Sozialprojekt: Zelterpate werden – nicht Zelte abbrechen

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André mag die Ausflüge von „Beratung und Leben“ und trinkt in dem Treffpunkt gerne mal einen Kaffee, um sich zu unterhalten.

Es ist schon paradox: Da ist eine Institution, die Menschen in dramatischen Lebensumständen helfen will und dann gerät diese Institution selbst in Existenznöte. Sicherlich kein Einzelfall. Der Bezirk Pankow spart beispielsweise beim Sozialprojekt der gemeinnützigen „Beratung + Leben“ und beim Café „Treffpunkt“ der Heilsarmee. Aber jammern kann ja jeder, also protestieren die Betroffenen mit ihren Mit­teln bei dem Youtube-Channel „Zel­ter­pate“ gegen die Kürzungen. Die Ob­dach-, Wohnungslosen und andere Men­schen am Rande der Gesellschaft beschreiben dort ihre Situation und warum sie ihre sozialen Einrichtungen dringend brauchen.
Zelterpate heißen sie deswegen, weil das Sozialprojekt Prenzlauer Berg von  „Beratung + Leben“ in der Duncker/Ecke Zelterstraße liegt. Doch Aufrufe alleine reichen nicht. Zelterpate wird auch, wer einmalig ein bisschen Geld spendet oder monatlich zehn Euro überweist.
„Über Sachspenden freuen wir uns zwar auch, aber mit Geld für nicht gedeckte Personal- und Sachkosten können wir gezielter auf die Bedürfnisse unserer Klienten eingehen“, erläutert Brigitte Huß von „Beratung + Leben“. „Außer­dem können wir mit dem Geld Miete, Strom, Toilettenpapier, Waschmittel und auch die Reparatur einer Dusche bezahlen, die vor kurzem kaputt gegangen ist“, ergänzt Andreas Mende, der Leiter von „Beratung + Leben“. „Pro Jahr brauchen wir zusätzliche 20.000 Euro. Im vergangenen Jahr haben wir schon 4.500 Euro an Spenden bekommen. Da­von haben 1.800 Euro unsere bislang neun Zelterpaten gespendet, das restliche Geld kam bei Kollekten von zwei Kirchengemeinden zusammen.“
Seit Anfang 2012 suchen sie nun schon Menschen, die Geld spenden, oder auch Unternehmen, die ihre Dienstleistungen als Zelterpaten zur Verfügung stellen: „Das können Druckereien sein, die uns kostenlos Flyer drucken oder auch Werbeunternehmen, die uns Werbe­flächen spenden“, erzählt Mende. So haben sich beispielweise eine große Webagentur, ein renommierter Werbe­fotograf und ein besonderer Zelterpate gefunden: Der in Prenzlauer Berg wohnende Axel Prahl gibt nun der Initiative sein Gesicht. Alle Interessierten können sich an Rosemarie Kohbieter wenden und unter 445 75 06 anrufen. Unter  www.zelterpate.de gibt es weitere Infor­mationen.

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Der gelernte Elektriker und trockene Alkoholiker Erwin schätzt vor allem die Begleitung zu Ämtern und Behörden.

