FIRMENGESCHICHTE PRENZLAUER BERG (TEIL 14)

Schlachthof, Viehhof, was denn nun?

Es gibt auf dem Gebiet des Prenzlauer Berg ein geografisches Anhängsel, dass sich weit in den Nachbarstadtteil Friedrichshain hineinzieht. Der Storkower Straße folgend überquert man die Landsberger Allee und biegt rechterhand ein. 

Das Gelände, das ich meine, ist der ehemalige "Zentralviehhof". In den letzten Jahren ist nur noch vom "alten Schlachthof" oder "Altes Schlachthofgelände" die Rede. Ja was denn nun? Als mir im Oktober wieder der "alte Schlachthof" bei einer offiziellen Veranstaltung als Namen über den Weg lief, fragte ich bei der Politik in BVV und AGH nach. Einhelliger Tenor, ganz gleich bei welcher Partei: "Das hat sich so eingebürgert".

Hm ... Am Prenzlauer Berg ist in den letzten Jahren ein Teil der Einwohner durch Umzug ausgetauscht worden. Auch am Friedrichshain und in Lichtenberg ist das nicht vernachlässigbar. Das heißt, kaum jemand erinnert sich mehr an seine Umbenennung vor 44 Jahren und dass von 1882 bis 1977 der heutige S-Bahnhof nicht Storkower Straße, sondern Zentralviehhof hieß.

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In ehemaligen Kuhställen auf dem Zentralviehhof sind heute Eigentumswohnungen und kleine Firmen aus unterschiedlichen Branchen. Foto: rg

Auf dem Zentralviehhof gab es je eine Albuminfabrik, Börse, Darmschleimerei mit Gastwirtschaft, Häutesalzerei, Kaldaunenwäsche, Lederfabrik, Talgschmelze, Schweine-, Hammel- Rinderauktionshalle, Seuchenhaus, dazu noch mehrere Verwaltungsgebäude, einen Wasserturm, den Fußgängerhochgang "Langer Jammer", ein Polizeischlachthaus, fünf Schweine- und drei Rinderschlachthallen. Der Rest waren Kuhställe! Ungefähr zehntausend Rinder wurden gehalten. Warum? Zur Zeit der Fertigstellung des 1. Teils 1882 war die Kühltechnik noch nicht so weit. Zu dieser Zeit hatte Berlin ca. 1,25 Millionen Einwohner. Zwar konnte sich nur ein geringer Teil der Bevölkerung Frischmilch (andere gab es noch gar nicht) oder Butter leisten (Margarine war gerade erst in Frankreich erfunden worden und wurde aus Walfleisch gemacht), aber Milch und Butter waren nicht unwichtig und da man nicht zu kühlen wusste, wurde nicht die Milch, sondern die Kühe nahe an die Abnehmer gebracht.

Geschlachtet wurden nur Schweine, Rinder und Hammel. Für Karnickel und Hühner als Kleinvieh galt das preußische "Schlachtzwanggesetz" nicht. Sie konnten von den "Schlächtereien" ohne Auflagen geschlachtet werden. "Gäule" wurden u. a. an der Bizetstraße in Weißensee "abgedeckt", weshalb es entlang Berliner Allee und Greifswalder Straße relativ viele Restaurants gab, die Pferdefleisch in Gerichten anboten.

Ja, mir ist klar, dass man lieber auf dem "alten Schlachthof" wohnt als auf dem "Zentralviehhof". Das klingt so schön dramatisch und man ist nicht dem Berliner Spott ausgesetzt: "Wohnst de etwa in'nem Schweinestall, du blöde Kuh?" "Du oller Hammel kiekst hier schon wie 'n Rindvieh kurz vorm Schlächter!"  

Also nochmal: das Gelände war einst der Zentralviehhof, denn geschlachtet wurde nur auf etwa zwei Prozent des Areals. "Alter Schlachthof" ist zwar nicht falsch, aber das ist so, als würde man eine Cognacbohne als Flasche Rum bezeichnen.

Rolf Gänsrich, Januar 2021