„Der Prenzlauer Berg ist meine Heimat“

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Mit einer Ausnahme – ein ganzes Leben in Prenzlberg: Werner Klopsteg

Statt Jahresrückblick: Der Kult-Leser­brief­schreiber des „Eulenspiegels“ Werner Klop­­steg erinnert sich.

Er ist ein wahres Urgestein des Prenzlauer Bergs: Werner Klop­steg lebt seit seiner Geburt in unserem hippen Ortsteil. Und da dies im Jahre 1935 war, hat er in Prenzlberg viele historische Ereignisse erlebt, die er uns aus seiner eigenen Perspektive schildert. Warum also statt eines klassischen Jahresrückblicks in der Dezember­ausgabe nicht mal einen Lebensrück­blick werfen?
Werner Klopsteg war vier Jahre alt als der zweite Weltkrieg ausbrach: „Ich erinnere mich an das Brüllen der Bom­ben“, sagt er mit geschlossenen Augen. „Auf die Ecke Stargar­der/Dunc­kerstraße ist eine Luftmine gefallen. Durch den Luftdruck wurde auch unser Haus in der Dunckerstraße beschädigt.“ Als Zehn­jähriger erlebte er den Artil­lerie­beschuss auf eine Barrikade an der Duncker­brücke.
1943 wurde er evakuiert und zog mit seiner Mutter nach Schlesien. Das war das einzige Mal, dass er außerhalb des Prenzlauer Bergs wohnte. „Ich ging zum Arzt und ließ mir attestieren, dass ich wegen meiner Bronchitis zurück nach Berlin musste“, erzählt Klopsteg und kichert: „Dabei ist es ja eigentlich eher üblich, bei dieser Diagnose von der Stadt aufs Land geschickt zu werden und nicht umgekehrt.“ Da er so einer der wenigen Schüler in Berlin war und keine Schulen geöffnet hatten, bekam er Privatunterricht in der Kollwitzstraße. Erst gegen Ende des Krieges ging er wieder auf eine normale Volksschule. Dieses Mal kam er aber nicht wieder zur 21. Volksschule, sondern auf eine in der Greifenhagener. Danach kam er wieder in die 21. Volksschule in der Duncker­straße.
So erlebte er den Bombenkrieg 1945. Nach einem Tagangriff ging er mit seiner Mutter von der Duncker zur Danziger Straße und von dort aus sahen sie eine dichte Rauchwand Richtung Prenzlauer Allee. „Wie wir später erfuhren, war das Kino an der Ecke Prenzlauer Allee infolge eines Bombentreffers abgebrannt und der Filmvorführer mit Frau und Kind kamen in den Flammen um“, berichtet Klop­steg über das Kindheitserlebniss.
In den letzten Kriegsmonaten sah er mehrmals, dass neben der damaligen Lud­wig­straße (seit 1952 Topsstraße) KZ-Häftlinge eine gewaltige Grube ausheben mussten: „Sie wurden mit Sonder­zügen der Straßenbahn unter SS-Bewa­chung transportiert.“
Kurz nach dem Krieg brachten „Trüm­merloks“, deren Gleise einfach auf die Straße gelegt wurden, Trümmer um Aus­schachtungen zu füllen. „Einmal erzählte eine Frau, dass sie gesehen habe, wie dort ein Junge einbrach. In der Presse stand dann, dass dort bei den Nazis ein Stollen gebaut worden war, der bis zur Weißenburger Straße (der jetzigen Kollwitzstraße) führte. Darüber hat man später leider nie etwas erfahren.“

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Über den Dächern von Prenzlauer Berg

