straßburg) absol­vierte, wurde er 1889 erster Astro­nom der Berliner Urania und 1890 Mit­arbeiter der Berliner Sternwarte (nicht zu verwechseln mit der Treptow-Stern­warte), dessen Direktor seinerzeit Pro­fes­sor Wilhelm Foerster war. Die Trep­tow-Sternwarte war 1896 anlässlich der Berliner Gewerbeausstellung als vorübergehende Installation mit Riesenfern­rohr entstanden. Später wurde das Rohr baulich „ummantelt“ und es entstand eine Volkssternwarte, deren Direktor F. S. Archenhold bis 1931 blieb, wobei auch seine Frau Alice ihm in dieser Tätigkeit eine große Unterstützung war. Der Astronom betrieb Forschungen zur Natur der Sonnenflecken und unternahm 1907 eine längere USA-Reise, auf der er Treffen mit bedeutenden Erfindern und Wissenschaftlern hatte, u.a. mit Thomas Alva Edison. Im Rückblick war von besonderer Bedeutung, dass am 2.6.1915 Albert Einstein in der Treptow-Stern­warte seinen ersten öffentlichen Vortrag über die allgemeine Relativitätstheorie hielt.
Ab 1931 übernahm Archenholds Sohn Gün­ter die Leitung dieser Sternwarte, wurde aber 1936 von den Nazis aufgrund der jüdischen Abstammung der Familie Archenhold zum Rücktritt gezwungen.  
Während Friedrich Simon Archenhold selbst das letzte Grauen erspart blieb – er starb am 14. 10.1939 in Berlin – wurden kurze Zeit später seine Frau Alice und die Tochter Hilde in das KZ There­sienstadt deportiert, wo sie umkamen. In Berlin wurde im Januar 2010 die Ost­end­straße in Niederschöneweide nach Alice Archenhold umbenannt.
Heutzutage bilden das Zeiss-Groß­plane­tarium in der Prenzlauer Allee und die Archenhold-Sternwarte gemeinsam die Abteilung Astronomie des Deutschen Technikmuseums Berlin. Die Leistung mit dem größten internationalen Nach­hall der Berliner Astronomie ist jedoch beinahe 180 Jahre her und dürfte wohl die Entdeckung des Planeten Neptun am 23.9.1846 durch Johann Gottfried Galle und Heinrich Louis d’ Arrest bleiben, wobei diese „Ent­decker­geschichte“ einen Krimi für sich bildet, den man gesondert erzählen muss.
Und was die Astronomie und den Kosmos generell betrifft: Das Weltall und seine Herausforderungen haben Staaten und Menschen zur internationalen Zusa­m­men­arbeit veranlasst, sie bewogen, fried­lich und gemeinsam zu wirken. Das ist und bleibt ein Wert an sich. Hinzu kommt, dass die Taten eines Juri Ga­garin 1961 oder Neil Armstrong 1969 auch deshalb so große Begeisterung weltweit auslösten, weil der Mensch dadurch erkannte, dass er über sich selbst hinaus wachsen und seinen Planeten ver­lassen kann.
Und konkret für Berlin: Bleibt uns Bewo­hnern zwar manchmal die Erfüllung einfacher, irdischer Wünsche in dieser Stadt versagt, so bieten sich andererseits – z. B. im Großplanetarium in der Prenzlauer Allee Nr. 80 – sehr gute Möglichkeiten, fernen, kosmischen Welten mit Auge und Ohr, Herz und Verstand näher zu kommen und dabei Neues zu lernen.
✒ Jürgen Pahl © (Feb 2013)