VISIONEN

Die Grün-Eroberer

Kinder recherchieren als Umweltreporter ökologische Lücken und gewinnen erwachsene Unternehmer als Grün-Paten. Junge Eltern pflanzen für ihre Kinder Obstbäume. Das Engagement für ein Mehr an Natur im dichtbesiedelten Stadtteil bringt immer neue Formen hervor. Zwei aktuelle Fälle von Grün-Eroberern in Prenzlauer Berg.

Es begann mit  einer neugierigen Frage und endet – vorerst – mit einer Belebung. Mädchen und Jungen aus der Grundschule an der Marie erprobten sich als Umweltreporter. Sie recherchierten im Winskiez und dem angrenzenden Kollwitz-Viertel. Sie recherchierten, wo es in Sachen Ökologie nicht stimmt: Wo Müll herumliegt, wo es stark nach Abgasen stinkt und wo es grau und großstadt-trist ist. Sie schrieben ihre Geschichten auf. 

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Das erste zarte Grün in der Marienburger Straße. Foto: al

Vom Fragen zum Machen

Doch das Recherchieren der ökologischen Missstände genügte ihnen nicht. Die Kinder, Sechstklässler, wollten selbst etwas tun. Und so belegten sie im Stadtteilzentrum am Teutoburger Platz einen Kurs, um Baumscheiben-Paten zu werden. Ein sperriger Begriff, der die Pflege und Sorge der kleinen Freiflächen rund um Stadtbäume meint. Einmal theoretisch erprobt, wollten sie ihr Wissen nun auch praktisch anwenden. Ihr Studienfeld: Die 78 Straßenbäume an der Marienburger Straße. Diese 78 Stadtbäume stehen vor Geschäften, Wohnungen, Cafes und Restaurants. 

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Stolze Obstbaumeltern nach vollbrachter Tat: MundräuberInnen pflanzten neue Bäume in der Storkower Straße.

Und weil die Kinder nicht nur selbst von ihrer Idee begeistert waren, weil sie auch andere begeistern können, steckten sie mit ihrem Baum-Engagement UnternehmerInnen und GeschäftsinhaberInnen der Marienburger Straße an. Sie gewannen für zunächst 22 Bäume und deren Flächen Baumscheiben-Paten. Das heißt, 22 kleine erdige Inseln links und rechts der Marienburger Straße werden nun zu kleinen grünen und bunten Inseln. Pflanzen und Blumen werden darauf wachsen, feine Zäune trennen das Grün vom Straßenasphalt und sorgen dafür, dass weder Hunde noch Fahrräder noch alter Hausrat das wachsende Stück Natur stören.

 

Ein Baumscheiben-Fest

Was für eine Aktion, von ein paar engagierten Kindern gestemmt. Ende März glich die Marienburger Straße einer Festmeile. Gefeiert wurde: Der Startschuss für die Baumscheiben-Patenschaften. Festlich gekleidet verkündeten die Initiatoren in ihrer Schulpause den Startschuss für die Grün-Aktion. Ein Festzelt diente als Redner-Podium. Die Baumscheiben-Paten erhielten selbst gebastelte Medaillen, die Baumscheiben Hinweisschilder, was sich hier künftig tun wird und wie es zu schützen ist. Denn die kleinen Gärten rund um die Bäume sind nicht nur schön anzusehen, sie tun auch einfach gut. Sie bieten Insekten Nahrung, sorgen für behagliches Klima und helfen, den Baum selbst zu schützen. Mit guten Ideen, ein wenig Geld und regelmäßiger Pflege schaffen die Baumscheiben-Paten Mehrwert für sich, die Straße und alle, die dort leben oder entlangschlendern.

Da haben Kinder also Erwachsene gewinnen können – und gemeinsam engagieren sie sich – über Generationen und Professionen hinweg für besseres Klima vor Haus-, Schul- und Ladentüren.

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Jedes Bäumchen erhält ein Schild mit seiner Sorte und dem Namen des Kindes, für das es wächst. Fotos (2): mundraub

Fortpflanzen per Baum

Im zweiten aktuellen Beispiel von Grün-Eroberern machen Erwachsene öde Flächen schön – für ihre gerade geborenen oder heranwachsenden Kinder. „Was gibt es schöneres, als den ganzen Tag in der Frühlingssonne zu verbringen und dabei mit den Händen im Dreck zu wühlen?“, schwärmt die Mundraub-Pressesprecherin Andie Arndt von dem Aktionstag, den sie gemeinsam mit jungen Eltern Ende März auf einer Freifläche vor dem Supermarkt in der Storkower Straße verbrachte: „Fortpflanzen macht eindeutig glücklich, wie wir bei unserer Baumpflanzaktion mal wieder feststellten.“

„Nachwuchs“ heißt das Projekt der Initiative Mundraub, die den Bezirk Pankow essbarer machen will. Auf freien Flächen pflanzen Eltern Obstbäume – für ihren eigenen Nachwuchs und den der anderen. Ihr Anliegen: Mehr Grün und Nahrung für alle. Das verbindet die MundräuberInnen von Prenzlauer Berg mit anderen Mitgliedern der Initiative in ganz Deutschland. Es ist ein besonderer Generationenvertrag, der auch den Erhalt alter Obstsorten und Kulturlandschaften enthält: Eine Generation pflanzt, drei Generationen ernten, bringt es Mundraub-Gründer Kai Gildhorn auf den Punkt. Auch die in der Storkower Straße gepflanzten Bäume werden zwischen 80 und 100 Jahre alt.

Zwei Kirschen, eine Pflaume und zwei Apfelbäumchen wachsen nun auf der vormals graue Fläche und machen sie so zu einem kleinen Stadt-Garten. Gepflanzt, mit Wühlmaus-Schutz und frischem Kompost ausgestattet und mit einem Pfahl geschützt, können die Bäume nun gedeihen. Eine Plakette mit der Obstsorte und dem Namen des Patenkindes macht sie als Mundraub-Bäume kenntlich.

 

Obst für alle

Die Pflanzaktion in der Storkower Straße war die zweite „Mundraub“-Aktion in Prenzlauer Berg. Bereits im Dezember vergangenen Jahres hatten MundräuberInnen ihre Nachwuchs-Bäumchen im Anton-Saefkow-Park gesetzt. Die Obstbaumeltern machen damit die Stadt mehr und mehr zu ihrem Garten. Sie sorgen für Wachstum und Pflege der Bäume. Ernten dürfen auch diejenigen, die an den Bäumen vorbeikommen. Bis dahin wird noch ein wenig Zeit vergehen, doch erleben können die neuen Bäume schon jetzt alle. Auch mit allem anderen, was zu einem Stadt-Garten dazugehört: „der wahrscheinlich längste Regenwurm der Stadt“, so Andie Arndt, wurde beim Pflanzen in der Storkower Straße entdeckt und flugs wieder in die Erde gesetzt, damit er den Unterboden der Bäumchen kräftig auflockern kann. 

-al-, April 2017

Mehr auf: junge-reporter.org; mundraub.org