Menschen und Kneipen im Winskiez, Folge 2

Kegeln und Klammern im Keglerheim

Winsstraße 1908
Winsstraße 1908

Mit dem Ende der Deutschen Demo­kratischen Republik kam auch das Aus für eine der traditionsreichen und ältesten Gaststätten im Winskiez: Das „Keglerheim“ in der Hein­rich-Roller-Straße, Ecke Winsstraße. Michael L. erzählt: „Dit wa 'ne typische Balina Eckkneipe, ick denke, die wa aba die schlechteste HO-Kneipe, die ick kenne.“ Der Fußboden hinter der Theke war so durchgefault, dass die Bedienung auf Paletten standen. Die Toiletten waren eine einzige Katastrophe; verdreckt und total heruntergekommen. Das Beste an dem Laden war die Kegel­bahn im Keller; da spielten Brigaden, Sportmannschaften und wer privat spielen wollte, musste sich mindestens vier Wochen vorher anmelden. Der Wirt gleichzeitig auch „Bahnwart“ für den Deutschen Keglerverband(DKV), für Wartung und Pflege der Anlage verantwortlich – gegen Extravergütung. Michael S. ergänzt: „Ein laufender Meter hat den Laden am Laufen gehalten: Trau­­del, die stabile, stark geschminkte Kellnerin. Die war so gut gebaut, dass sie drei Tabletts auf einmal tragen konnte. Ein Tablett links, eins rechts und das dritte in der Mitte. Dafür wurde ihr auch schon mal Trinkgeld vorne rein gesteckt ...“  Lieblingsbeschäftigung, besonders an Wochenenden, war das Spiel „Klam­mern“. Turniere wurden ausgetragen; es wurde um Geld gespielt – da ging auch schon mal ein Monatslohn drauf!“ Am Ende seiner Schulzeit war das „Kegler­heim“ DER Treffpunkt von Heran­wach­sen­den im Kiez. Eines Tages kommt der stadtbekannte „Klammerkönig“ rein und fragt: „Wer spielt mit mir `ne Runde?“ Meine Kumpels warnten mich: „Lass das! Du kannst nur verlieren!“ Ich ließ mich trotz­dem auf die Regel des „Verdop­pelns“ ein. Mein erster Einsatz betrug 2,- Mark – mit 500,- Mark bin ich raus!“ Natürlich wurde auch manches mal geprügelt besonders von den tätowierten Regimegegnern, die gerade frisch aus dem Knast kamen ...Wolfgang P. fällt spontan ein: „Ich bin da immer nüchtern rein und besoffen raus gekommen – das Bier kostete nur 51 Pfennig und Bockwurst mit Schrippe gab es für 85 Pfennig ... Der Laden war immer voll und die Gäste waren sehr gemischt und alle haben sich gut verstanden. Die Theke konnte man fast nicht sehen – sie war verqualmt von „Real“ und „Salem Gelb“. Um 23.45 Uhr gab es die letzte Runde und alle haben noch schnell bestellt und damit die Sperr­stunde verlängert. Kurz nach der Wende hatte es sich ausgekegelt. In den folgenden Jahren gaben sich wechselnde Betreiber die Klinke in die Hand. Kegeln war nicht mehr angesagt. 

✒ Text Christian Robbe, Febr. 2011