Nach der Volksschule ging Klopsteg auf die Karl-Friedrich-Schinkel-Oberschule in der Erich-Weinert-Straße. „Dort musste ich die 11. Klasse wiederholen und danach habe ich die Schule verlassen“, erinnert sich Werner Klopsteg. „Das war der angebliche Grund, weswegen ich nicht zur Lehrerausbildung zugelassen wurde. Dabei bekamen zwei andere Schüler diese Zulassung, obwohl sie ebenfalls nach der 11. Klasse die Schule verlassen hatten. Die Tatsache, dass ich kein FDJ-Mitglied war, wird wohl eher der Grund für die Absage gewesen sein.“ Die Aufnahme in die FDJ und die SED hat er als Christ immer verweigert. Also ließ er sich beim Kombinat Autotrans zum Verkehrskaufmann ausbilden.
In den 50er Jahren schrieb er seine ersten Leserbriefe und Zeitungsbeiträge. Doch die Redaktion seiner Betriebs­zei­tung durfte seine Texte bald nicht mehr veröffentlichen. Aber es gab ja noch andere Zeitungen, zum Beispiel das Ost-Satiremagazin „Eulenspiegel“, das noch bis 15. April 1946 „Frischer Wind“ hieß. „Einige Leser haben sich nach dem Ende der DDR über meine Leserbriefe aufgeregt und meinten, ich hätte Honecker gelobt, was ich nie getan habe. Viel­leicht Fälschungen mit meinem Na­men?“, fragt sich der Mann, der sich schon als Zehnjähriger geweigert hatte, sich zum Pimpf anzumelden. Bis heute schreibt er gerne Satiren gegen soziales Unrecht – ohne dafür Geld zu verlangen oder zu bekommen.
Als 1953 die Unruhen in Berlin gegen die DDR-Diktatur aufkamen, musste er mit ansehen, wie Panzer auf dem Sport­hof der Schinkel-Oberschule standen. „Die wurden dort abgestellt“, sagt er kopfschüttelnd.
Ein Jahr vor einem denkwürdigen Ereig­nis heiratete er 1960 und zog in die Huse­mannstraße.
Und plötzlich stand da eine Mauer in Berlin, deren Bau ja angeblich niemand beabsichtigt habe. „Am 13. August 1961 hörte ich im Rundfunk, dass die Grenze nach Westberlin geschlossen ist“, erinnert sich Klopsteg. „Ich sah zum Himmel und dachte: ‚Da, wo jetzt diese Wolken sind, kannst du nicht mehr hingehen.’“ Kurz danach  ginge er mit seiner Frau zur Oderberger Straße, in der sich schon zahlreiche andere Ostberliner angesammelt haben und Richtung Bernauer Straße sahen. Dort wiederum waren viele Westberliner und blickten Richtung Osten. „Vor uns stand in einiger Ent­fernung eine Reihe Kampftruppen-Män­ner. Ein Volkspolizei-Offizier rief: ‚Kampf­truppe, räum die Straße!“ Dann kamen die ‚Genossen Kämpfer’ in einer Reihe auf uns zu mit vorgehaltenen Waffen und wir mussten zur Kastanien­allee zurückgehen“, erzählt der heute 87-Jährige weiter.
Bis der Spuk der Gefangenschaft vorbei sein sollte, gingen fast 40 Jahre ins Land. In dieser Zeit traf am 8. Juli 1963 der damalige sowjetische Staatschef Nikita Sergejewitsch Chruschtschow zu einem offiziellen Besuch der DDR auf dem Ostbahnhof in Friedrichshain ein und fuhr anschließend auch über die Schönhauser Allee.
Im Juni 1972 besuchte auch der damalige Staatschef Kubas Fidel Castro Ost­berlin. Anfang der 80er Jahre brannte die 20. Oberschule „Karl Thoma“ in der Dunckerstraße.
Und schließlich fiel die Mauer. Doch die Freiheit zahlte der Verkehrskaufmann mit seinem Job. „1991 löste sich das Kombinat auf und ich bekam erst Ar­beits­losen- und dann Altersüber­gangs­geld bis zur Rente“, so der Mann, der 1995 schließlich Rentner wurde. Ein Jahr zuvor wurden ihm und seiner Frau die Wohnung zu abgewohnt und zu teuer. Sie fanden aber eine günstigere Wohnung im besseren Zustand in der Sredzkistraße. Auch wenn ihn die Straßenschäden, auf die er oft mit Erfolg hinweist, im Prenzlauer Berg stören, so liebt er seinen Ortsteil: „Der Prenzlauer Berg mit seinen Alt­neu­bauten ist meine Heimat, ich habe ihn immer geliebt und wollte nie woanders wohnen.“
Alexandra Wolff (Dez 2012)