JÜDISCHES LEBEN IN PRENZLAUER BERG, TEIL 3

Isidor Lewy & Georg John

Die Lippehner Str. 35 (seit 1974: Käthe- Niederkirchner-Str.) im Bötzowkiez war in der Zeit der Nazidiktatur ein sogenanntes „Judenhaus“. Simon Lütgemeyer wohnt seit dem Ende der 1990er-Jahre dort und hat intensiv über die Geschichte der Bewohner des Hauses recherchiert.

 

Maurermeister Herrmann Knoll baute 1903 im neuen Bötzowviertel das Haus Lippehner Str. 35 und verkaufte es an den Textilfabrikanten Isidor Lewy, der mit seiner Familie auch dort im VH 2.OG lebte. 

Lewy starb 1936. Seine Witwe Lina wurde 1939 gezwungen, das Haus zu verkaufen und starb 1942 kurz nach ihrer Deportation im Ghetto Theresienstadt. 1939 hatte sie noch als „Haushaltungsvorstand“ in ein Formular zur Volkszählung neben ihren Töchtern und Enkeln als Mitbewohner den Namen Georg Jacobsohn angegeben.

Dieser war der Sohn von Isidor Lewys Schwester Ernestine und schon lange vor 1939 als Schauspieler Georg John kein Unbekannter.

Georg John

Am 23. Juli 1879 in Schmiegel bei Posen geboren, beginnt seine Laufbahn auf Bühnen verschiedener Städte, bis er ab 1914 in Wien als Darsteller und Regisseur arbeitet.

Von 1916 bis 1933 wirkt er nicht nur in über 90 deutschen Filmproduktionen mit, sondern spielt auch in herausragenden Filmen der Stummfilmzeit und in späteren Tonfilmen gewichtige Nebenrollen, u.a. in Dr. Mabuse (1922/33), Die Nibelungen (1924), Metropolis (1927), M (1931) und zuletzt in Sprung in den Abgrund (1933).

Schon in seinen ersten Filmrollen verkörpert John die für ihn typisch werdenden Charaktere: „knittrige Gnome und merkwürdig-skurrile Greise - Filme, in denen der Schauspieler meist deutlich älter aussah als er tatsächlich war“ (Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films).


#prenzlauerberg
Isidor Lewy auf seinem Balkon, um 1935/36 Quelle: Gossels family, Wayland, Massachusetts (USA)
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Georg John 1932 als Lutsin in „Tod über Shanghai“ Quelle: Zigaretten-Sammelbild-Album Salem Gold-Film-Bilder, Dresden 1933


Er ist zu sehen als Nachtwächter in Der letzte Mann (1924) neben Emil Jannings, in M neben Peter Lorre als blinder Luftballonverkäufer, der den Mörder an der gepfiffenen Melodie identifiziert oder in F.P. 1 antwortet nicht (1932) als Maschinist neben Hans Albers.

John wird dabei besetzt von fast allen namhaften Regisseuren der Zeit, häufig von Fritz Lang, aber auch von F. W. Murnau, Joe May, Richard Oswald, Harry Piel, Paul Leni und anderen.

Im NS-System als „Volljude" eingestuft, wird Georg John nach der Machtübernahme sofort vom deutschen Kulturbetrieb ausgeschlossen und erhält ab Frühjahr 1933 auch keine Filmrollen mehr angeboten. Er schließt sich daraufhin unter seinem Geburtsnamen - Juden wird die Weiterbenutzung von Künstlernamen verboten - dem Jüdischen Kulturbund an und nimmt an dessen Aufführungen bis zur Auflösung der Einrichtung am 11. September 1941 teil (letzter Auftritt in Franz Molnars Spiel im Schloss im August 1941).

Am 29.10.1941 wird Georg John als erster von vielen weiteren Hausbewohnern mit dem „III. Transport“ vom Bhf. Grunewald in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź) deportiert, wo er nach wenigen Tagen am 18.11. stirbt.

Sein gut 10 Jahre jüngerer Bruder Johannes (Künstlername Hanns John, Chasan und Sänger, seine Stimme ist auf Schallplatte erhalten) ist bei Betty Lewy, einer Nichte von Isidor Lewy, in der Bötzowstr. 28 gemeldet, als er am 27.5.1942 wie auch Daniel Baruch aus der Lippehner Str. 35 nach Sachsenhausen gebracht und im Rahmen einer „Vergeltungsaktion“ erschossen wird.

Simon Lütgemeyer / M. Steinbach (Dez. 2021)

Quelle: Dokumentation „Käthe 35“, (www.kaethe35.de)