„Das Angebot von ‚Beratung + Leben’ ist sehr niedrigschwellig“, sagt Kohbieter. "Wir haben an jedem Werktag geöffnet und bieten während der gesamten Öffnungszeit Beratung in allen sozialen Belangen an. Überwiegend kommen alleinstehende Männer zu uns. Nur 20 Prozent unserer Klienten sind Frauen, aber es werden immer mehr.“ Die Klien­ten können jederzeit vorbeikommen, um sich zu duschen, einen Kaffee zu trinken, ein kostenloses Mittagessen einzunehmen oder sich professionelle Hilfe, zum Beispiel eine Rechtsberatung, vermitteln zu lassen. In der Einrichtung in der Dunckerstraße 32 gibt es nur zwei Grundsatzregeln: Keine Gewalt und kein Drogenkonsum.
„Ungefähr 30 Menschen nutzen uns auch, um bei den Ämtern eine Post­ad­resse angeben zu können – ohne die gibt es nämlich kein Hartz IV“, betont Jens Ziller, der Gruppenleiter der Wohn­hilfen von „Beratung + Leben“. Doch auch in vielen anderen Belangen hilft das Sozialprojekt: „Die Frauen hier haben so viele wertvolle Hin­weise, muntern einen auf und sind eine riesengroße Hilfe“, zählt Klient Frank auf. Er ist schon zum zweiten Mal arbeitslos, leidet jetzt an einem Burn-Out und bekommt immer wieder „das große Flat­tern“, wenn er be­hörd­liche Post bekommt. „Aber hier werde ich immer freundlich empfangen und beraten.“
Die Sozialpädagogen könnten mit einem viel entspannteren Blick die bürokratischen Texte in diesen Briefen sichten. „Wir schauen dann, ob beispielsweise die Kürzungen des Amts begründet sind“, beschreibt Koh­bieter ihre Arbeit. „Wenn nicht, so versuchen wir das mit dem Sachbearbeiter zu klären. Und wenn es einen Grund gibt, also wenn unser Klient beispielsweise tatsächlich etwas versäumt hat, helfen wir ihm, dass sich dieser Fehler nicht wiederholt.“
Der Klient Erwin findet das besonders sinnvoll: „Die Sach­bearbeiter behandeln uns ganz anders, wenn ein Sozialarbeiter dabei ist. Ich selbst bin in solchen Fällen viel zu aufgewühlt, aber die Sozialarbeiter können sachlich bleiben, gezielter nach­fragen und das führt zu besseren Ergebnissen als wenn wir aus­flippen würden.“

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Andreas Mende, Jens Zille, Brigitte Huß und Rosemarie Kohbieter von „Beratung und Leben“.

Brigitte, ein „Sanierungs­woh­nungs­opfer“, sieht in „Beratung + Leben“ einen „Weg­weiser zu rechtlicher Hilfe“, und fand hier seelische und moralische Unter­stützung. „Hier konnte ich meine Wäsche waschen als ich keine eigene Wasch­maschine hatte“, erzählt sie. „Ich kann mich hier in Computerthemen weiterbilden. Karten spielen und würfeln sind zwar nicht so mein Ding, dafür nutze ich das Kulturangebot. Ich war im Zimmertheater in Steglitz und habe mir den Kabarettisten Arnulf Rating angesehen.“ Das klappte dank einer Koope­ration mit der Kulturloge, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen mit niedrigen Einkünften eine Möglichkeit zu geben, kostenfrei am kulturellen und gesellschaftlichen Leben der Stadt Ber­lin teilnehmen zu können. Auch bei Ausflügen nach Brodowin und zum jüdischen Museum ist sie mitgefahren. „‚Beratung + Leben’ bietet also alles für Herz, Kopf und Bauch“, fasst Brigitte zusammen.
André hingegen setzt sich am liebsten in das Café der Beratungsstelle, um einen Kaffee zu trinken und ein bisschen zu schnacken. „Umfragen haben ergeben, dass viele Menschen auch zu uns kommen, um hier Kontakte zu finden“, bestätigt Huß. „Wir kümmern uns aber auch darum, dass Menschen wieder den Kontakt zu ihrer Familie aufnehmen, den sie aus Scham aufgegeben haben. Wir besuchen unsere Klienten im Kranken­haus und im Gefängnis und zuletzt kümmern wir uns auch um eine würdige Be­er­digung, wenn einer unserer Klienten stirbt“, fügt Kohbieter hinzu.
André setzt sich aber auch manchmal an die Rechner, um Mails zu lesen, etwas zu scannen oder auszudrucken. „Wenn es das alles hier nicht mehr gibt, gibt es überhaupt keine Plätze mehr in unserem Kiez, die so hell und freundlich sind und nicht so vordergründig religiös geprägt sind – das ist ja auch nicht jedermanns Sache“, findet er.
Alexandra Wolff (Feb 2013)